Reprodukt Programmvorschau 2016 - Interview mit Dirk Rehm

 

Reprodukt 2016

Im Jahr 2016 feiert Reprodukt seinen 25. Geburtstag. Der Berliner Verlag kann auf eine wechselvolle und spannende Geschichte zurückblicken, die sich auch in den für das Jubiläumsjahr angekündigten Aktionen und Novitäten ablesen lässt. CRON sprach mit Dirk Rehm und Michael Groenewald übers Feiern, Verlegen und Kinder Glücklichmachen.

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Interview mit Dirk Rehm und Michael Groenewald

 

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Dirk Rehm, 2014

Herzlichen Glückwunsch, Dirk: Reprodukt feiert 2016 seinen 25. Geburtstag! Welche Aktionen und Publikationen sind zu diesem besonderen Ereignis geplant?

Dirk Rehm: Am Samstag, den 18. Juni gibt es bei uns in Berlin-Wedding auf dem Gelände von ExRotaprint ein großes Jubiläumsfest mit Zeichen- und Schabkartonworkshops, Lesungen und anschließender Party! Vor allem aber wollen wir das ganze Jahr über unsere Autoren in den Mittelpunkt stellen: Im März kommt Craig Thompson auf Signiertour, um sein kürzlich erschienenes Buch »Weltraumkrümel« vorzustellen. Auf der Leipziger Buchmesse sind Präsentationen mit Aisha Franz, Sascha Hommer und Olivier Schrauwen geplant – wie 2016 überhaupt im Zeichen von Flandern und der Niederlande, dem Gastland der kommenden Frankfurter Buchmesse, stehen. Für uns bedeutet das, neben »Arsène Schrauwen« erscheinen auch neue Bücher unser flämischen Zeichner Brecht Evens, der mit »Panter« zum Comic-Salon Erlangen anreist, und Judith Vanistendael, deren »El Salto« zur Buchmesse im Herbst erscheint.

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Mit gleich zwei Büchern von Jaime Hernandez holt ihr einen Klassiker aus den frühen Reprodukt-Tagen wieder zurück in euer Programm. Warum hat es so lange gedauert, bis der deutsche Leser Maggie, Hopey und die anderen Figuren aus Love & Rockets wiedersieht?

DR: Als wir 1991 mit »Love & Rockets« begonnen haben, waren die Produktionen enorm arbeits- und zeitaufwändig, doch die Verkaufszahlen von Band zu Band rückläufig – was bei einer Serie aber auch ein Stück weit normal ist. Mit »Der Tod von Speedy«, »Blut von Palomar«, »Fliegen an der Decke, »Wig Wam Bam« und »Love & Rockets X« haben wir eine Zeitlang einmal im Jahr einen neuen Band herausgebracht. Das war aber offenbar zu wenig, um die Leser an die Reihe zu binden. Mein Eindruck war, dass viele Leser, die zunächst von der deutschsprachigen Ausgabe begeistert waren, die amerikanische Originalausgabe weitergelesen haben. Wir waren schlicht zu langsam, um dem Bedarf zu entsprechen. Aber da ich in den gesamten Neunzigerjahren kein Geld mit der Verlagsarbeit verdient habe und daher andere Jobs machen musste, war das nicht schneller zu machen.

Heute sind wir vertrieblich besser aufgestellt und sollten in der Lage sein, die neuen Bände deutschlandweit im Buchhandel zu platzieren. »Love & Rockets«, von Gilbert und Jaime Hernandez bereits 1982 begonnen, hat an Eleganz der Zeichnungen und Komplexität der Inhalte in all den Jahren nur dazugewonnen – und der neue Band »Liebe und Versagen« führt Maggie und Ray zurück zu ihrer Beziehung, die sie in »Der Tod von Speedy« begonnen haben. Es schließt sich also nicht nur ein Kreis...

Ist das zugleich der Start einer Werkausgabe mit Büchern der Los Bros. Hernandez?

DR: Nein, eine Werkausgabe wollten wir bewusst nicht ankündigen, um uns nicht selbst in einen unnötigen Zugzwang zu bringen. Lassen wir uns überraschen!

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Am neuen Programm fällt die hohe Dichte an hochkarätigen internationalen Autoren auf: Daniel Clowes, Cyril Pedrosa, Adrian Tomine, Igort, Pascal Rabaté, David Prudhomme. Das schreit ja geradezu nach einem großen Aufgebot zum Comic-Salon in Erlangen, oder?

DR: Bislang haben wir für Erlangen Zusagen von Igort, Cyril Pedrosa, Marie Pommepuy & Sébastien Cosset (Kerascoët), Brecht Evens, Olivier Schrauwen, Arne Bellstorf, Sandra Brandstätter, Aisha Franz, Anna Haifisch, Sascha Hommer, Ferdinand Lutz, Mawil, Lasse Wandschneider, Thomas Wellmann, Patrick Wirbeleit... Es dürfte voll werden am Stand.

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Welche Neuheit ist dir besonders wichtig, und warum?

DR: »Der Tod von Speedy«, keine Frage. Damit hat der ganze Unsinn angefangen...

