Lachwitz liest: Folge 5 - Crossover

Metrissimo Ausschnitt

Die neue Folge unseres Webcomics-Experten Alexander Lachwitz beschäftigt sich mit Team-Ups und Crossover und stellt zwei weitere Webcomics vor, die es zu entdecken gilt.

Lachwitz liest:Wow
Streifzüge durch die Wunderbare Webcomics Welt

Folge 5: Crossover - Zwischen fremden Welten

»»» von Alexander Lachwitz

Kein Winter ohne zünftige Schneeballschlacht. Nach diesem Credo wurden wir erzogen. Doch dem Klimawandel ist unsere Erziehung reichlich schnurz, und so entzog er uns dreisterweise einfach die für die Ballerei nötige Grundlage.

Nun ja, freuen wir uns also stattdessen über gesunkene Heizkosten... oder etwas in der Art. Immerhin, unsere geschätzten Webcomiczeichner behelfen sich mit Stift und Grafiktablett, um das alte Ritual des Schneegeballers auch in schneefreien Zeiten aufrecht zu halten. Also wenigstens in 2D, auf dem Monitor, ohne Kälte und Nässe - irgendwie eben.

 Das vertraute Fremde

Aber was macht eigentlich den Reiz an Comicschneeballschlachten, Gastauftritten, Arbeitsplatzbildern und dergleichen mehr aus? Fangen wir zur Erläuterung mit dem letzteren an, da es wohl eines der ältesten 'Webriten' ist. Kaum ein Forum mit einem Bezug zu einer kreativen Tätigkeit (ob digital oder analog) ohne einen alten »Show us your Arbeitsplatz«-Thread, der nicht tot zu kriegen ist. Es ist eine Mischung aus Stolz, Neid, Interesse und, vor allem, dem Vertrauten. Fast jeder hat Zuhause einen kleinen Arbeitsplatz, sei es zum Schreiben, Lernen oder eben dem Zeichnen. Und wie viel Zeit verwendet man wohl darauf, diesen Ort stetig zu verbessern, ihn gemütlicher oder auch effektiver zu gestalten?

Sachen gibts Besuch

Solche Besucherströme lassen jeden Jubeln. Umso schöner wenn viele davon bleiben. © Michael Roos


Was liegt also näher, als sich mit anderen auszutauschen? All dies mündet schließlich im eigentlich banalen, aber doch interessanten Posten von Arbeitsplatzbildern. Wir kennen unseren eigenen Arbeitsplatz, wissen wie wir ihn nutzen und schätzen, und können dennoch einen neuen Blick darauf erhaschen, indem wir uns die Bilder anderer Arbeitsplätze ansehen. Was sehen andere darin und was machen sie daraus?
Ein Crossover von Figuren ist dem nicht so unähnlich, wie man zuerst denken mag. Eine dem Leser, aber gerade auch dem Schöpfer, vertraute Figur wird in ein anderes 'Universum' gesetzt; in einen anderen Zeichenstil, eine andere Erzähltechnik, einen anderen Humor und so weiter.

Die Frage ist: Was geschieht mit dieser Figur, wenn sie sich in so einer fremden Welt bewegt? Auch hier wird wieder das Vertraute in Form der Figur, mit all ihren Eigenarten, durch die Brille einer fremden Person wahrgenommen.

Dieses Experiment kann zwar schiefgehen, zeigt aber selbst in solchen Fällen meist noch interessante Facetten auf, die man so bisher nicht bemerkt hatte. Bei Webcomics löst es, ähnlich wie bei den Crossovers in klassischen Printcomics, oft ein Interesse an dem Gaststar bzw. dessen Schöpfer aus, profitiert aber von der Schnelligkeit und Direktheit des Internets. Statt zu überlegen, welchen Band des Gastcomics man sich holt, und ob überhaupt, reicht ein Klick und man findet sich prompt in fremden Welten wieder. Jegliche Verzögerung durch einen üblichen Kauf entfällt. Ob und wie lange man in diesen neuen Welten dann verweilt ist natürlich wieder eine ganz andere Frage.

