Wave and Smile: Interview mit Arne Jysch

Wave and Smile Titelbild (Ausschnitt)

Mit seiner im Sommer bei Carlsen erschienenen Graphic Novel Wave and Smile hat sich der deutsche Comiczeichner Arne Jysch an ein schwieriges Thema gewagt und den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan als Comic umgesetzt. Der obligatorische Sturm der Entrüstung fand vorwiegend innerhalb der Comicszene statt. CRON hat den Künstler dazu und einigem anderen befragt.


»Ich bin ja kein Journalist, sondern Geschichtenerzähler.«


 

CRON fragt. Arne Jysch antwortet.cr ICON-Fragen
Der Zeichner im Interview.

Arne JyschArne, wer ist Vida?

[lacht] Das ist meine süße Tochter, die letztes Jahr geboren wurde. Genau zu dem Zeitpunkt, als ich die ersten Panels für den Comic gezeichnet habe. So hat sie mich in ihrem ersten Lebensjahr bei der ganzen Arbeit begleitet. Das ist für mich untrennbar emotional verbunden. Nur, dass das arme Buch jetzt schon in die gnadenlose Erwachsenenwelt gestoßen wurde... Das bleibt Vida hoffentlich noch eine Weile erspart. Mehr oder weniger unterschwellig ist meine frische Vaterschaft auch in die Geschichte eingeflossen. Die Verantwortung für das eigene Kind zieht sich als Mini-Nebenstrang durch das Buch.

Hast du es schon bereut, nicht in nach Afghanistan gereist zu sein? Oder andersrum gefragt: Wieso war der Reiz nicht so groß, um dorthin zu reisen und etwas »Frontatmosphäre« zu schnuppern?

Der Reiz war schon recht groß. Da mir vom Verlag aber von Anfang an gesagt wurde, dass die Graphic Novel ein absolutes Spartending ist, musste ich abwägen, ob mir der ganze Aufwand der Reise und die Gefahr es wert sind für den kleinen Comic, den vielleicht später 2000 Leute lesen. Hätte ich gewusst, dass das Buch so viel Aufmerksamkeit bekommt und einiges an Kritik und Glaubwürdigkeit damit steht und fällt, ob ich dort war oder nicht, wäre ich zumindest mal kurz hingefahren.

Letztendlich musste ich aber für die Geschichte schmerzvolle Extremsituationen recherchieren, die ich ohnehin nicht selbst erleben wollte. Das erfahre ich doch lieber durch Erzählungen und Berichte. Über all diesen Überlegungen steht sowieso das noch geltende absolute Verbot meiner Freundin, einen Fuß auf afghanischen Boden zu setzen.

Verstehe, man muss natürlich auch nicht Bundeskanzlerin gewesen sein, um an ihrem Stil etwas kritisieren zu dürfen. Die nächste Frage muss ich stellen, auch wenn du sie sicher nicht zum ersten Mal hörst. Das Thema »Deutsche Soldaten in Afghanistan« ist kontrovers. Wieso hast du es ausgewählt für deine erste große Graphic Novel?

Eben drum. Soll ich den 42. Zombie- oder Vampircomic machen? Nein. Piraten? Drittes Reich? Science Fiction? Das gibt es ja schon alles in vielen Facetten. Das können andere besser. Dabei liegt das Thema quasi direkt vor der Nase und betrifft uns als Deutsche. Fast jeder kennt jemanden, der jemanden kennt, der bei der Bundeswehr ist oder sogar in Afghanistan war. Jemanden, der vielleicht als Entwicklungshelfer dort arbeitet.

Bei mir war es 2008 ein Exilafghane, der Mann einer Freundin meiner Freundin, der mich mit der Nase darauf gestoßen hat. Ich wollte etwas Aktuelles, Besonderes und Experimentelles machen. Etwas, zu dem auch mein Zeichenstil passt. Und wenn ich mich mit einem Thema auseinandersetze, dann lässt es mich nicht mehr los, dann träume ich davon und MUSS etwas umsetzen, einen Film, Illustrationen oder eben einen Comic. Ob es am Ende funktioniert, und ob es den Leuten gefällt ist mir erst mal egal.

