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Frisch Gesehen Folge 1: Daredevil: Born Again

Der blinde Superheld ist zurück! Am 4. März 2025 startete die neue Serie Daredevil: Born Again in den USA, einen Tag später im deutschsprachigen Raum bei Disney+. Neun Folgen zu je um die 45 Minuten hat der Neustart von Daredevil im Marvel Cinematic Universe (MCU), der im Grunde genommen aber genau so gut als vierte Staffel der Netflix-Serie durchgehen würde. CRON konnte die komplette Staffel vorab sehen und schildert spoilerfrei, warum sich diese Serie unbedingt lohnt.


»Gute Menschen sind zu Schlechtem fähig und schlechte Menschen zu Gutem.«


Daredevil: Born Again

Drehbuch: Matt Corman, Chris Ord u.a.
Regie: Justin Benson, Aaron Moorhead u.a.

Disney+
9 Episoden | je ca. 45 Minuten

Genre: Superhelden

Für alle, die das mögen: Daredevil (Netflix-Serie), Defenders, Punisher


Matt Murdock alias Daredevil ist mit einer neuen Serie zurück. CRON klärt die wichtigsten Fragen.

Wer ist Daredevil?

Matt Murdock (gespielt von Charlie Cox) ist als Kind erblindet und zu Superkräften gekommen. Er wuchs im New Yorker Stadtteil Hells Kitchen auf, in ärmlichen Verhältnissen und geprägt durch seinen katholischen Glauben. Früh entdeckte er seine Begeisterung für den Boxsport und mehr noch als mit seinen Fäusten nutze er seinen Verstand, um für das zu kämpfen, was ihm wichtig war. Murdock wurde Anwalt und kämpft nun tagsüber mit Anzug und Krawatte für Gerechtigkeit und abends im roten Kostüm mit den Teufelshörnern als Daredevil, um diejenigen zu bestrafen, denen das Gesetz noch nicht Einhalt gebieten konnte. Sein Ursprung liegt natürlich in den Marvel-Comics. Stan Lee verriet, dass es seinerzeit Befürchtungen gab, dass es als geschmacklos aufgefasst werden könnte, einen Blinden als Superhelden zu inszenieren. Vielleicht ist die Figur gerade wegen solcher Bedenken zu einem der beliebtesten Marvel-Helden geworden, zu einem besonders düsteren, grüblerischen und melancholischen wohl auch.

Daredevil-Darsteller Charlie Cox in seinem Kostüm


Wo war Daredevil bislang zu sehen?

Nach dem mäßig erfolgreichen Kinofilm mit Ben Affleck als Titelfigur und Jennifer Garner als Elektra von 2003 begann mit den Defenders-Serien auf Netflix, angefangen mit Jessica Jones und später um Daredevil, den Punisher und andere Figuren ergänzt, eine völlig neue Ära des Superheldenfernsehens. Drehbücher auf dem Niveau der besten Frank-Miller-Daredevil-Comics, die kinoreife Action, das atmosphärische New York und vor allem die herzliche Verbindung von Murdock und seinem Team Foggy Nelson (Elden Henson) und Karen Page (Deborah Ann Woll) setzten neue Maßstäbe. Der überragende Star von Daredevil ist ganz klar der Schurke: Vincent D’Onofrio spielt Wilson Fisk alias Kingpin mit einer atemberaubenden Präsenz. Dabei changiert der bullige Hüne zwischen einschüchterndem Gangsterboss und dem kleinen, zu kurz gekommenen Jungen aus armen Verhältnissen, der immer nur kämpfen musste, um nicht auf der Strecke zu bleiben.

Bei Marvel wurde inzwischen einiges anders. Disney kaufte Marvel und Fox, Sony hatte die Rechte an Spider-Man, es gab Fernsehserien außerhalb des MCU, die sich auf verschiedene Streamingdiensten wie etwa Netflix oder Amazon Prime Video verteilten. Der Netflix-Daredevil betrat im Kinofilm Spider-Man: No Way Home das MCU. In der TV-Serie She-Hulk (bei Disney+) war er eher als Witzfigur verheizt worden und zuletzt schaffte er es in die charmante Animationsserie Der freundliche Spider-Man aus der Nachbarschaft (ebenfalls bei Disney+), inklusive der ikonischen Musik der Netflix-Show.

Matt Murdock (Charlie Cox, Mitte) im Kreise seiner Freunde Karen Page (Deborah Ann Woll) und Foggy Nelson (Elden Henson)


Was muss ich gesehen haben, um bei Daredevil: Born Again durchzublicken?

Im Grunde genommen nichts. Verständlich ist die Handlung auch für Neulinge. Ihre volle Wirkung entfaltet die Serie aber erst, wenn das Publikum die ersten drei Staffeln von Daredevil, Defenders und den Punisher-Staffeln von Netflix gesehen hat, die inzwischen auf Disney+ erhältlich sind. Entbehrlich für das Verständnis sind hingegen die Serien Hawkeye und Echo, in denen der Kingpin zwar mitspielt, aber wirklich relevant ist das nicht.

Worum geht's bei Daredevil: Born Again?

