»Guten Morgen, Ed. Ist meine Frau da? Die deine möchte mit ihr reden.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Die erotische Kunst des Wally Wood
Story: Wally Wood
Zeichnungen: Wally Wood
All Verlag
Hardcover | 192 Seiten | Farbe u. s/w | 29,80 € (VZA: 49,80 €)
ISBN: 978-3-96804-058-5
Genre: alternative Comics, U-Comix, Comics für Erwachsene
Für Leser, die das mögen: die 60er und 70er Jahre, Raymond Martin und den Volksverlag, die Zeichner Harvey Kurtzman und Dany und den Comic Little Annie Fanny
Inzwischen habe ich mich damit abgefunden, dass ich zu Hause eine Art Alien bin. Altersbedingt stehe ich mittlerweile auf der Prioritätenliste, wenn es um das Thema Impfung geht, gefühlt sieht das natürlich anders aus. Und die Schrullen, Comics zu lesen (und zu sammeln), werden stillschweigend akzeptiert. Ausgerechnet in so einer Phase hagelt es nun Veröffentlichungen alter geliebter Comicserien, als Gesamtausgabe oder als Neuedition. Und genau da sticht ein Verlag besonders hervor. Der All Verlag von Ansgar Lüttgenau hat wohl auch meine Altersgruppe im Visier. Aufgewachsen mit den Klassikern aus ZACK finde ich mich in seinem Programm um ein paar Jahrzehnte zurückversetzt und verbringe etliche Stunden mit der Lektüre der alten Ausgaben. Aber hier macht Ansgar ja nicht halt. Neben den klassischen frankobelgischen Serien gibt es immer wieder auch ganz besondere Leckerbissen, die in dieser Form noch nicht auf dem deutschen Markt erschienen sind.
Wally Woods andere Seite: Der Schöpfer von Horror- und SF-Storys konnte auch erotisch, wie dieses Exlibris beweist.
Ganz sicher gehören dazu Wally Woods Geschichten aus den EC Archiven, von denen bisher drei Bände erschienen sind. Diese ersten Bände (hoffentlich gibt es noch mehr) zeigen Woods erzählerische und zeichnerische Fähigkeiten auf, Science-Fiction- und Horrorstorys auf eine ganz eigene Art und Weise fesselnd und (aus heutiger Sicht betrachtet) ganz amüsant umgesetzt zu erzählen. Aber es gibt noch eine andere Seite von eben diesem Wally Wood.
Zur erotischen Kunst des Wally Wood zählen Illustrationen wie diese ...
Auch wenn ich es in der Rezension des ersten Bandes der Gesamtausgabe der Freak Brothers schon erzählt habe, Benedikt Taschen, der Herausgeber des gleichnamigen Verlages, hat schon Anfang der 1980er Jahre das Potenzial dieser anderen Seite Woods erkannt. Er hat damals eine dreibändige Softcover-Edition von Woods Sally Forth herausgebracht. Sally Forth war – sagen wir mal – nicht unbedingt jugendfrei, und die Kombination sexueller Freizügigkeit und irgendwelcher Außerirdischer kam vielleicht einfach viel zu früh für die erst in der Entstehung befindliche deutsche Comickultur. Tim und Struppi, Spirou und Sally Forth, Kinder- und Erwachsenencomics – es gab noch keine inhaltliche Differenzierung und schon gar keine – neudeutsch – customer journey, d.h. gezielte Veröffentlichungen für unterschiedliche Anspruchsgruppen. Möglicherweise ist ja auch genau deshalb das wirklich interessante Comicprogramm des Taschen Verlags in der Rückschau eher gefloppt.
... und von Wood gestaltete Titelbilder wie diese ...
Kommen wir also zurück auf Die erotische Kunst des Wally Wood. Kunst ist sicherlich auch in diesem Fall ein zwiespältiger Begriff. Kurzweilige, zum Teil kindlich dargestellte Pornografie trifft dann wohl eher den Kern. Ohne den künstlerischen Aspekt außen vor zu lassen – zeichnerisch kann es Wood wohl mit einem Großteil der Artisten des Mediums aufnehmen – sind die Geschichten leider zu oft effekthascherisch, offenherzig und so bildhaft, dass man sich manches Mal ein wenig schämt, das Buch aufgeschlagen irgendwo liegenzulassen. Wood zieht wirklich alles durch den Kakao, ob Alice im Wunderland, Flash Gordon, Prinz Eisenherz, Superman, Wonder Woman oder Schneewittchen und die sieben Zwerge, hier bekommt jede und jeder seine Möglichkeit, sexuelle Freizügigkeit auszuleben. Trotz aller Vorbehalte bleiben die Geschichten ziemlich kurzweilig und man kann ein gewisses voyeuristisches Vergnügen nicht verleugnen.
... aber auch Märchenparodien. Mal nahm Wood das Märchen vom Froschkönig auf die Schippe ...
... mal Aschenputtel ...
... mal Schneewittchen.
Ansgar Lüttgenau hat für diese Edition die Geschichten chronologisch aufbereitet. Neben den schlüpfrigen Geschichten, die Märchen, klassische Literatur, Superheldencomics und Science Fiction parodieren, gibt es sehr viele, mehr als anschauliche Cover-Illustrationen und Aufklappseiten, die allemal zum Schmökern und Betrachten einladen.
Auch klassische Agentengeschichten bekamen ihr Fett weg wie hier in »Pussycat«.
Stellt sich die Frage, ob man diesen Band wirklich als Teil in die eigene Sammlung integrieren muss. Und auch hier bin ich hin- und hergerissen. Für die Anhängerschaft eines Wally Wood steht ein Kauf außer Frage – wobei es mich wirklich interessieren würde, wie sich diese Gruppe überhaupt zusammensetzt –, für Einsteiger würde ich den Band hingegen nicht empfehlen. Geeignet ist er auf jeden Fall für Voyeure und für Leser des Playboy, die das Heft nur wegen der Artikel und der sporadischen Comics kaufen. Es gab ja auch mal Softporno-Versionen von Asterix oder Lucky Luke, diese Machwerke stellt Wally Wood trotz allem in den Schatten.
Und natürlich Superhelden.
Hier sind also die Liebhaber (nomen est omen) aufgerufen, alle übrigen sollten sich überlegen, ob sie ihr Geld nicht besser in eine der anderen aktuellen Neuerscheinungen bzw. Neueditionen investieren. Wobei das Lesen dieses Bandes so viel Spaß macht, dass selbst Unentschlossene ins Grübeln geraten.
[Stephan Schunck]
Abbildungen © 2021 All Verlag / Wally Wood
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