Was mich aber vor allem gereizt hat, ist die Idee, viele klassische Genreelemente aus Kriegsgeschichten und Filmen mit der Bundeswehr von heute zu verbinden. Das war durch die Situation in Afghanistan nun möglich. Genau das wird jetzt von Kritikern gerne als Angriffspunkt genommen. Klar kann man der Meinung sein »das darf man nicht«, aber diese mögliche Reaktion war Teil des Experiments, das der Verlag sehr couragiert mit mir angegangen ist. Ich hatte mir eher Sorgen gemacht, real betroffene Menschen oder Angehörige zu verletzen oder vielleicht zu ästhetisch für das schreckliche Thema »Krieg« zu sein.  

Die Kritik von links ist hart und mitunter gnadenlos polemisch. Marc-Oliver Frisch wählte bei Comicgate klare Worte: »Ich werfe Jysch vor, dass seine Darstellung einseitig und manipulativ ist, und dass er dies gezielt zu verschleiern sucht.« Das klingt ja fast nach einer Verschwörungstheorie. Was sagst du dazu?

Das ist natürlich eine dreiste Unterstellung und völliger Unsinn. Da würde ich eher der Kritik zustimmen, dass durch die Ästhetisierung oder die Interpretationsmöglichkeiten der Geschichte die Gefahr besteht, diese als Propaganda zu missverstehen. Aber tatsächlich ist es eine erfundene Geschichte, die alle Seiten zu Wort kommen lässt und für mündige Leser geschrieben wurde.

Insofern ist meine Darstellung eben nicht einseitig, sondern mehrseitig. Aber es gibt einige Kritiker, denen genau das nicht schmeckt und die solch ein Projekt nur dann positiv bewerten, wenn es letztlich ihre eigene Sichtweise wiedergibt, also wenn es eindeutig GEGEN den Afghanistan-Einsatz Stellung bezieht. So kann aber keine offene, demokratische Diskussion geführt werden.    

Wave and Smile TitelbildDie Geschichte ist fiktiv, aber sie basiert auf vielen Fakten und Details, die du bei deinen intensiven Recherchen zusammengetragen hast. Was hatte Priorität? Eine spannende Geschichte, eine sublime Botschaft, Authentizität, die glaubwürdige Charaktere?

Für mich hat immer die Geschichte Priorität. Ich bin ja kein Journalist, sondern Geschichtenerzähler. Ich muss zugeben, dass frühe Versionen der Geschichte auch ziemlich märchenhaft und fernab jeglicher Realität waren. Ich habe das dann alles auf ein nötigstes, einfaches Handlungsgerüst wieder ausgedünnt und nach und nach mit den gefundenen Stücken Realität wieder aufgefüllt. In der Realität finden sich ja immer so viele Details, die viel verrückter sind, als alles, was man sich ausdenken kann. Das geht mir jedenfalls so. Vielleicht habe ich es dann mit der Authentizität in vielen Bereichen, wie der Atmosphäre, Landschaft, Sprache usw. zu weit getrieben, so dass einige geglaubt haben, es handelt sich um so etwas wie eine Dokumentation auf der Suche nach der »Wahrheit«. Aber es bleiben erfundene Charaktere in einer erfundenen Geschichte, die in erster Linie unterhaltsam sein soll und den Blick eines Künstlers zeigt auf die Situation der Bundeswehr in Afghanistan, ein Fenster öffnet, in die für uns hier so fremde, teils absurde Welt dort.

Was die glaubwürdigen Charaktere angeht ist es für Autoren immer ein schwieriges Dilemma zwischen realistisch wirkenden Figuren auf der einen Seite und einer dramatischen Handlung auf der anderen. Sind die Figuren glaubwürdig, plätschert die Geschichte eher dahin, und ist die Geschichte dramatisch, sind die Figuren oft nicht ganz schlüssig, weil sie an bestimmten Stellen Mittel zum Zweck für die Handlung sind. Dem einen Leser gefällt dies besser, dem anderen jenes. Das hat sich für mich durch verschiedene Reaktionen auf Wave and Smile wieder bestätigt. Ich habe versucht eine Balance zu finden, aber gebe zu, dass ich Dialoge und Figuren beim nächsten Comic gerne besser machen würde.  

