Der deutsche Comickomplex - Interview mit Melanie Schober

In Ihrem Artikel »Der deutsche Comickomplex« in der neuen Ausgabe von ALFONZ - Der Comicreporter geht Kristina Auer der Frage nach, warum eine Laudatio während der Max und Moritz-Preisverleihung keineswegs zur Spaltung der deutschen Szene führen sollte. Was sagt Hella von Sinnen zu den Reaktionen auf ihre Laudatio zu Martina Peters' D-Manga TƎN? Alfonz und CRON präsentieren die aufschlussreichen Interviews mit Melanie Schober, Andreas Wiedemann und Hella von Sinnen, die eine Antwort auf diese und noch mehr Fragen geben.

Melanie Schobergermany48
im Gespräch mit ALFONZ

Die Interviews Teil 1: Melanie Schober (Mangazeichnerin aus Österreich; aktuelle Mangaserie Skull Party, erscheint bei Carlsen)

Foto (c) Melanie SchoberKristina Auer (Alfonz): In meinem Artikel möchte ich die Hintergründe der ganzen Diskussion rund um Hella von Sinnens Laudatio zu TƎN während der diesjährigen Max-und-Moritz-Preisverleihung ein bisschen beleuchten. Mich interessiert nun vor allem, was die ›Mangaleute‹ dazu bewogen hat, sich über die Anmoderation von Hella von Sinnen so sehr aufzuregen.

Melanie Schober: Also ich war ja auch mit dabei als Zuschauerin. Mich regt es natürlich auch persönlich auf, weil Martina eine gute Freundin von mir ist. Da ist man dann natürlich persönlich betroffen, wenn einer Freundin so etwas passiert. Und selbst wenn sie keine gute Freundin von mir wäre, hätte mich das schockiert – muss ich ehrlich sagen. Ich fand halt den Kontrast zu den Laudationes für die übrigen Comics und Zeichner ganz stark. Ich hatte das Gefühl, dass sich Hella schon lustig gemacht hat über Martina.

KA: Was genau hat dich an dieser Moderation am meisten gestört, welche Formulierung?

MS: Am meisten hat mich gestört, dass sie gesagt hat, dass sie »mit diesen ›Bill Kaulitz-Manga‹ nichts anfangen« kann. Sie meinte ja, das wisse man ja schon vom letzten Mal, dass ›Bill Kaulitz-Manga‹ nichts für sie sind. Und damit meinte sie halt die deutschen Manga, nehme ich mal an. Was mich daran aufgeregt hat, war, dass sie damit indirekt sagt, dass wir alle Dasselbe machen, dass das in irgendeiner Weise alles gleich aussieht. So habe ich das empfunden – dass das alles gleich zu bewerten ist, dass man da nicht irgendwie einen Unterschied macht und sich das Werk einzeln ansieht, sondern das sind halt diese ›Bill Kaulitz-Manga‹. Das hat mich persönlich ziemlich aufgeregt. Denn wir bemühen uns um Vielfalt. Das ist das Hauptvorurteil, hab' ich das Gefühl, dass Manga immer das Gleiche ist, alles gleich aussieht und dass man da gar nicht genauer hinschaut.

KA: Und ansonsten? Wie hast du den Comic-Salon erlebt dieses Jahr, bezogen darauf, wie mit Manga und deutschen Mangazeichnern umgegangen wurde?

MS: Ich hatte nicht das Gefühl, dass der Comic-Salon uns jetzt wirklich schlecht behandelt. Ich habe mich schon wohlgefühlt. Man hat schon gespürt, dass der Comic-Salon eher ein ›Comic‹-Salon und kein ›Manga‹-Salon ist. Aber das ist ja auch okay. Wir haben ja dafür auch unsere Manga-Conventions und so. Bei der Signierstunde ist dann z.B. nicht so viel los. Da sitzt man dann – und neben einem ist der Joscha Sauer oder der Ralf König und die haben dann halt eine Schlange bis keine Ahnung wohin. Aber damit kann ich gut klarkommen. Das einzige, was ich nicht so toll fand, war, dass sie den Doujinshi-Bereich mit den Hobbyzeichnern so sehr außerhalb platziert haben. Witzigerweise sind trotzdem genug Leute vorbei gekommen – also das Gefühl hatte ich schon –, aber vor zwei Jahren war das besser. Das war näher am Salon dran, also nicht auf einem anderen Platz. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass der Comic-Salon gedacht hat: »Ach die Manga-Leute setzen wir jetzt hier in die Ecke, denn die wollen wir nicht haben.« Das glaube ich nicht. Ich hatte nicht das Gefühl, dass wir absichtlich ausgegrenzt wurden. Dieses Gefühl hatte ich eben nur bei der Laudatio von Hella.
Vom Gefühl her glaube ich, dass nur Hella wirklich ein Problem mit deutschen Manga gehabt hat. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Veranstalter des Salons ein Problem mit deutschen Zeichnern haben. Die wollten denen eher auch noch eine Plattform bieten und sie integrieren.
Vom Gefühl her glaube ich, dass Hella einfach nichts mit deutschen Manga anfangen kann. Da denk ich mir halt, ob sie die richtige Person ist, um so was zu moderieren, wenn sie da so voreingenommen ist. Dann sollte man halt Hella nicht gerade die deutschen Manga machen lassen, wenn man schon weiß, dass sie die halt nicht so mag und dass sie da voreingenommen ist.

