Frisch Gelesen Folge 291: Die schwarze Flamme

»Goldstrahlend wird die Sonne scheinen / Über uns, die Toten Europas.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Die schwarze Flamme – Der Beginn der faschistischen Gewalt in Triest 1920

Story: Ivan & Zoran Smiljanić
Zeichnungen: Zoran Smiljanić

bahoe books
Hardcover | 120 Seiten | s/w | 19,00 €
ISBN: 978-3-903-29074-7

Genre: Sachbuch, Graphic Novel, Historienerzählung

Für alle, die das mögen: Antifaschistische Literatur



Letzten Sommer war ich mit meiner Familie im Urlaub an der Westseite des Gardasees. In unserem Reiseführer blätternd stieß ich auf die Vittoriale degli italiani, was sich mit »Siegesdenkmal der Italiener« übersetzen lässt. Der Reiseführer empfahl einen Besuch dieser Villa, die nun ein Museumskomplex ist, nicht wirklich, sie sei eine italienische Pilgerstätte mit eher zweifelhaftem Hintergrund. Zum einen handle es sich um einen eklektizistischen Bau, in dem ein riesiger Berg an unterschiedlichsten Gegenständen zusammengetragen sei, die eher in die Kategorie Kitsch denn Kunst fallen würden. So steht im Garten ein Kreuzer der italienischen Marine ohne echten historischen Wert, der mit enormem Aufwand dorthin gebracht wurde. Zum anderen habe der ehemalige Besitzer und Begründer des Museums, Gabriele D’Annunzio, einen faschistischen Hintergrund. Das war uns Information genug, um diesen Ort nicht anzusteuern. Danach habe ich an diese Geschichte nicht mehr gedacht, bis ich nun Die schwarze Flamme gelesen habe.


Der prunkvolle Narodni dom in seiner ganzen Pracht vor seiner Zerstörung.


Die Brüder Ivan und Zoran Smiljanić begeben sich in ihrer Graphic Novel auf eine schwierige Spurensuche. Wie bereits in Zoran Smiljanić’ Comic Der Mexikaner nehmen sie sich der Geschichte der Slowenen an, die untrennbar verbunden ist mit der Geschichte Österreich-Ungarns und auch Italiens. Das zentrale Ereignis von Die schwarze Flamme ist der Brand des Kulturhauses Narodni dom im Zentrum Triests am 13. Juli 1920. Der Brand stellt nicht nur die wichtigste Zäsur in der jüngeren Geschichte der Slowenen dar, er kann als einer der zentralen Anfangspunkte der faschistischen Bewegung Italiens gesehen werden. Umso erstaunlicher ist es, wie wenig dieser Vorfall bekannt ist und wie wenig auch die Autoren vor Beginn der Recherchen zu der Graphic Novel nach eigener Aussage darüber wussten.

Um den Anschlag in den richtigen historischen Kontext zu stellen, holen die Brüder weit aus und beginnen ihre Erzählung 1904 mit dem Bau des Narodni doms. Wir befinden uns in Triest und begleiten die beiden kindlichen Freunde Josip und Giuseppe, die sich trotz ihrer unterschiedlichen Nationalitäten beide als Apachen bezeichnen in Anlehnung an die Figuren aus Karl-May-Romanen. Von hier aus werden die Ereignisse skizziert, die zum Ersten Weltkrieg führten und weiter zu der Pariser Friedenskonferenz. Hier kommt nun Gabriele D’Annunzio ins Spiel, dem ich in meinem Italienurlaub aus dem Weg gegangen bin. Obwohl er sich selbst nicht für einen Faschisten hielt, gilt er als der Begründer der wesentlichen Elemente des Faschismus wie die Fixierung auf einen Führer, die Massenmobilisierung und vieles mehr. Die daraus resultierende faschistische Bewegung fand ihren ersten Höhepunkt dann in den Ausschreitungen in Triest vom 13. Juli 1920.


Die Freundschaft zwischen Josip und Giuseppe als durchgehender Erzählstrang trägt die Geschichte leider nicht.


Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Erzählung sehr nüchtern und schleppend. Daran ändert auch die fiktive Geschichte zwischen den beiden Freunden nichts, die ich persönlich auch recht unangenehm männlich erzählt fand. Deren gemeinsame Onanieerfahrung war zum Beispiel für den geschichtlichen Zusammenhang nicht sonderlich erhellend. Die träge Erzählweise ändert sich aber schlagartig, sobald sich die Vorgänge auf das entscheidende Datum zuspitzen. Hier wird die Geschichte dicht und packend. Wie nüchterne Historiker versuchen Ivan und Zoran Smiljanić, die Quellen, die sie aufgetan haben, wiederzugeben. So arbeiten sie teilweise zweispaltig, um die sich stark voneinander abweichenden Nachrichten der slowenischen und der italienischen Presse darzustellen. Doch alleine die Fakten sind einfach mitreißend.

Zeichnerisch arbeitet Zoran mit einer Schwarzweiß-Technik mit dickem Strich. Innerhalb der geschichtlichen Darstellungen, zum Beispiel der diplomatischen Verhandlungen, werden seine Zeichnungen cartoonesk und zeigen die Bandbreite seines Könnens. Ansonsten überwiegt Realismus, der aber auch an angemessenen Stellen ins Groteske abrutschen kann.


Zoran Smiljanić hat seine eigene Art, das namenlose Grauen des Faschismus darzustellen.


Am Ende der Geschichte stehen die beiden Freunde Josip und Giuseppe, die sich auf nicht geklärte Weise versöhnen und ihre Distanzen überwinden. In heutigen Zeiten hätte ich ein stärker warnendes Ende angemessener gefunden. Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus! Das hier verwendete eher versöhnliche Ende hat aber auch seine Berechtigung, bedenkt man, dass das Original Mitte 2020, zum hundertjährigen Jubiläum des Brandes, erschienen ist und die Situation in Europa zu diesem Zeitpunkt noch hoffnungsvoller war.

[Mechthild Wiesner]

Abbildungen © 2022 bahoe books / Ivan & Zoran Smiljanić


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