Wave and Smile wurde von Carlsen mit einem Heft zum Gratis Comic Tag 2012 ausgewählt. Das war ein starkes Signal, um den Comic zu puschen. Inzwischen gab es Buchvorstellungen und Signierstunden. Hast Du das Gefühl, die dort anwesenden Leser haben sich mit dem Thema richtig auseinandergesetzt?

Ich hatte den Eindruck, viele haben sich hauptsächlich für das Buch interessiert wegen der für einen deutschen Comic ungewöhnlichen Geschichte - und manchmal vielleicht auch weil ihnen die Zeichnungen gefallen haben - und sind eher durchschnittlich mit der Thematik vertraut. Diejenigen, die sich etwas mehr auskennen, sind meistens Soldaten und sind schon in Afghanistan gewesen. Von dieser Lesergruppe gibt es die größte Bewunderung für den Detailreichtum und die Authentizität in der Darstellung. Bei einigen Reaktionen war ich erstaunt, dass die Leser tatsächlich eine meiner Hauptquellen, das Buch »Descent into Chaos« von Ahmed Rashid gelesen und dessen Einfluss auf den Comic bemerkt haben.

Wie sieht denn deine Privatmeinung zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr aus? Interessant wäre zu wissen, ob sie sich mit der Zeit verändert hat, als du alle für dich nötigen Informationen zusammengetragen hast.

Ja, meine Ansicht darüber hat sich in der Tat etwas geändert. Erst dachte, ich die NATO kriegt das mit kleineren Schwierigkeiten schon irgendwie hin. Erfolge in der Ausbildung, Regierungsbildung und zumindest in der Gewährleistung einer Form von Freiheit sind ja sichtbar. Wenn man allerdings dann über die Rückzugsgebiete der Extremisten im pakistanischen Grenzgebiet und von der hohen Zahl an zivilen Opfern während des NATO-Einsatzes hört, ist das schon deprimierend und man fragt sich, wie und wann soll da endlich Frieden einkehren.

Ich habe auch die starke Vermutung dass die Taliban bis zum Abzugstermin 2014 aussitzen und dann wieder zuschlagen, um die Macht im Lande an sich zu reißen. Deshalb bleiben dort auch Bundeswehr-Soldaten über 2014 hinaus „in einer unbestimmten Zahl“ stationiert. Das läuft also alles auf eine leise Verlängerung des Einsatzes hinaus, was ich inzwischen richtig finde wegen der Verantwortung für diejenigen Afghanen, die mit den westlichen Kräften zusammengearbeitet haben. Diese wären bei einem sofortigen Verschwinden der Schutztruppe praktisch Freiwild für Racheakte der Taliban.

Bei dem ganzen Bohei um die Story geht etwas unter, dass deine Comiczeichenkunst wirklich gelungen ist. Das ist nicht nur handwerklich wie bei den Proportionen überzeugend umgesetzt, sondern auch in der Erzählweise, der Panelfolge oder den Perspektiven sehr anschaulich und gelungen. Zieht man in Betracht, dass dies dein erster großer Comic ist, dann ist das eine Leistung, die nicht viele schaffen. Woher kommt dieses Können? Welche Comics hast du davor gezeichnet?

Vielen Dank, dass du das ansprichst. Ich sage es ungern, aber ich glaube, dass ist typisch Deutsch, diese reine Fixierung auf den Inhalt und die eine, mögliche Botschaft dahinter. Wir sind hier im Allgemeinen immer noch keine visuelle Kultur, das ist wohl auch der Grund, warum die Graphic Novel hierzulande erst langsam erwachsen wird und an Anerkennung gewinnt.