Michael Groenewald: Für mich ja auch »Liebe und Versagen« – nach mehr als 30 Jahren der Arbeit an denselben Figuren legt Jaime Hernandez hier eine Story vor, die nicht nur ein Höhepunkt in seinem Schaffen ist, sondern die meisten zeitgenössischen Comics locker in die Tasche steckt. Bewegend, aufregend, mutig. Für mich war die überragende Qualität von »Liebe und Versagen« ein Grund mehr, »Love & Rockets« wieder ins Programm zu nehmen. Wie doof wäre das, als Comicverlag die besten Comics nicht zu verlegen?

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Mit der Gesamtausgabe von Kerascoëts und Huberts Fräulein-Rühr-Mich-Nicht-An legt ihr eine weitere Serie in einer Gesamtausgabe neu auf, die ihr zuvor in Einzelalben herausgebracht habt. Ist damit das endgültige Aus des klassischen 48-Seiten-Albums bei Reprodukt in Sicht?

DR: Nein, das ist es sicher nicht – zumal Lewis Trondheim unlängst verkündet hat, dass er wenigstens 20 Alben von »Ralph Azham« schreiben und zeichnen will. Das bedeutet ja, wir haben aktuell noch nicht mal die Halbzeit erreicht...

Allerdings macht uns der Albenmarkt derzeit wirklich keine Freude, und vor allem ergibt es für uns keinen Sinn, mit den vielen monatlichen Neuheiten im Albenbereich – die vor allem von Splitter kommen – um die wenigen Präsentationsplätze im Comichandel zu konkurrieren. Aber da unsere Autoren auch in Frankreich gerne in anderen Formaten als dem klassischen Albenformat arbeiten, macht uns diese Problematik zum Glück kein wirkliches Kopfzerbrechen.

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Als »Schritt in die Zukunft« wird eine neue von Aisha Franz und Sascha Hommer kuratierte Buchreihe bezeichnet, die als Experimentierfeld für deutschsprachige Zeichner dienen soll. Was versprecht ihr euch von diesem Format?

DR: Nun, vor allem viel Interaktion mit jungen Zeichnern. Mit »Kinderland« und »Irmina« haben wir vergangenes Jahr zwei Bestseller veröffentlicht, und nicht nur deshalb scheint uns die Arbeit mit deutschen Zeichnern für die Zukunft am vielversprechendsten – die Arbeit mit deutschen Autoren macht einfach viel mehr Spaß als die Übersetzung von lizensierten Comics. Und es muss nicht gleich ein 300-Seiten-Buch sein, mit dem man an den Start geht. Auch Mawil hat mit Fanzines im Selbstverlag begonnen, Barbaras erstes Projekt »Le Visiteur« ist eher eine illustrierte Geschichte als ein Comic.

In der täglichen Verlagsarbeit sind wir stark eingebunden in die termingerechte Produktion von Comics, die wir veröffentlichen müssen, damit der Laden läuft und regelmäßig Honorare, Lizenzen und Gehälter gezahlt werden können. Daneben blieb in den letzten Jahren immer weniger Zeit für den Austausch und die Arbeit mit jungen Talenten, die wir aber keinesfalls vernachlässigen wollten. So kam es zur Idee, einige der mit uns in engerem Austausch stehenden Zeichner wie Barbara, Mawil, Aisha und Sascha zu fragen, ob sie Lust hätten, Projekte von jungen ZeichnerInnen zu betreuen. Der Gedanke schien naheliegend, weil die vier ohnehin stetig Workshops leiten, also konstant mit jungen Talenten arbeiten. Barbara hat nun also Yi Luo angesprochen, ob sie sich vorstellen könnte, ein Projekt, mit dem Yi sich schon länger gedanklich auseinandersetzt, bei Reprodukt zu realisieren.

Und Aisha und Sascha hatten den Gedanken, gemeinsam als Kuratorenteam eine Reihe zu eröffnen. Diese Reihe hat keinen Namen, sie wird nur von einem aufgebrochenen Logo gekennzeichnet. In den Comics, die in dieser Reihe erscheinen, soll es vor allem um Raum für Experimente gehen, um das Ausloten neuer Erzählformen und Inhalte. Eine Kohärenz von Inhalt und Ästhetik wird sich leicht ablesen lassen, wenn erst mal ein paar Comics in der Reihe vorliegen.

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Warum habt ihr euch als »Kennzeichen« dieser Buchreihe für ein aufgebrochenes Reprodukt-Logo entschieden?

DR: Das Logo hat Arne Bellstorf in Absprache mit Aisha Franz und Sascha Hommer entworfen...

Sascha Hommer: Wir haben nach einem Weg gesucht, der Reihe ein unverwechselbares Logo zu geben, ohne uns zu weit vom Original zu entfernen. Betont werden soll hier aber auch ein spielerischer Umgang mit den Regeln der Gestaltung und des Marketing: So wie wir das vorgefundene Logo wie zwei Bauklötze in einen Winkel legen können, soll auch die Kuration der gesamten Reihe einer eher spielerischen Maxime folgen und bislang wenig beachtete formale Möglichkeiten des grafischen Erzählens herausstellen.