 Futter für die Lesetreue

Geschmäcker sind verschieden und was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Gerade bei Webcomics kann man dies während und nach jedem Crossover sehr gut beobachten. Am populärsten sind dabei wohl die Gaststrips, welche als Urlaubsvertretung dienen. Die meisten Webcomiczeichner haben ein mehr oder minder festes Veröffentlichungsintervall, das oft zwischen zwei und fünf Strips pro Woche liegt. Selbst für die Workaholics unter ihnen ist es aber kaum möglich, genug Strips im Voraus zu produzieren, um einen längeren Urlaub von zwei bis drei Wochen zu überbrücken. Und im Internet kann man sich eine derart lange Auszeit kaum erlauben. Die Leserzahlen schwinden rapide und nur der Kern der Stammleser wird einem die Treue halten. So überzeugt diese auch sind, es macht so oder so keinen Sinn, die Gefahr des Leserschwunds einzugehen und einen mühsam aufgebauten Leserstamm zu vergraulen.

Metrissimo

 

Der tägliche Wahnsinn, inklusive Aliens. Auch auf Twitter sehr aktiv. © Dimitar Stoykow jr.

 

 

Ergo klappert man die lieben Zeichnerkollegen ab und bittet diese um Gastbeiträge. Oft wird dieser Bitte gern entsprochen, kann man so doch im Idealfall eine ganz neue Leserschaft erreichen. Ein Paradebeispiel davon hat Michael Roos illustriert, als er im vergangenen Herbst für Jojo, aka Beetlebum einen Gaststrip anfertigte. Während im ersten Moment eine starke Schwemme an Lesern über Michaels Blog herfiel, beruhigte sich dies in den nächsten Tagen naturgemäß wieder. Obgleich beide meist in Schwarz-Weiß bloggen, sind sowohl Stil als auch Humor sehr unterschiedlich geprägt und nicht jedermanns Sache. Es läuft am Ende auf eine schlichte Frage nach der Schnittmenge hinaus. Im Idealfall findet jemand sofort Gefallen am Stil des Gastzeichners. Im anderen Fall ist man erstmal ein wenig verwundert, schaut sich um und findet nach und nach schließlich einen Zugang zum Neuen. Nicht zu selten tritt aber auch der ganz andere Fall ein und es wird zwar interessiert geschaut, aber am Ende springt eben doch nicht der vielbesungene Funke über, und man bleibt bei dem bisher Bekannten.

Daher sind Gastrips also immer eine zweischneidige Sache. Zum Einen muss man als Comicblogger im Urlaub genug Gastblogger finden, die dann auch möglichst vom eigenen Publikum angenommen werden, zum Anderen muss sich der Gastblogger im schlimmsten Fall zu einem für ihn kaum bekannten Thema was aus den Fingern saugen. Dazu kommt dann das Gefühlslotto in der Phase nach dem Blogpost, in dem man gespannt die steigenden oder sinkenden Leserzahlen beobachtet. Zuletzt darf man den Arbeitsaufwand dabei nicht vergessen. Natürlich sind solche Gaststrips kostenlos, aber einem jeden Zeichner ist bewusst, wie viel Zeit und Energie er dadurch von einem Kollegen fordert.

Und doch kann man mit einem Gaststrip eigentlich nicht viel verkehrt machen. Ein Plus an Aufmerksamkeit ist so oder so garantiert, selbst wenn im schlimmsten Fall die Besucherzahlen später wieder auf den alten Wert zurücksinken. Doch abseits davon bleibt das Arbeiten mit einem gänzlich neuen Stoff. Für den Webcomic gilt dabei dasselbe wie für jede andere Kunstform; ein Stilstand ist oft tödlich, man muss sich stetig weiterentwickeln. Und was kann es schaden, sich dabei einmal links und rechts umzusehen, was die lieben Kollegen so machen? 

Weiße Pixelpracht 

Und ganz am Ende schließen wir dann den Bogen zum eigentlichen Auftakt. Dem Verbleib des Schneegestöbers diesen Winter.