KA: Ich habe die Diskussion, die um diese Moderation stattgefunden hat, ja auf Facebook und über andere Netzwerke so ein bisschen mitverfolgt und viele, gerade von den ›Comicleuten‹, waren überrascht, dass Martina Peters oder gerade auch viele Mangafans sich über die Moderation, die Formulierungen, die da gefallen sind, so sehr aufgeregt haben – und dass Martina Peters sogar in Tränen ausgebrochen ist. Ganz häufig habe ich so etwas gelesen wie: »Warum steht die da nicht drüber? So was kommt halt mal vor. Warum nimmt die das so ernst? Warum nimmt die sich das so zu Herzen?« Kannst du mir vielleicht Martinas Reaktion erklären?

MS: Martina ist sehr emotional und sie ist auch ein sehr stolzer Mensch. Sie legt sehr viel Wert auf Respekt ihr gegenüber und auch anderen gegenüber. Sie ist ein sehr loyaler Mensch. Es ist ja auch so, dass es nicht nur Comiczeichner gegeben hat, die sich darüber gewundert haben, dass wir uns so aufgeregt haben. Es gab auch Comiczeichner, die klar auf unserer Seite standen und gesagt haben: »Boah, das fand ich jetzt aber nicht okay.« Wir hatten viel Zuspruch, auch von Comiczeichnern, die gesagt haben: »Was war denn das jetzt?!« Schisslaweng meinte auch zu uns, dass er das nicht okay fand. Er war ja der direkte Konkurrent von Martina und er meinte, dass ihm das total leidgetan hat, wie das da gelaufen ist, dass das für ihn auch schon so ein bisschen die Veranstaltung trübt. Das zeigt, dass das nichts ist, was wir Mangazeichner uns eingebildet haben. Ich glaube, manche wollen das so darstellen: »Och, die empfindlichen Mangazeichner da. Die wollen halt irgendwie Zucker in den Arsch geblasen kriegen.«
Was noch dazu kommt: Es ist nicht nur mal so, dass der deutsche Manga so runtergemacht wird. Das ist eigentlich etwas, worunter unsere Szene allgemein schon zu leiden hat. So empfinde ich das. Es gab vor kurzem von Millus einen Blogartikel darüber, wie verderbt die deutsche Mangaszene doch sei. Also, dass wir ja alle nur kleine Kinder sind, die vom Verlag überwacht werden müssen, damit wir keinen Blödsinn machen, dass wir unsere Deadlines nicht einhalten ... und anderen Unsinn hat er verbreitet. Dann gab es renommierte Comiczeichner, die sich geäußert haben, z.B. Ulli Lust, die meinte, dass sie von diesen deutschen Manga-Mädchen nichts hält, die immer ihrem japanischen Vorbild nachhecheln und ja eigentlich nichts Eigenes machen. Das hat sie halt auch gesagt, obwohl sie bisher keinen deutschen Manga wirklich gelesen hat. Sie hat einfach nur ihre Vorurteile da wiederholt. Ich empfand das halt so, dass auf der Max-und-Moritz-Preisverleihung wieder dieses Vorurteil zementiert wurde mit diesem Satz mit den ›Bill Kaulitz-Manga‹. Ich hatte das Gefühl, die beschäftigen sich gar nicht damit. Ich glaube, das Wichtigste für die deutschen Zeichner wäre, wenn sich die Jury mal bewusst ansehen würde, was da gemacht wurde, was da geleistet wurde.
Das ist etwas, womit wir wirklich zu kämpfen haben, dass wir noch immer nicht als Individualisten, sondern nur als eine Masse von Zeichnern wahrgenommen werden, die japanische Manga nachmacht. Dass wir wirklich allesamt einen eigenen Stil haben, auch einen eigenen Stil zu erzählen, und dass wir verschiedene Geschichten erzählen, das scheint niemanden wirklich zu interessieren. Ich empfand es schon als sehr beleidigend für die ganze Szene, so mit Martina umzugehen. Und deswegen ist sie dann wahrscheinlich auch in Tränen ausgebrochen: wegen diesem ganz starken Kontrast zwischen der Art und Weise, wie Hella die anderen Comics gelobt hat und wie sie das Lob für Martinas Comic formuliert hat. Bei den anderen ging Hella immer auf die Zeichnungen oder die Geschichte ein. Bei Martina waren die Musikempfehlungen zu den einzelnen Kapiteln das Einzige, das sie gelobt hat. Also man empfindet das dann doch nicht als Lob, weil das ja eigentlich gar nichts mit ihren Zeichnungen und der Geschichte zu tun hat – selbst wenn Hella es nett gemeint hat. Angekommen ist es so, dass das einzig Gute an Martinas Manga das ist, was nichts mit ihrem Manga zu tun hat, nämlich die Musikempfehlungen. Ich glaube, dass sie deswegen dann halt geweint hat. Denn es ist keine leichte Arbeit einen Manga zu zeichnen. Es ist nicht so, dass das nur Spaß macht oder so. Es ist viel Arbeit. Man sitzt stundenlang pro Tag da und hat Hoffnungen und Träume und dann kommt man so weit, sitzt auf der Verleihung und erwartet sich zumindest eine respektvolle Laudatio und dann kommt so etwas ... Das sind alles die Dinge, die zusammenspielen: Also, die Erwartung, dass man vielleicht was erreicht, die Erwartung, dass man respektiert wird – auch von der ganzen Comiccommunity, denn im Grunde machen wir ja alle das Gleiche, wenn man es jetzt mal auf die Basics herunterbricht. Aus meiner Sicht ist das alles ein Ding, ob nun japanisch angehaucht oder nicht. Diese Trennung, die gefällt mir sowieso nicht. Dann spielt das halt alles so zusammen: die hohe Erwartungshaltung, die Dinge, die wir schon erlebt haben, die viele Arbeit, die da drin steckt. Deswegen glaube ich, war das dann bei Martina so emotional.