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Wie hat sich eigentlich euer Label für Kindercomics entwickelt? Ich habe das Gefühl, dass ihr da in letzter Zeit etwas kürzer tretet?

DR: Nachdem der Beginn etwas mühsam war, trägt das Kindercomics-Programm so langsam erste Früchte. Der Prozess der Etablierung von Kindercomics im Buchhandel bedeutet, von neuem die gleichen Schranken zu überwinden, die es schon vor der größeren Verbreitung von Graphic Novels zu überwinden galt: Buchhändler – in diesem Fall Kinderbuch-Händler – müssen davon überzeugt werden, dass Comics keinesfalls der Verdummung der Kinder Vorschub leisten, sondern dass im Gegenteil erste Leseerfahrungen sehr gut mit Erzählen in Bildern gemacht werden können. Auch ohne große Hilfestellung gelingt es kleinen Kindern sehr gut, bei »Kleiner Strubbel« die Leserichtung zu erfassen und die Geschichte selbstständig zu verfolgen. So lernen sie »Bilder zu lesen«, und der nächste Schritt, Bilder mit Worten zu lesen, ist dann nur noch ein kleiner.

Da wir leider nicht die Mittel haben, unser Kindercomics-Programm in vielen Medien zu bewerben, sind wir natürlich auf die Kooperation des Kinderbuchhandels angewiesen. Viele kleine Schritte verhelfen »Kiste«, »Kleiner Strubbel« und »Ariol« zunehmend zum Erfolg. Bei allen drei Serien sind die ersten Bände vergriffen und werden nachgedruckt (der erste »Kiste«-Band geht bereits in die vierte Auflage). Zunächst mal helfen natürlich die vielen Veranstaltungen, auf denen wir unser Programm präsentieren, die Comics etwas bekannter zu machen. Und die hohe Qualität der Comics macht auch über Mund-zu-Mund-Propaganda die Runde. Darüber hinaus organisieren wir Workshops und Lesungen mit Autoren, und vor allem reist Matthias Wieland seit knapp anderthalb Jahren durch Deutschland und führt auf Kinderbuchfestivals und in Buchhandlungen mit großem Erfolg Lesungen von den »Mumins«, »Ariol« und »Kiste« auf.

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»Kiste« wurde zudem mit dem Lesekompass 2015 der Stiftung Lesen und Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Eine Auszeichnung, die in der Comic-Szene so absolut gar keinen Widerhall findet, aber zu einem kleinen Verkaufserfolg geführt hat.

Gerade die Arbeit mit jungen deutschen AutorInnen und ZeichnerInnen wie Sandra Brandstätter oder Ferdinand Lutz macht uns großen Spaß. Aber auch die Tatsache, dass wir die renommierte Kinderbuchillustratorin Anke Kuhl dafür gewinnen konnten, mit »Lehmriese lebt!« einen vom Start weg sehr erfolgreichen Kindercomic zu gestalten, zeigt uns, dass wir mit unserem Programm auf dem richtigen Weg sind.

Von Kürzertreten kann also eigentlich keine Rede sein, aber wir wollen das Programm langsam und möglichst nachhaltig entwickeln. Gerade haben wir mit »Anna und Froga« von Anouk Ricard eine weitere neue Serie begonnen, von der in Zukunft jedes halbe Jahr ein neuer Band erscheinen soll. Wir scheinen auf dem richtigen Weg zu sein, was sich an stetig steigenden Verkaufszahlen bemerkbar macht – auch wenn sich die positive Resonanz des Publikums bisher stärker im Buchhandel als im Comichandel zeigt.

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Michael Groenewald: Mit den Bilderbüchern von Marc Boutavant haben wir unser Programm unlängst sogar erweitert. Gerade an einem Zeichner wie Marc Boutavant wird deutlich, dass beim Erzählen für Kinder die Übergänge zwischen Bilderbuch und Comic fließend sind. Mit dieser Autorenpflege haben wir unser Angebot auch gleich um einen wichtigen Faktor bereichert: Das Vorlesebuch. Auf den Weihnachtsmärkten der vergangenen Wochen erfreute sich die Kombination für die Kleinsten – »Kleiner Strubbel« plus »Nur mal für einen Tag« oder »Niemals wilde Katzen kitzeln« – großer Beliebtheit bei Kindern, Eltern und Großeltern.

DR: Grundsätzlich ist deine Beobachtung aber richtig: Unser Bestreben geht dahin, möglichst wenige Titel in möglichst hoher Qualität zu produzieren und zu vermarkten – und natürlich in möglichst hoher Stückzahl zu verkaufen. Und in Sachen Startauflage und Verkaufszahlen haben viele der Kindercomics unsere Comics für erwachsene Leser bereits überholt.

Die Fragen stellte Volker Hamann

 Foto © Edition Alfons, Abbildungen © Reprodukt


Weiterführende Links:

Reprodukt Vorschau FJ2016-1

Die Vorschau zum Sommerprogramm als PDF

Reprodukt Vorschau Kindercomics FJ2016-1

Die Vorschau des Kinderprogramms zum Sommerprogramm als PDF

Homepage des Verlags: Reprodukt