Schon vorletztes Jahr rief der Zeichner/Illustrator/Photograph/etc. Wittek zur zünftigen Schneeballschlacht unter den Comicbloggern auf. Nachlesen kann man den von ihm festgehaltenen Verlauf für 2010 hier und für den vergangenen Winter hier. Interessanterweise gab es diesmal einen Parallelstart, da unabhängig vom Wittek auch David Malambré in seiner Weihnachtsgeschichte zur Schneeballerei aufrief , inklusive einem durchaus angebrachten Kommentar zur Außenwahrnehmung von Gamern.

Auf eine Auflistung aller Beiträge zum Schneegestöber dieses Winters verzichte ich hier aus Platzgründen besser. Gerade beim Wittek findet sich diesbezüglich schon eine sehr umfassende Übersicht, mit der man erst einmal genug zu tun haben sollte. Und wenn nicht, dann schaut doch ruhig mal, was die Beteiligten sonst so fabrizieren.

Max Vähling

Monsterjägerin Conny van Ehlsing erklärt Schneeballschlachten,
mit Mario Bühling und DS_Nadine
© Max Vähling

 Auch wenn wir nun dieses Jahr mehr auf digitalen Schnee angewiesen waren, sicherlich wird es auch im kommenden Winter wieder eine digitale Schneeballschlacht geben, ebenso wie weitere Arbeitsplatz-Threads. Oh ja, und sicher wird der eine oder andere Comiczeichner auch mal wieder in Urlaub fahren. 

Und sonst so

Hektisch und fleißig. Der schnelle Vogel ... macht sich einen Namen. Hinter dem Pseudonym »Metrissimo« verbirgt sich der Diplomarchitekt Dimitar Stoykow jr., welcher seit Sommer letzten Jahres seinen autobiographischen Webcomic betreibt.
Dabei legt der Vater zweier Kinder ein beachtliches Tempo vor, besonders wenn man noch die Selbstständigkeit im Rücken beachtet. Nichtsdestotrotz ist es ihm gelungen, sich in kurzer Zeit bekannt zu machen. Neben einem Gastauftritt in bester Noir-Anlehnung bei Sarah Burrini, hat er auch schon Flix als Gaststar zu sich nach Görlitz entführen können.

Laute oder auch verzweifelte Töne über den Wahnsinn des Alltags findet man bei ihm immer wieder, verpackt in einen flotten Stil, welcher sich aber durchaus noch entwickelt. Gerade dies macht seinen Blog aber auch interessant, kann man hier doch quasi Live Zeuge einer Stilentwicklung werden. 

Mehr Tiefe für die flachen Wahrheiten 

Chrissie Salz lässt seit einigen Monaten ihr digitales Alter-Ego ungehemmt von einer Party zum nächsten Fettnapf torkeln, alles unter der Prämisse »Auf ein schönes Leben«. Vom Konzept her nicht neu, doch warum muss man das Rad immer neu erfinden? Die Mischung aus Fremdschämen und eigenem Wiedererkennen ist nicht nur gekonnt, sondern schafft es auch, beim Leser unweigerlich die Frage zu wecken: Warum brechen wir nicht selbst öfter mal aus unseren gewohnten vier Wänden aus?

Hinter dem Konzept und den gekonnt schlichten Zeichnungen verbirgt sich so manche Wahrheit, die dem alten »In Vino Veritas« wahrlich zur Ehre gereicht. Und dabei geht es gar nicht um die Feierei, sondern um die kleinen und großen Nöte des Lebens (und besonders des Herzens), die einen im Endeffekt doch erst zum Bier greifen lassen.

 Chrissie Salz

Verwegen, wild und charmant wie eine Sponti-WG © Chrissie Salz

Abbildungen © bei den angegebenen Künstlern


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Über den Autor
Alexander Lachwitz (Jahrgang 1982) studiert derzeit Medientechnik auf Bachelor in Emden. Nach einer Ausbildung zum Fachinformatiker (Systemintegration) entschied er sich, das digitale Know-How mittels eines Studiums auf den Medienbereich auszuweiten.

Neben der freien Beschäftigung im Bereich Webdesign und Layout schreibt er regelmäßig für verschiedene Webmagazine über Videospiele, Comics, Filme und Bücher. Webcomics haben sich dabei durch ihren starken Boom der letzten Jahre zu einem persönlichen Favoriten in der bunten Kulturlandschaft entwickelt.