Mein Wissen habe ich mir über viele Jahre erarbeitet. Klar, das Studium der Animation an einer Filmhochschule hat viel gebracht. Dort haben wir Anatomie und Perspektive geackert. Aber auch zwölf Jahre Arbeit als Storyboardzeichner mit vielen verschiedenen Regisseuren sind bei mir hängen geblieben. Dabei lernt man wahnsinnig viel über visuelle Konzepte, ausdrucksstarke Bilder und Sequenzen, aber auch wie man sich zurücknimmt und schlicht bleibt bei der Bildsprache. Ich habe unzählige Filmszenen Einstellung für Einstellung analysiert und teilweise abgezeichnet, um zu verstehen wie sie funktionieren. Auch durch meine drei kleinen Regiearbeiten, habe ich immer wieder etwas dazugelernt.

Für den Kurzfilm »Der Beste« (2005) musste ich einen Fake-Comic zeichnen, da dieser zentraler Bestandteil der Handlung ist. Das war seit meiner Jugend das erste Mal, dass ich mich mit Comiczeichnen auseinandersetzen musste.

Nun ist Film trotz der Ähnlichkeit ein anderes Medium als der Comic. Das heißt für Wave and Smile musste ich neu eintauchen in die aktuellen Möglichkeiten dieser Kunstform. Ich habe mir einige Alben gekauft, die mich sehr beeindruckt haben, was Layout, Zeichnungen und Erzähltechnik angeht und mir das Beste zusammengeklaut. Für den letzten Feinschliff hat dann das visuelle Lektorat meiner Redakteurin Sabine Witkowski bei Carlsen gesorgt, die jahrzehntelange Erfahrung auf dem Gebiet hat.

Wie lange hast Du für eine komplette Seite gebraucht?

Das ist schwer zu sagen, da die Arbeit an einer Seite sich in viele einzelne Arbeitschritte – Skizze, Reinzeichnung, Koloration, Text – aufteilt. Aber man kann den Durchschnitt ungefähr berechnen. Ein Jahr Arbeit (365 Tage) geteilt durch 195 Seiten. Mann kann also sagen, eineinhalb bis zwei Tage pro Seite. Das aber auch nur mit enormer Hilfe von drei Mitarbeiten bei Koloration und Compositing. Ich muss aber zugeben, dass ich langsamer angefangen habe und als der Zeitdruck stärker wurde, musste ich bis zu drei Seiten am Tag reinzeichnen.

Immer mehr Comiczeichner nutzen moderne Hilfsmittel wie Computer und Software. Wie stark sind die Anteile von Photoshop, Wacom und Co. bei dir?

Ich bin nach wie vor ein großer Fan klassischer Handarbeit. Gerade bei dem Thema Afghanistan wollte ich, dass man den Bleistiftstrich und das Aquarell auch spürt. Allerdings braucht man sich nicht mehr Arbeit machen als nötig und es gibt mehr Sicherheit, wenn man in Photoshop nachträglich noch Korrigieren und Basteln kann. Zum Beispiel habe ich die Aquarellkolorierung auf einer separaten Seite gemacht und konnte so die Farben noch verbessern und Details ändern ohne die Strichzeichnung zu berühren. Das war sehr hilfreich, um die leicht unterschiedlichen Stile der Koloristen anzugleichen. Außerdem konnte man gut am Computer den für Afghanistan typischen Staub hinzufügen und an manchen Stellen das Licht gleißend aussehen lassen.

Was steht als nächstes an? Wieder eine Graphic Novel oder war's das jetzt? [grinst]

Nein, ich selber habe die Freiheit genossen, eine Geschichte so zu erzählen, wie ich es wollte und mein Buch hat ja einigen Leuten ganz gut gefallen. Deshalb wird es wohl auch ein nächstes geben. Mir ist irgendwann zum Ende der Arbeit, als ich die Seiten vor Augen hatte klar geworden, dass der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind. Man kann in dem Medium Comic ALLES erzählen. Klingt simpel, ich kann mich aber oft nur schwer befreien.

Es ist schön, das erste Buch mit all den Sachen, die man probieren wollte hinter sich zu haben und sich jetzt frei zu fühlen, mit einer nächsten Graphic Novel neue Wege zu gehen.

Die Fragen stellte Matthias Hofmann.

Abbildungen/Foto © Arne Jysch / Carlsen