Frisch Gelesen Folge 72: Tim und Struppi. Die Meisterwerke von Hergé

Tim und Struppi. Hergés Meisterwerk

»Täuschen Sie sich nicht, meine Zeichnungen sind sehr rational und intellektuell.« (Hergé 1942)


FRISCH GELESEN: Archiv


Tim und Struppi. Hergés Meisterwerk

Tim und Struppi. Die Meisterwerke von Hergé

Von Pierre Sterckx

Carlsen Verlag
Hardcover mit Schutzumschlag | 238 Seiten | Farbe | 49,99 €
ISBN: 978-3-551-73940-7

Genre: Kunstbuch

Für alle, die das mögen: Sekundärliteratur, Tim und Struppi


Ein neues Buch über die Kunst von Georges Remi – besser bekannt als Hergé, der Schöpfer von Tim und Struppi. Ein Buch, das praktisch parallel zur großen Ausstellung im Grand Palais in Paris herauskommt, die ja auch einen opulenten Katalog hervorgebracht hat (allerdings nur auf französisch). »Schon lange gibt es mehr Bücher über den belgischen Meister der neunten Kunst, als von ihm«, schreibt Autor Pierre Sterckx wohlwissend gleich zu Beginn seiner Abhandlung. Und doch ist es ein Buch, das einen anderen Blick wagt, als viele Veröffentlichungen bisher.

Dass es sich bei den Werken von Hergé um Kunst handelt, da ist sich der Autor sicher. Wenn Originalseiten bei Auktionen mittlerweile Preise in Millionenhöhe erzielen, brauchen die Comics den Vergleich zur etablierten Kunst in keinem Falle zu scheuen. Doch das allein reicht Pierre Sterckx als Beleg nicht aus.

Es ist der Strich, die Entwicklung der Charaktere, die Herangehensweise und die ab 1930 an zunehmende Komplexität, die die insgesamt 24 Bände kennzeichnet und die nicht nur Tintologen von Kunst sprechen lassen. Und doch analysiert der Autor Hergés Werk Schritt für Schritt. Er definiert den Kunstbegriff und unterzieht die einzelnen Alben, sowie die jeweiligen Charaktere einer genauen Analyse. Erst unter inhaltlichen dann unter künstlerischen Gesichtspunkten.

Und so kommt er zu dem Schluss: »Große Kunst zeichnet sich dadurch aus, dass ein Werk über die Erschütterung seiner Zeit hinauswächst und mit seiner Strahlkraft auch noch künftige Epochen durchdringt. Cézanne schockierte vor mehr als hundert Jahren, heute begeistert er. Mit Tim und Struppi ist es nicht anders: (...) Tintin ist heute so zeitlos wie Cézanne – ein Comic, der zu etwas »Ewigem« wurde.«

Großzügige Abbildungen von Originalzeichnungen sind ein Plus des Buchs

Großzügige Abbildungen von Originalzeichnungen sind ein Plus des Buchs, © 2016 Hergé/Moulinsart

Es ist vor allem die Ligne claire, die Hergés Zeichnungen so unverwechselbar und in diesem Sinne auch künstlerisch machen. »Jeder Strich und jeder Punkt in Hergés Kunst ist klar definiert und damit zutiefst rational. (...) Die Zeichnungen entstehen, wie Worte beim Schreiben, aus Tuschestrichen auf dem weißen Papier«, schreibt Sterckx. Zudem: Hergé zeichnet nicht nur, er denkt sich die Geschichten auch aus und schreibt die Texte. Insofern hat er es in beiden Disziplinen zu einer Meisterschaft gebracht, die Tim und Struppi zum Klassiker der neunten Kunst werden ließen.

Das Buch unterstreicht dies mit seiner reichen Bebilderung, mit der Abbildung von großformatigen Einzelbildern, Vorzeichnungen, Originalseiten und auch Fotos. So lädt der Band zum Blättern und Schmökern ein. Vor allem die groß abgedruckten Details der Originalzeichnungen verraten viel über die genaue Arbeitsweise von Hergé. Sie lassen erkennen, wo der Meister nachgearbeitet hat und wo schon der Entwurf ziemlich nah am abgedruckten Comic war.

Abschließend wirft das Buch einen Blick auf Hergés Kunst jenseits des Comics. Auf seine abstrakten, mal figürlichen Gemälde, und auf seine Vorliebe für die Malerei. Und so zeigt es auch Werke seiner Lieblingskünstler. Anders als der Katalog zur Ausstellung in Paris lässt das Buch aber seine Arbeiten für die Werbung komplett außen vor. Und beschränkt sich damit konsequent auf den künstlerischen Aspekt seines Schaffens. »Hergé hat sich nie als einen Künstler im Sinne eines Genies wie Picasso oder Dalí betrachtet«, schreibt Sterckx. »Seine Kunst dreht sich schließlich nur um eine ganz normale menschliche Figur, die zufällig ein ebenso temporeiches Leben führt, wie die Helden in den Filmen und Abenteuerbüchern.« Dass sein Werk dennoch Eingang in die Kunstwelt gefunden hat, auch das streift der Sekundärband in einem gelungenen Abschluss. Tim und Struppi im Museum und als Zugpferd jeder Comic-Auktion: Davon hätte sicherlich auch Hergé selbst niemals zu träumen gewagt. Und auch nicht, dass erneut ein neues, absolut lesenswertes Buch über seine Kunst erschienen ist.

[Alex Jakubowski]

Gelungene Gegenüberstellung von moderner Kunst und Hergés Arbeiten

Gelungene Gegenüberstellung von moderner Kunst und Hergés Arbeiten, © 2016 Hergé/Moulinsart


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