Frisch Gelesen 385: Die Heimkehr des Kapitän Nemo

»Dieser seltsame Oktopus ist wie ein neues Unterseeboot, eine zweite Nautilus … Ein Nautipus, genau!«


FRISCH GELESEN: Archiv


Die Heimkehr des Kapitän Nemo

Story: Benoît Peeters
Zeichnungen: François Schuiten

Schreiber & Leser
Hardcover | 96 Seiten | s/w und Farbe | 26,80 €
ISBN: 978-3-96582-141-5

Genre: Abenteuer

Für alle, die das mögen: Die Geheimnisvollen Städte, Jules Verne, Architektur


 

Er hat es wieder getan. Und das, obwohl er eigentlich seinen Rückzug aus der Neunten Kunst angekündigt hatte. Aber ob es nun die Sehnsucht nach Die geheimnisvollen Städte war, ein überaus lukrativer Vertrag des Verlages oder ob ihn das Medium nicht loslässt, werden wir vermutlich nicht erfahren. Fest steht aber, dass sich François Schuiten wieder an den Schreibtisch gesetzt und uns auf eine Reise in sein Universum mitgenommen hat. Regisseur dieser Unternehmung ist – wie bei allen anderen Bänden auch – Benoît Peeters, der unsere Route mit der gewohnten Routine und Detailliertheit ausgearbeitet hat.

Bei den Arbeiten von Schuiten und Peeters weiß man im Vorfeld nie, ob es sich nun um einen klassischen Comic handeln wird oder um eine bebilderte Prosaerzählung. In ihrem neuesten Wurf, Die Heimkehr des Kapitän Nemo, der jetzt bei Schreiber & Leser erschienen ist, folgt das Kreativduo den Spuren vorheriger Werke, beispielsweise von Der Weg nach Armilia, mit Prosatext und in der Regel ganzseitigen Zeichnungen. Erzählt wird die Geschichte von Kapitän Nemo. Wir erinnern uns: Nachdem seine Nautilus im Mahlstrom vor der norwegischen Küste versank, lässt ihn Jules Verne noch einmal in Die geheimnisvolle Insel auftreten. Er rettet die Gestrandeten und kommt im finalen Vulkanausbruch des Romans um.

Hier setzen Schuiten und Peeters an. Nemo überlebt und findet sich wieder in einem ganz besonderen »Tauchboot« – halb Oktopus, halb Maschine. Dabei geht es in weiten Teilen des Bandes darum, dass Nemo noch einmal seine Geschichte erzählt. Wie er sie erlebt hat. Erst auf den letzten Seiten erfahren wir, was passierte, nachdem er mit der Insel Lincoln untergegangen ist.

Ausgangspunkt des vorliegenden Bandes – so erfährt der Leser in einem Nachwort – war die Aufforderung der Stadt Amiens, wo Verne sein Leben beendete, mit einer Skulptur an den großen Abenteuerschriftsteller zu erinnern. Schuiten entwickelte den Hybriden zwischen Tier und Maschine. In dem Comic, wobei ich mich mit dieser Einordnung schwertue, kehrt Nemo nach Samarobrive zurück. Er kann dort den Nautipus verlassen und dieser erstarrt just so, wie es Schuiten für sein Denkmal vorgesehen hat.

Für die Werke der beiden Künstler Schuiten und Peeters gelten andere Maßstäbe. Ihre verschlungenen poetischen Geschichten sind der eine Teil. Dominiert werden ihre Arbeiten aber von den alles überstrahlenden Zeichnungen von Schuiten. Seine Bilder lassen den Betrachter förmlich in ein anderes Universum hineinfallen. Das gelingt natürlich besonders gut, je größer die Darstellungen sind. Der neue Band arbeitet überwiegend mit ganzseitigen Illustrationen, die das ganze Können des Zeichners abbilden. Schuiten hat eine besondere Beziehung zum Werk von Jules Verne. Als Mitte der 1990er-Jahre posthum sein Text »Paris im 20. Jahrhundert« von 1863 erschien, war es Schuiten, der für die französische Ausgabe die Bebilderung übernahm – auch diese Zeichnungen enthält der Band bei Schreiber & Leser dankenswerterweise.

Zwar ist eine wirkliche Eingliederung des Bandes in den Zyklus um Die geheimnisvollen Städte nur anhand von verwendeten Namen möglich und er bildet tatsächlich keine wertvolle Ergänzung zu diesem Kosmos, aber die poetische Erzählweise in Wort und Bild wird dafür sorgen, dass ich den Band noch oft in die Hand nehmen werde. Ich gebe neun von zehn Kraken.

[Bernd Hinrichs]

Abbildungen © 2024 Schreiber & Leser / Benoît Peeters, François Schuiten


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