KA: Kannst du vielleicht noch ein bisschen mehr eingehen auf die negativen Dinge, die ihr erlebt habt in den letzten Jahren?

MS: Von Anfang an gab es viele Hater, die meinten, dass die Deutschen alle nicht zeichnen können und dass nur Japaner Manga zeichnen können.
Was mir noch aufgefallen ist: Ich war ja auch oft für den Sondermann nominiert, auch wenn ich es nie geschafft habe. Ich habe mir halt dann immer die Rezensionen vom Spiegel Online durchgelesen, also wie die so klangen. Da ist mir dann halt schon aufgefallen, dass die Rezensionen für die deutschen Manga oft ein bisschen spöttisch klangen. Bei mir stand mal, dass ich mich am RTL 2 Nachmittagsprogramm inspiriert habe.
Was über die Jahre heruntergebrochen zu sagen ist, ist halt, dass es immer Leute im Internet gab, die dagegen waren, die gesagt haben: »Warum dürfen die Manga zeichnen, das sind keine Japaner, die sollen verschwinden.« Dann Journalisten – besonders von denen aus dem Comicbereich –, die das nicht wirklich ernst genommen haben und halt immer mit dieser ›Och, das ist doch alles Dasselbe‹-Keule gekommen sind.
Seit es Facebook gibt und die Facebook-Künstlerseiten, hat sich viel verbessert. Das hat wohl irgendwie den Blick auf uns Zeichner verändert. Man hat mehr gesehen, wie sehr sich die ganze Szene auch Mühe gibt, eine Geschichte zu entwickeln oder Figuren zu entwickeln, die begeistern. Man hat dann halt mitverfolgen können, wie eine Figur entwickelt wird. Dann kamen immer mehr richtige Fans, loyale Fans hinzu.
Es gibt immer noch negative Leute, aber es wächst auch das Positive. Deswegen hat man ja auch gehofft, dass mit dem Einmarsch der deutschen Manga beim Max-und-Moritz-Preis das dann noch besser wird. Dass dann irgendwann mal die Comiczeichner neben den Mangazeichnern stehen und sich die Hand reichen und sagen: »Ja tolle Arbeit, die du geleistet hast. Ich habe das auch gelesen, was du gemacht hast.« Das wäre der Oberhammer! Ich lese ja auch Comics aus Deutschland. Ich habe ja auch zum Beispiel von Ulli Lust Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens gelesen. Ich fand den Titel schon so cool. Und den Comic fand ich auch total toll und dann war es halt auch sehr traurig von Ulli Lust so etwas zu hören, dass sie diese Manga-Mädchen nicht ernst nehmen kann.

KA: Es gab ja mal diese Chibi Manga von Carlsen: Auf Animexx habe ich gelesen, dass es da mal so eine Chibi-Manga-Verbrennung gab. Was hat es denn damit auf sich?