Wilson Fisk will Bürgermeister von New York City werden, hat dafür aber allerlei Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Ähnlichkeiten zu aktuellen Ereignissen in den USA drängen sich auf, teilweise dann auch etwas zu platt, wenn die Anhänger des Kingpin Baseballcaps tragen mit dem Motto »Fisk will fix it«. Oder wenn es um Eheprobleme des polarisierenden Kandidaten geht, den die eine Hälfte für einen Verbrecher und gänzlich ungeeignet für sein Amt hält, während andere gerne mal erleben würden, wie der bullige Mann mit blanken Händen jemanden den Kiefer zerschmettert, wie es ein Mann von der Straße in einem der TV-Interviews sagt, die von Reporterin BB Urich immer wieder mal die Handlung auflockern. Ebenfalls für etwas Ruhe und zwar für wohltuende Momente der Menschlichkeit und des Humors sorgen Murdocks Freunde; besonders schön ist ein Date, zu dem der blinde Anwalt überredet wird.

Matt Murdock (Charlie Cox, links) trifft auf Wilson Fisk (Vincent D'Onofrio)


Warum lohnt sich Daredevil: Born Again?

Die allererste Staffel von Daredevil wirkte eins zu eins wie ein Comic von Frank Miller. An Daredevil: Born Again war nun Brian Michael Bendis beteiligt. Doch macht sich auch der Einfluss von Disney bemerkbar? Die kurze Antwort: Nein. Das Intro wurde zwar abgeändert und die Titelmusik klingt jetzt etwas anders, die Stärken der Netflix-Serie sind aber erhalten geblieben.

Stellenweise gibt es etwas zu lange und zu viele Szenen vor Gericht und die Momente, in denen Daredevil in voller Montur kämpft, fallen in einem typischen Comic umfangreicher aus. An spannenden Wendungen mangelt es aber nicht. Gleich in der ersten Folge wird die Frage aufgeworfen, wie weit Matt Murdock gehen würde, wenn sich diese Welt immer stärker radikalisierte. Die Aufnahmen aus New York und das herzliche Zusammenspiel von Matt und seinen Freunden hat bereits die Netflix-Shows so sehenswert gemacht. Ebenso die schiere Präsenz von Vincent D’Onofrio. Seine Stimme und die Mimik, die immer so wirkt, als könnte dieser Koloss jeden Moment explodieren und bestialische Gewalt ausüben, ist umso stärker, als sie auf Momente voller Sensibilität gegenüber seiner Frau Vanessa trifft und auf Respekt vor Menschen, die sich wie er selbst emporgearbeitet haben.

Eine Szene am Ende der ersten Folge bringt die neue Staffel (und die aktuelle Weltlage) so beklemmend perfekt auf den Punkt: Der charakterlich völlig ungeeignete Kingpin steht oben, schaut herunter auf die Menschen und die Stadt, die er beherrschen will, die er nach eigener Aussage »liebt«, während unten, von einem roten Blinklicht angestrahlt wie ein Teufel ein ernster Matt Murdock steht, der sich nicht einschüchtern lässt, auch wenn die ganze Welt auf dem Kopf zu stehen und gerade keinen Sinn zu ergeben scheint.

Beängstigende Präsenz: Vincent D'Onofrio als Wilson Fisk alias Kingpin


Über Gastauftritte soll an dieser Stelle nichts verraten werden, für Comicfans ist es aber eine große Freude, dass in dieser Serie klipp und klar gemacht wird, was eine wichtige Figur von Marvel im Kern wirklich ausmacht und was sie von einem Faschisten klar abgrenzt. Schön, dass es so überdeutlich thematisiert wird und bedauerlich, dass sich falsche Nachahmer integre Comichelden für ihre menschenverachtenden politischen Selbstjustizclubs suchen.

Das MCU wurde ab Wanda/Vision, um es wohlwollend zu formulieren, experimentell, brachte mit Hawkeye einen unterhaltsamen neuen Blick auf den Bogenschützen und seine Nachfolgerin. Captain America: Brave New World starte die Kinosaison 2025 mit einem solide mittelmäßigen Film, der bald vergessen sein wird, aber Daredevil: Born Again ist durchweg cineastisch, hochwertig und relevant. Diese Serie unterliegt nicht dem Zeitgeist. Es ist eine zeitlose Geschichte über Gut und Böse, Murdocks katholischen Glauben, die Tatsache, dass Justitia eigentlich blind, also unvoreingenommen sein sollte, und über Kingpins Superkraft: wirtschaftliche Macht. All das sowie die toll choreografierten Kämpfe, die das totale Gegenteil zu kaltem CGI-Overload darstellen, machen Daredevil: Born Again zu einer Comicverfilmung, die schlicht und ergreifend Kunst ist und nicht irgendein schnell zusammengestümperter Content, um ein Disney+-Abo zu verkaufen.

Abseits des Sets ist die Stimmung ausgelassen: Vincent D'Onofrio und Charlie Cox (von links nach rechts)


Was wird die Zukunft bringen?

Das Ende der ersten Staffel kündigt an, dass es weitergehen wird und das vermutlich sogar mit einer sehr prominent besetzten Fortsetzung. Zusammen mit dem Kinofilm Fantastic Four im Sommer könnte sich für das MCU dank Daredevil: Born Again wahrlich ein neues Goldenes Zeitalter anbahnen. Die Serie fühlt sich jedenfalls an wie die besten Comics. Und wer Christopher Nolans Batman-Trilogie, die jüngste HBO-Serie The Penguin und die Marvel-Knights- und Marvel-Max-Comics für Erwachsene mochte, kommt endlich auf seine Kosten.

[Stefan Svik]

Abbildungen © 2025 Disney+ / Marvel Television