Frisch Gelesen Folge 313: Pfostenloch

»… kann ich mal Tabak haben?«


FRISCH GELESEN: Archiv


Pfostenloch

Story: Daniela Heller
Zeichnung: Daniela Heller

avant-verlag
Softcover | 128 Seiten | Farbe | 24,00 €
ISBN: 978-3-96445-078-4

Genre: Graphic Novel

Für alle, die das mögen: Geschichten mit autobiografischen Zügen, starke Metaphern



Aaaaah, Archäologie! Einer der Berufe, die ganz weit oben stehen auf der Liste vieler junger Menschen, neben Meeresbiologie und »irgendwas mit Medien«. Mit stark romantisierten Vorstellungen gibt es dann nicht gerade wenige, die tatsächlich versuchen, ihren Traum zu realisieren. Und da wäre sie dann, die Generation Praktikum, die sich von einem prekären Arbeitsverhältnis zum nächsten hangelt.

Damit kennt sich Daniela Heller sehr gut aus. Nach ihrem Studium der urgeschichtlichen Archäologie in Freiburg hat sie an der Kunsthochschule Kassel ein zweites Studium absolviert. Sie hat also nicht nur eins, sondern gleich zwei Studien abgeschlossen, die nicht wirklich die Butter aufs Brot bringen. Aber sie macht das Beste draus, indem sie einen Comic zeichnet, in welchem sie ihre Erfahrungen bei Grabungen verarbeitet. Pfostenloch ist gleichzeitig ihre Abschlussarbeit an der Hochschule und ihr Debüt als Comiczeichnerin. Und mit vollem Recht hat sie hierfür den Max-und-Moriz-Preis für das beste deutschsprachige Comic-Debüt 2022 erhalten.


Hellers Umgang mit Panels bringt Spannung in alltägliche Situationen.


Pfostenloch ist nämlich viel mehr als ein Erfahrungsbericht oder eine Darstellung dessen, wie das Leben eines/einer Archäologiestudierenden so aussehen mag. Wobei gerade dieses Leben sehr authentisch dargestellt ist in seiner Monotonie und Einfachheit. Wir befinden uns irgendwo in Süddeutschland auf einem Ausgrabungsfeld einer frühzeitlichen Siedlung. Bei jedem Wetter hocken die Ausgrabenden in ihren Löchern und tragen Schicht um Schicht ab, tüten kleine Scherben ein, scheinen sich nur von Grillkäse und Bier zu ernähren, müssen lange und unbequeme Wege beschreiten, um zu duschen, schlafen in viel zu engen Zelten, in denen sie nachts von Mücken aufgefressen werden und rauchen Zigaretten, viele, viele selbst gedrehte Zigaretten. Und natürlich dürfen die Schaulustigen nicht fehlen, die nach dem großen, sensationellen Fund fragen, den es so wohl nur in den einschlägigen Hollywoodfilmen gibt.

Irgendwo in Süddeutschland: Eine Doppelseite gibt einen Überblick über das Ausgrabungsfeld.


Irgendwie scheint in der Geschichte nicht wirklich viel zu passieren. Doch sie funktioniert wie die titelgebenden Pfostenlöcher. Hierbei handelt es sich um Löcher, in denen die längst verrotteten Pfähle der frühgeschichtlichen Häuser steckten, die inzwischen mit neuer Erde gefüllt sind. Diese gefüllten Löcher heben sich farblich ab und können archäologisch interessante Funde beinhalten. Wenn man langsam und vorsichtig die Schichten abträgt, entsteht eine Leere, die sich aber wieder mit Neuem füllen kann. Und so ist es auch mit dem Leben: Oberflächlich wirkende Belanglosigkeiten können bei genauer Betrachtung viel sagen über Zwischenmenschliches, darüber, wie wir miteinander umgehen und wie es uns ergeht. Daniela Heller zeichnet so das Bild einer Generation, die versucht, mit ihren Träumen der Realität zu trotzen und am Ende dann doch in den gleichen Grabenkämpfen und der Ellbogenmentalität steckt, mit der sie alleine schon durch ihre Berufswahl nie zu tun haben wollten. Dabei gelingt es ihr, trotz der Tatsache, dass wohl viel Selbsterlebtes in der Geschichte steckt, eine nüchterne und neutrale Beobachterinnenposition einzunehmen.


Realistische Werkzeuge vs. vogelhafte Menschen.


Ihre Zeichnungen sind mit festem Strich gemalt und eine spannende Mischung aus cartooneskem und realistischem Stil. Sind die archäologischen Instrumente mit viel Genauigkeit gezeichnet, sticht ihre Darstellung der Personen hervor. Sie werden mit langen, schnabelhaften Mündern gezeigt. Sie wirken dadurch wie anthropomorphe Vögel und lassen sich so nur schwer in die Alltäglichkeit und Belanglosigkeit der restlichen Erzählung einfügen. Heller selbst sagt hierzu, dass sie ihre Menschen bewusst anders gezeichnet hat. »Ich wollte, dass etwas stört.« Dieses Moment der Entfremdung hilft beim Lesen, die Metaphorik hervorzuheben.


Was findet man, wenn man tief genug gräbt?


Pfostenloch ist eine Momentaufnahme. Der Comic bietet keine Lösungen, er liefert keine Erklärungen. Er dokumentiert Menschen, die versuchen, den Spagat zu vollziehen zwischen ihren Wünschen und den Gegebenheiten unserer Gesellschaft. Und hätte Pfostenloch nicht schon einen Preis erhalten, so müsste er den Preis für den Comic kriegen, in dem am meisten geraucht wird.

[Mechthild Wiesner]

Abbildungen © 2022 avant-verlag / Daniela Heller


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