BLOG: Comic heut' nich' - Folge 2: Literaturcomics

 

Homers Odyssee bei Brockhaus

In der neuen Folge beschäftigt sich Matthiaz Hofmann mit den ersten Fünf der neuen sogenannten »Literaturcomics« aus dem Hause Brockhaus. Weltliteratur im Comicformat, das gab's schon ein paar Mal. Nicht immer erfolgreich.

 

Comic heut' nich', Comic morg'n …Brockhaus logo

Rapid Comics Comments von Matthiaz Hofmann
2012/KW17 - Folge 2: Literaturcomics

 


Cervantes, Defoe, Homer, Stevenson, Verne

Robinson Crusoe TitelbildKennt ihr schon die neuen »Literaturcomics«? Nein? Dann liegt das vielleicht daran, dass sie nicht bei einem der gängigen Comicverlage erscheinen, sondern bei einem der führenden Lexikonverlage Europas. Zum Wissen Media Verlag GmbH gehört der Verlag inmediaONE], der unter der hypersperrigen Bezeichnung »F.A. Brockhaus/wissenmedia in der inmediaONE] GmbH« [sic!] firmiert. Man merkt schon, hier liebt man es en detail.

Brockhaus hat beschlossen, auch auf dem Gebiet der Comics aktiv zu werden, und so kaufte man in Frankreich bei Glénat ein. Die auf 50 Bände geplante Reihe »Les Incontournables de la littérature en BD« ist inzwischen bei Album 30 angelangt. Letzte Woche sind die ersten fünf deutschen Übersetzungen erschienen.

Aber kann man einen kompletten mehrere hundert Seiten langen Roman mit einem einzigen, vergleichsweise kurzen, Comic von nur 30-50 Seiten Länge darstellen? Ja, man kann.

Doch Comicexperten wissen: Die Geschichte des Comics hat im Lauf der Jahrzehnte schon jede Menge Romanadaptionen gesehen. Mal recht, mal schlecht, oft eher schlecht als recht.

Die Vorläufer: Nur von Sammlern gesucht

Die bekanntesten und langlebigsten Vertreter liegen schon ein paar Dekaden zurück. Von der Serie Illustrierte Klassiker (Verlag IK bzw. bsv) erschienen von 1956 bis 1972 unter dem Slogan »Die spannendsten Geschichten der Weltliteratur« mehr als 200 Hefte. Basteis Heftreihe Welt-Bestseller brachte es von 1977 bis 1978 auf 48 Hefte. Hier hieß es im Untertitel »Berühmte Bücher in mehr als 200 Bildern nacherzählt«.

Illustrierte Klassier Nr. 65 Titelbild  Welt-Bestseller Nr. 47

Beiden Serien war gemein, dass sie recht bieder daher kamen. Schlechte, mitunter richtig hölzerne Massenware, die brav und altmodisch wirkte. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mir als Kind die Illustrierte Klassiker-Version von Shakespeares Hamlet in die Finger fiel. Die Story fand ich extrem langweilig, aber der Schluss, als sich alle gegenseitig umbrachten und starben, hat mich so beeindruckt, dass er sich mir für immer eingeprägt hat. Als Shakespeare dann im Englischunterricht in der Schule auftauchte, wusste ich bereits Bescheid. »Etwas ist faul im Staate Dänemark«. Und: »Der Rest ist Schweigen«. Also gilt: Irgendwas bleibt immer hängen. Und so erfüllen selbst die schlechtesten Comicfassungen durchaus ihren Zweck.

Vielleicht war das der Indikator für meine latente Schwäche für Literaturadaptionen in Comicform, die ich seit dem habe? Vielleicht ist es der Reiz, in komprimierter Form umfangreiche Prosa goutieren zu können? Oder vielleicht ist es einfach die Neugier darüber, wie Comicautoren die jeweilige Literaturvorlage ins Medium der Neunten Kunst übertragen? Wie dem auch sei, ich verfolge seit dem derartige Versuche stets mit besonderem Interesse.