MS: Ja, das stimmt. Es gab sogar mal eine Manga-Verbrennung. Ich glaube, das war der Chibi Manga Geeks von Michael Rühle. Da hat halt jemand Bilder davon gepostet, wie er diesen Chibi verbrennt, weil er ihn ja so schlecht findet. Die Bilder hat er im Animexx-Forum gepostet. Das wurde dann natürlich gelöscht. Denn das ist ja höchst beleidigend. Aber es gab auch andere Sachen, z.B. hat Olga Rogalski eine Mail bekommen, als sie ihren Manga veröffentlicht hat, dass sie gefälligst wieder in ihr Loch zurückkriechen soll, aus dem sie gekommen ist und dass sie sich aus der Szene verpissen soll. Ich habe ja auch schon mal so etwas Ähnliches erlebt. Als ich angefangen habe, hat jemand nach dem zweiten Band von Personal Paradise extra einen Blogeintrag verfasst und aufgeführt, was alles schlecht ist an dem Ding und hat dabei auch Kleinigkeiten kritisiert, wie die Länge der Zigaretten und so. Der hat sich da halt auch lustig gemacht über das Ganze. Als keine Reaktion von mir kam, haben sie das dann auch direkt im Animexx-Forum verlinkt, damit ich das ja auch sehe – das Ganze verpackt als Rezension. Das Traurige an der Sache war, dass das halt auch irgendwie Kollegen waren, die das Ganze gemacht haben.
Für mich ist es schwer verständlich, warum es da zum Teil so viel Hass gibt. Ich sage immer: »Leben und leben lassen.«

KA: Das heißt also, ihr werdet nicht nur von ›Comiczeichnern‹ in dem Sinne angegriffen, sondern auch wirklich von Leuten, die aus der eigenen Community kommen ...

MS: Ja, leider gibt es auch Kollegen innerhalb der Szene, die nicht so freundlich sind. Ich finde, dass das total der falsche Weg ist, sich gegenseitig fertig zu machen. Denn was bringt das auch für eine Außenwirkung? Ich meine, dann haben ja diverse Leute Recht, die sagen, dass wir ein Kindergarten sind.
Jedes Mal, wenn dann wieder irgendwer aus dem Nichts auftaucht und rumtrollt, denke ich: »Nein, hört doch auf, seid euch doch einig untereinander!« Gerade gemeinsam könnten wir ja auch viel mehr schaffen ... Ein schönes Beispiel ist »BALL BOY«, ein Handymanga, der von sechs deutschen Mangazeichnern in Zusammenarbeit auf der DoKomi 2014 herausgebracht wurde.
Wenn wir mehr Zusammenhalt demonstrieren würden oder uns zumindest mehr gegenseitig akzeptieren würden, dann würden wir öfter so Sachen machen wie BALL BOY und dann kämen wir einfach mehr voran. Das würde uns mehr helfen, wenn wir manchmal ein bisschen einiger wären oder wenn sich halt manche Leute zusammenreißen würden.

KA: Ich verstehe jetzt, dass gerade durch diese ganzen Erfahrungen, die ihr gemacht habt als Zeichner, dass durch die Anfeindungen und Abwertungen, die von außen kamen, die Community insgesamt ein wenig empfindlich ist.

MS: Ich glaube die ganze Community sehnt sich halt nach Anerkennung von etwas, das renommiert ist. Der Max-und Moritz-Preis ist ja etwas, das auch außerhalb unserer Szene renommiert ist und etwas von Wert darstellt, genauso wie der Sondermann, den es ja leider nicht mehr gibt. Ich glaube danach sehnt sich die Mangaszene so ein bisschen: Dass mal jemand sagt: »Boah, die Mangazeichner haben ganz schön viel erreicht in den letzten 15 Jahren. Sie sind Individualisten und haben es verdient, gefördert zu werden.«
Ich glaube, das würde uns schon reichen an Anerkennung, wenn die Comiczeichner sagen: »Ja, unsere Mangakollegen, die machen ja im Grunde das Gleiche wie wir, sie versuchen halt ihre Visionen umzusetzen in ihrem eigenen Stil und das finden wir cool und wir unterhalten uns auch mit denen.«


Die weiteren Interviews zum Thema im Überblick

Teil 1: Melanie Schober (Mangazeichnerin aus Österreich; aktuelle Mangaserie Skull Party, Carlsen)
Teil 2: Andreas Wiedemann (Verlagsvertreter für den Comic- und Bahnhofsbuchhandel, Egmont)
Teil 3: Hella von Sinnen (deutsche Komikerin; Moderation der Max-und-Moritz-Preisverleihungsgala seit 2010)


Weiterführende Links:

Mehr über ALFONZ - Der Comicreporter Nr. 4/2014.

Videomitschnitt der Preisverleihung des Max-und-Moritz- Preises 2014 auf Splashcomics.de.

Der Erlanger Entschuldigungsbrief im Comicforum.