Frisch Gelesen Folge 375: Feminists in Progress


»Ich dachte immer, Cunnilingus wäre der Name einer Wolke …«


FRISCH GELESEN: Archiv


Feminists in Progress

Story: Lauraine Meyer
Zeichnungen: Lauraine Meyer

Carlsen
Hardcover | 248 Seiten | Farbe | 26,00 €
ISBN: 978-3-55172-650-6

Genre: Sachcomic

Für alle, die das mögen: alles von Liv Strömquist, Lisa Frühbeis, Sarah Cooper und anderen feministischen Autorinnen



Feminismus ist in aller Munde. Und womit? Mit Recht! Denn wer tatsächlich glaubt, dass zumindest in der westlichen Welt die Gleichberechtigung erreicht sei, die oder der bedürfen dringender Aufklärung. Und das sage nicht nur ich, das sagt auch Lauraine Meyer, die den Sachcomic Feminists in Progress geschaffen hat, der auch einen Teil ihrer ganz persönlichen Geschichte widerspiegelt. Und die steht exemplarisch für den emanzipatorischen Werdegang vieler Frauen.

Mit wunderbaren zeitgenössischen und humoristischen Anspielungen wird weibliches Empowerment betrieben.


Irgendwie hat es die patriarchalische Gesellschaft geschafft, der heutigen Generation junger Frauen einzureden, dass mit der feministischen Bewegung der 1970er-Jahre in unseren Breitengeraden die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern hergestellt wurde. Und dann erleben viele dieser Frauen sehr individuelle Ereignisse in ihrem Leben, die ihnen schlagartig die Augen öffnen. Das ist alles nur eine große Farce! Da gibt es gefühlt hunderte Baustellen, die noch dringend bearbeitet werden müssen! Für Meyer, die als Illustratorin und Art Director im Bereich Werbung arbeitet, die sich also nicht in den typischen feministischen Gefilden bewegt, war es die Zufallslektüre des Buchs Ödipus‘ Schwester von Benoite Groult. Sie geht soweit, das Lesen dieses Buches als den Punkt Null ihrer Zeitrechnung zu bezeichnen, der Zeit, mit der ihre feministische Erweckung begann. Und vielleicht können es nicht alle von uns an einem so konkreten Erlebnis festmachen, aber viele von uns kennen dieses Gefühl, dass sie irgendwann »die Brille« aufgesetzt haben, die dazu geführt hat, dass wir Dinge um uns herum neu und anders bewerten. Nichts weniger möchte Meyer mit ihrem »Comic-Guide« erreichen – Menschen dazu verhelfen, die Brille aufzusetzen und neue Haltungen in der Gesellschaft einzunehmen.


Der Comic ist eine Mischung aus sequenziellen Erzählungen und bildhafter Darstellung des vermittelten Inhalts.


Hierfür versucht sie, so viele feministische Themen wie möglich anzuschneiden und ihre Problematik zu beleuchten. Sie erklärt geschichtliche und soziokulturelle Zusammenhänge und zeigt Lösungsmöglichkeiten auf. Durch diese Breitbandbearbeitung geht keines der angeschnittenen Themen sonderlich in die Tiefe. Aber immerhin ist jedes Kapitel nicht nur mit Quellenangaben versehen, sondern auch mit weiterführenden Links zu Websites und Podcasts; es werden Film- oder Serienempfehlungen ausgesprochen oder Ähnliches. Hier zeigt sich eine Schwäche des Titels, nämlich dass die Autorin Französin ist. Sie gibt naturgemäß französische Quellen an, die aber leider für deutsche Leser:innen nur begrenzt hilfreich sind. Bei der Thematik »häusliche Gewalt« hat Carlsen wenigstens den Text soweit redigiert, dass die Telefonnummern deutscher Hotlines angegeben sind. Bei der Quellenangabe sind allerdings französische Homepages genannt – das ist insoweit richtig, als die Autorin ihre Informationen tatsächlich von dort bezogen hat, der Zusatz »… findet man viele Informationen zu sexueller Gewalt, Beziehungen, Sex, Zustimmung« läuft aber leider ins Leere. Hier hätte die Übersetzung sich die Mühe machen müssen, entsprechende deutsche Quellen zu benennen, zumal es sich bei den französischen um staatliche Seiten handelt, die mit Sicherheit gleichwertige deutsche Entsprechungen haben. Der grundlegenden Message des Comics tut das aber keinen Abbruch – es gibt noch viel zu tun in Sachen Feminismus.

Eine der großen Stärken des Titels ist die grafische Aufbereitung. Man merkt Meyer an, dass sie Illustratorin und Werberin ist. In diesem Punkt erinnert der Comic stakt an Wie du erfolgreich wirst, ohne die Gefühle von Männern zu verletzen von Sarah Cooper, die ebenfalls ursprünglich aus der Wirtschaft kommt. Auch bei Feminists in Progress handelt es sich nicht um einen klassischen Comic. Es gibt Passagen, in denen klassisch sequenziell erzählt wird, oft dienen die Zeichnungen aber nur dazu, den Text zu unterstreichen und die Botschaft zu transportieren. Und die bringt Lauraine Meyer mit sehr viel Humor und Leichtigkeit herüber, was sich nicht zuletzt in der Farbgebung des Comics äußert. Die Bilder sind in dem klischeehaft besetzten Hellblau und Rosa gehalten mit einem energetischen Gelb als Kontrapunkt, welches das »jetzt mal alle aufwachen!« des Textes betont.


Der französische Hintergrund der Autorin erschwert den Zugang aus deutscher Sichtweise gelegentlich.


Die Altersempfehlung ab 12 Jahren halte ich für sehr angemessen, da der Comic mit den Grundlagen des Feminismus vertraut machen möchte, erfahreneren Feminist:innen aber nicht wirklich Neues zu erzählen weiß. Feminists in Progress ist ein toller Geschenktipp für junge Menschen, die anfangen, aus dem Privaten herauszutreten, hinein in die Gesellschaft. Der Comic kann den Grundstein legen für einen lebenslangen Kampf und einen sehr langen Weg, den wir alle noch gemeinsam zu gehen haben.

[Mechthild Wiesner]

Abbildungen © Casterman 2022 / © Carlsen Verlag GmbH 2023.


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