Gelungener Start bei Brockhaus

Dieses Jahr ist es wieder so weit: Ein Verlag startet eine ganze Reihe mit Comics, die jeweils einen weltberühmten Roman der Abenteuerliteratur umsetzen. Brockhaus hält sich mit seiner deutschen Ausgabe nicht an die Reihenfolge der französischen Vorlage. Nur drei der Stoffe der ersten fünf Alben sind gleich: Die Schatzinsel von Robert Louis Stevenson. Robinson Crusoe von Daniel Defoe und In 80 Tagen um die Welt von Jules Verne. Und statt Victor Hugos Der Glöckner von Notre-Dame und Rudyard Kiplings Dschungelbuch gibt es für die deutschen Leser erst einmal Homers Odyssee und Miguel de Cervantes' Don Quijote.

Robinson Crusoe Leseprobe

Als ich von der Reihe hörte, war ich zuerst skeptisch. Alleine die Tatsache, dass die schönen Titelbildmotive von Jean-Yves Delitte (Black Crow, Tanatos) in einer verkleinerten Version abgebildet werden, ist nicht gerade ein Geistesblitz, wenn man einen auf Optik ausgerichteten Comic verlegen will. Als »Producer« (kein Witz, steht so im Impressum) holte man sich den bekannten und erfahrenen schwäbischen Comicexperten Horst Berner an Bord, der für die Umsetzung des deutschen Pakets verantwortlich ist.

Die Romanvorlage: Robinson Crusoe bei InselDas Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Alben sind sehr ansprechend gemacht. Verarbeitung, Lektorat und das zusätzliche Bonusmaterial in Form von reichlich bebilderten Kurzartikeln sind vorbildlich und lassen kaum Wünsche offen. Nur: Wenn alte Umschläge der Romanvorlagen abgebildet werden, sind die französischen Titelbilder zu sehen und nicht die deutschen, ein Detail, welches darauf schließen lässt, dass man hier nichts Eigenständiges eingebracht hat. Was aber nicht weiter tragisch ist, und eher Jammern auf sehr hohem Niveau gleich kommt.

Aber wie gelungen sind die Umsetzungen ins Comicformat? Ich schnappte mir ohne besonderen Hintergedanken Robinson Crusoe. Ich hatte den Roman irgendwann als Jugendlicher gelesen und kannte eine alte Verfilmung aus den 1950er Jahren, die mich in meinen Kindertagen schwer beeindruckt hatte.

Ich habe den Comic in einem Rutsch durchgelesen und fand ihn trotz der Tatsache, dass ich die Geschichte kannte, spannend. Alle wesentlichen Handlungselemente finden sich im Comic wieder und man hat nicht das Gefühl, es würde etwas Wichtiges fehlen. Die Zeichnungen von Jean-Christophe Vergne sind eher durchschnittliches frankobelgisches Unterhaltungsmaterial. Das heißt, sie sind realistisch und klar, einigermaßen detailreich gezeichnet und lassen erkennen, dass der Mann zeichnen kann. Es ist jedoch nichts, was einen besonders umhaut, weil ein eigenständiger Stil fehlt. Es wird das transportiert, was die Handlung vorgibt. Punkt. Nicht mehr und nicht weniger. Aber es passt.

Danach habe ich eher pflichtbewusst die zusätzlichen Artikel im hinteren Teil des Bandes gelesen. Und ich wurde auch hier positiv überrascht. Nach dem Motto »Der Autor und sein Werk« stellt man die Biografie von Daniel Defoe und dessen Gesamtwerk vor. Dazu gibt es einen Text zu dem 1719 erschienenen Roman und seiner zeitgenössischen Rezeption und auch die Zeit, in der Daniel Defoe lebte, wird prägnant beleuchtet, indem auf zwei Seiten die englischen Revolutionen, Englands Weg zur Weltmacht und Kolonialismus und Sklavenhandel beschrieben werden. Als ich alles gelesen hatte, musste ich einfach zum Bücherregal laufen und die Romanvorlage suchen. Das Blättern in dem alten »Insel Taschenbuch« rief zusätzliche Erinnerungen in mir hervor.

