Frisch Gelesen Folge 376: Second Coming 1

»Haben hier einen Rumtreiber. Wie heißt du denn Junge?«
»
Jesus Christus.«
»
Zentrale? Bereitet mal 'nen psychiatrischen Test vor.«

(Dialog zwischen einem Polizisten und dem Heiland nach dessen Festnahme.)


FRISCH GELESEN: Archiv


Second Coming Band 1: »Die Wiederkunft«

Story: Mark Russell
Zeichnungen: Richard Pace

Dantes Verlag
Softcover | 180 Seiten | Farbe | 22,00 €
ISBN: 978-3-946952-90-9

Hardcover | 180 Seiten | Farbe | 33,00 €
(auf 111 Ex. lim. mit Variant-Cover und Art-Print)
ISBN: 978-3-946952-91-6

Genre: Satire, Superhelden, Bibel

Für alle, die das mögen: Das Leben des Brian, Dogma, Ned Flanders in den Simpsons, The Book of Mormon (Musical)



Superheldengeschichten gibt es ja wie Sand am Meer und deren Zahl wird wohl nur von der Menge an Bibeln übertroffen, die weltweit irgendwo zwischen fünf und sieben Milliarden Exemplaren liegen soll. Die Filmkritikerin und Autorin Anne Billson erklärte 2019, dass »Comics die neue Bibel sind« und sie behauptete, dass ein Teil der Anziehungskraft der Comics in ihrer Offenheit gegenüber dem Übernatürlichen liege. Da wundert es schon, dass möglicherweise noch nie jemand auf die Idee gekommen ist, die beiden grundsätzlich unterschiedlichen Themen miteinander zu verquicken und eine ganz neue Geschichte daraus zu entwickeln. Das Verfahren liegt eigentlich auf der Hand und ist aus Design-Thinking-Prozessen geübte Praxis.

Der Szenarist Mark Russell und der Zeichner Richard Pace machen nichts anderes. Sie verknüpfen die älteste Geschichte der Welt mit der Fiktion einer Welt, die Superhelden als etwas Normales betrachtet. Aber was würde bei einer hypothetischen zweiten Wiederkunft Jesu Christi im 21. Jahrhundert passieren? Nachdem der erste Versuch eher kläglich mit der Gefangennahme und anschließenden Kreuzigung endete, landet der Sohn Gottes auf Bitten seines Vaters als Untermieter und in der Obhut bei einer Inkarnation Supermans: Sunstar.

Ein Superheld hadert mit sich selbst: der Superman-Verschnitt Sunstar mit seiner Freundin auf der Couch.


Sunstar – nur ein Schatten seines großen Vorbildes – hadert mit einer Welt, die er nicht komplett retten kann; auch wenn er jeden Tag circa 20 Menschenleben vor dem Tod bewahrt. Jesus Christus – eine gütige Figur, ausgestattet mit den Idealen seines Glaubens – hadert mit der gleichen Welt, weil scheinbar niemand seine damaligen Botschaften verstanden oder nur unzureichend und ungenau weitergegeben hat. Die beiden leben im Wesentlichen nebeneinander her. Während Sunstar alles unternimmt, mit seiner sterblichen Freundin ein Kind zu bekommen, versucht sein Untermieter das Thema mit den Jüngern wieder aufleben zu lassen. Doch wie schon 2000 Jahre zuvor fehlen ihm ohne wirkliche Wunder Argumente, um nicht wieder als Blasphemiker oder eben als etwas Durchgeknallter klassifiziert zu werden.

Beide Handlungsstränge werden etwas locker durch gelegentliche Besuche Gottes in der WG und die Umtriebigkeit Satans zusammengehalten. Satan will zurück in den Himmel, stößt aber auf erheblichen Widerstand seitens Jesu und schmiedet deshalb einen ausgeklügelten Plan, der sich gegen den Superhelden und den Sohn Gottes richtet.


Schaut öfter mal in der WG vorbei: Gott, der Allmächtige!


Die Geschichte ist zweigeteilt in eine irdische und eine antike, eher himmlische Handlung, in der Jesus von seinen Erfahrungen bei seinem ersten Aufenthalt auf der Erde erzählt. Genauso zweigeteilt sind auch die realistischen Zeichnungen von Richard Pace.

Pace, ein kanadischer Künstler, der für Marvel und DC als Autor und Zeichner gearbeitet und als Autor von Batman: The Doom That Came To Gotham mit Mike Mignola kollaboriert hat, tuscht und koloriert die antiken Szenen auf eine schmutzige und erdfarbene Art und Weise selbst, überlässt aber die Szenen aus der Gegenwart Leonard Kirk (Tusche) und Andy Troy (Farbe). Das Ergebnis ist dann eher »schöner« und ohne viel Perspektive und Tiefenwirkung. Pace hat es geschafft, den Figuren ein authentisches Aussehen zu geben. Gott, Jesus und der Teufel entsprechen durchaus gängigen Vorstellungen – und Sunstar sieht sowieso wie Superman aus.


Schmutzig und erdfarben: die biblischen Passagen.


Der Amerikaner Mark Russell, bekannt u. a. für die Serie The Flintstones und God Is Disappointed in You (geschrieben für Menschen, die die Bibel gerne lesen würden ..., wenn sie nur auf den Punkt käme) gemeinsam mit dem Cartoonisten Shannon Wheeler, erzählt seine Geschichte mit Fantasie, Empörung, Intelligenz und gehörigen Portionen aus Komik und Parodie.

Dabei sah es für Second Coming anfangs gar nicht gut aus. Zwei Wochen vor Erscheinen der ersten Ausgabe bei Vertigo (DC Comics) im Februar 2019 wurde deren Veröffentlichung auf Druck ultrakonservativer Gruppen zurückgezogen, weil diese den Comic als unangemessen und blasphemisch bezeichneten.


Wo Jesus ist, ist er nicht weit: der Teufel als Verführer.


Russell selbst hat dazu gesagt: »Ich denke, dass die religiösen Fundamentalisten und Kritiker, die versuchen, Second Coming zu stoppen, nicht so sehr daran interessiert sind, Christus zu schützen, sondern vielmehr daran, seine Geschichte zu kontrollieren. … Mega-Kirchen, Fox-News-Prediger und YouTube-Empörungshändler sehen das Christentum als ihr Produkt und betrachten jeden, der über Christus spricht, als eine Form der Urheberrechtsverletzung ... Wahrscheinlich vermuten sie (zu Recht), dass nicht Christus parodiert wird, sondern sie selbst und wie sie seine Lehren von der Barmherzigkeit für die Machtlosen zu einem selbstsüchtigen Werkzeug der Mächtigen verdreht haben.«

Russell und Pace bekamen alle Rechte an der Serie zurück und konnten sie schließlich bei dem kleinen unabhängigen Verlag Ahoy Comic unterbringen. Jetzt hat es noch einmal ein paar Jahre gedauert, bis der Dantes Verlag sich der Geschichte angenommen und in der üblichen, sorgsam recherchierten Form herausgebracht hat. Neben allerlei Charakterstudien, einem Making-of und alternativen Titelbildern füllen alleine die Anmerkungen von Übersetzer Jens R. Nielsen satte neun Seiten.

Fazit: Second Coming ist kurzweilige Unterhaltung, für die man nicht bibelfest sein muss. Vielleicht hätten sich aber doch mehr Synergieeffekte aus dem Zusammentreffen von Jesus und Sunstar herausholen lassen.

[Stephan Schunck]

Abbildungen © 2023 Dantes Verlag / Mark Russell, Richard Pace


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Oder beim Verlag: Dantes Verlag