»Die Welt ist aus einem Netz von Küssen gemacht, nicht aus Steinen.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Story: Luca Pozzi
Zeichnungen: Elisa Macellari
Jaja Verlag
Hardcover | 168 Seiten | Farbe | 26,00 €
ISBN 978-3-948904-68-5
Genre: Sachcomic
Für alle, die das mögen: Quantenphysik, Lyrik, Kunst
Was habe ich aus diesem Buch gelernt? Nun ja, ungefähr das:
Ich interessiere mich für Quantenphysik, obwohl / weil ich sie nicht verstehe. Quantenphysik interessiert sich nicht für mich, obwohl / weil sie mich versteht. Verständnis interessiert Quantenphysik nicht so sehr wie mich, obwohl / weil ich Interesse besser verstehe als Quantenphysik. Obwohl / weil versteht Quantenphysik besser als mich. Und jetzt tanzen wir alle zusammen durchs Universum.
Hä? Genau!
Loops ist ein Buch über Quantenphysik und insbesondere Quantengravitation. Das klingt nach Sachcomic, aber das Buch erklärt nicht wirklich universelle Grundmechanismen. Inspiriert von dem Physiker Carlos Rovelli, der als »Poet der Physik« gilt, führen der Autor Luca Pozzi und die Comiczeichnerin Elisa Maccelari zwar komplexe aktuelle Erkenntnisse der Physik zusammen, machen sie dabei aber nicht unbedingt verständlich, sondern eher fühlbar. Pozzi schreibt: »Sobald wir uns bewusst werden, dass gewisse Sachen bedingt sind durch die Beschränktheit unserer Wahrnehmung, und wir beschließen, die Grenzen unseres Gartens zu überschreiten, an diesem Punkt beginnt Wissenschaft.« Dort beginnen aber eben auch Kunst oder Lyrik, und so wirkt die Verbindung von beidem im Verlauf des Buches immer naheliegender, wenn nicht sogar zwangsläufig.
Loops fängt relativ konventionell an. Pozzi trifft Carlo Rovelli in einem Dschungel, den sie fortan durchwandern, während sie über Physik sprechen. Das ist typisch Sachcomic, und natürlich gibt es dazu die üblichen Bilder von atomaren Strukturen, der Erde oder des Alls. Doch schon bei den historischen Vordenkern fällt neben dem unausweichlichen Platon ein seltener Name: Anaximander. Der griechische Philosoph, der zu den Vorsokratikern gehörte, den Urvätern der westlichen Philosophie, wird hier mit einer damals erstaunlichen Idee zitiert: Er war der Erste, der nicht den Himmel oben und die Erde unten verortete, sondern meinte, dass die Erde vom Himmel komplett umgeben sei. Und warum, wurde er gefragt, fällt sie dann nicht runter? Na, ganz einfach: »Anaximanders Begründung, die uns durch Aristoteles Schriften überliefert ist, besagt, dass die Erde aus Gleichgültigkeit ihre Position hält und nicht fällt.« Denn wenn etwas im Zentrum steht, ist jede Richtung gleichbedeutend und so gibt es keinen Grund, sich in eine Richtung zu bewegen. Hä? Wenn unsere Vernunft, mit der wir uns die Welt erklären, bereits bei einer 2500 Jahre alten Idee ins Schlingern gerät, hat sie bei der modernen Physik keine Chance. Zum Beispiel bei der These, dass Zeit nicht existiert.
Die Kraft des Buches steckt vor allem in seinen Bildern. Ab der Mitte erkundet Loops den aktuellen Forschungsstand und lässt dabei unser Alltagsdenken so weit hinter sich, dass es kaum zu lesen wäre, würde nicht Elisa Macellari die steilsten Thesen in verständliche Bilder verpacken. Comic ist bekanntlich das perfekte Medium für komplexe Zusammenhänge, und die Italienerin weiß bestens damit umzugehen.
Das Universum ist auf sehr viel mehr Arten unendlich, als wir uns gemeinhin vorstellen, und so ist es wahrscheinlich normal, dass die moderne Physik, die es ergründet, manchmal wirkt wie der Versuch, Gedichte zu berechnen – Unendlichkeit trifft auf Unendlichkeit. In der Schule haben wir allerdings auch gelernt, dass sich Gedichte am gründlichsten zerstören lassen, wenn jemand versucht, sie zu erklären. Vielleicht gilt das auch für moderne Physik? Es gibt auf diesem Planeten vermutlich einige Handvoll Menschen, die wirklich verstehen, was in Loops angedeutet wird, und ich gehöre sicher nicht dazu. Aber ich kann es jetzt zumindest fühlen. Oder tanzen.
[Peter Lau]
Abbildungen © 2025 Jaja Verlag / Luca Pozzi, Elisa Macellari
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