Obwohl ich keine Zeit dazu hatte, habe ich mir einen Tag später In 80 Tagen um die Welt geschnappt. Und obwohl die Geschichte sehr bekannt ist und auch aufwändig verfilmt wurde, ist es eine der Jules Verne Geschichten, die ich nicht wirklich kannte. Mich hatten immer mehr seine Science Fiction-Stoffe wie Die Reise zum Mittelpunkt der Erde oder 20.000 Meilen unter dem Meer interessiert.

Auch hier stellte sich der gleiche Effekt ein. Die Lektüre hat mich gut unterhalten. Die zusätzlichen Texte vermittelten mir ein gerütteltes Maß an wissenswerten Informationen und rundeten damit das Bild ab. Endlich habe ich die Geschichte der Wette von Phileas Fogg und die darauffolgende Weltreise des Engländers und seines französischen Dieners Passepartout in ihrer Gesamteinheit verinnerlicht. Und auch hier verspürte ich Lust, mal den Blick in die Romanvorlage zu werfen.

In 80 Tagen um die Welt Titelbild  Don Quijote Titelbild

Da ich nicht unbedingt typisch bin und die Zielgruppe »Jugendliche ab 10 Jahren« sind, würde es mich natürlich brennend interessieren, wie andere darüber denken. Darüber hinaus werden wir diese neuen »Literaturcomics« zum Anlass nehmen und ein Feldexperiment durchführen. Wie kommen diese Comicadaptionen bei den Schülern von heute an? Wir machen den Test und das Ergebnis wird im neuen Comicfachmagazin ALFONZ – Der Comicreporter vorgestellt (in der Nr. 2/2012, die im Herbst erscheinen wird).

Abbildungen
Brockhaus Literaturcomics © 2012 F.A. Brockhaus/wissenmedia in der inmediaONE] GmbH,
Originalausgabe © 2010 Editions Adonis/Editions Glénat

 


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Brockhaus Literaturcomics

F.A. Brockhaus/wissenmedia in der inmediaONE] GmbH, Gütersloh/München
HC, Farbe, je 56 Seiten, 28,7 x 21,2 cm, je 12,95 Euro

Bisher erschienen:

Daniel Defoe, Robinson Crusoe (Originaltitel: Robinson Cruesoé)
Adaption: Christophe Lemoine, Zeichnungen: Jean-Christophe Vergne
Aus dem Französischen von Marcel Le Comte

Homer, Odyssee (Originaltitel: L'Odyssée)
Adaption: Christophe Lemoine, Zeichnungen: Miguel Lalor Imbiriba
Aus dem Französischen von Klaus Jöken

Jules Verne, In 80 Tagen um die Welt (Originaltitel: Le Tour du monde en 80 jours)
Adaption: Chrys Millien, Zeichnungen: Chrys Millien
Aus dem Französischen von Marcel Le Compte

Miguel de Cervantes, Don Quijote (Originaltitel: Don Quichotte)
Adaption: Philippe Chanoinat, Djian, Zeichnungen: David Pellet
Aus dem Französischen von Uli Pröfrock, Horst Berner

Robert L. Stevenson, Die Schatzinsel (Originaltitel: L'île au trésor)
Adaption: Christophe Lemoine, Zeichnungen: Jean-Marie Woehrel, Patrice Duplan
Aus dem Französischen von Klaus Jöken

Odyssee Titelbild  Die Schatzinsel Titelbild


 Weiterführende Links:

Serienserie bei Brockhaus: Literaturcomics


Über das Blog

Mit »Comic heut' nich', Comic morg'n …« räumt Matthiaz [sic!] auf, denn jede Woche flattern ziemlich viele Comics auf seinen Redaktionstisch. Nicht alles eignet sich für lange Abhandlungen, aber vieles ist es wert, dass man ein paar Worte darüber verliert. Also macht er es sich bequem und schreibt darüber. Und manchmal auch darüber hinaus …