Frisch Gelesen Folge 324: Raptor

»Das ist … Liebe. Die Reise vorbei an oberflächlicher Anziehung und flüchtiger Lust, in die tief verborgenen Orte im Inneren.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Raptor

Story: Dave McKean
Zeichnungen: Dave McKean

Cross Cult
Hardcover | 144 Seiten | Farbe | 30,00 €
ISBN: 978-3-96658-803-4

Genre: Fantasy, Psychoanalyse

Für alle, die das mögen: düstere Bilderwelten, Männergefühle



Dave McKeans Qualitäten als Zeichner sind so unbestritten wie unbestreitbar, dass ich sie hier nicht thematisieren werde. Zu seinen Klassikern gehören die Batman Graphic Novel »Arkham Asylum« und Signal to Noise mit Neil Gaiman, die Cover der Serie Sandman sowie seine eigene Comicserie Cages. Daneben hat er unzählige Plattencover gestaltet, Foto- und Bilderbücher veröffentlicht, Filme und Videos gedreht, für die Dramaturgie in dem britischen Spitzenrestaurant Fat Duck gesorgt, Briefmarken entworfen und so weiter und so fort. Ich kenne natürlich nicht alles, aber was ich kenne, sah immer fantastisch aus. Und Raptor, sein erster eigener Comic seit 2016, macht da überhaupt keine Ausnahme.


Comics erzählen aber nun mal auch Geschichten – und nicht alle großartigen Zeichner sind auch tolle Erzähler. Bill Sinkiewicz etwa, der sich stilistisch wie inhaltlich in einem zumindest ähnlichen Feld bewegt, hat mit seinem Frühwerk Stray Toasters (Splitter) einen visuellen Meilenstein erschaffen – aber lesen lässt sich das ungefähr so gut wie Ulysses. Nichts gegen Ulysses. Aber! McKeans vorletztes Buch Black Dog über den britischen Kriegsmaler Paul Nash, das es leider nicht auf Deutsch gibt, geht in eine ähnliche Richtung: teilweise unlesbar, aber so gut, dass es egal ist. So ist es diesmal leider nicht

In Raptor versucht McKean, zugänglicher zu sein. Es gibt zwei Hauptfiguren: den Jäger Sokol, der in einer Parallelwelt gemeinsam mit einem Raubvogel (engl. Raptor), mit dem er geistig verbunden scheint, Monster jagt. Und den Schriftsteller Arthur, der im Wales des 19. Jahrhunderts den Verlust seiner Frau betrauert. Sokol bewegt sich recht überraschungsfrei durch ein Fantasy-Szenario, killt Monster und ärgert sich über kleinstädtische Spießer, die ihre persönliche Beschränktheit für die Grenzen der Welt halten. Interessanter ist Arthurs Geschichte, der von seiner Trauer überwältigt wird, aber Unterstützung bei seinem Bruder findet.


McKean hat ein Talent für Dialoge, die zugleich realistisch und interessant sind, und auch noch leicht dahinfließen. Das zeigt sich vor allem in den Gesprächen von Arthur und seinem Bruder, die sich über ihre Gefühle unterhalten, über Verlust und Hoffnung, und dabei tief in ihre emotionale Welt blicken lassen. Auch sonst geht es in Raptor viel um Männergefühle. Der Höhepunkt ist die Sitzung einer Geheimgesellschaft, in der die Männer bei einer Art Familienaufstellung innere Untiefen und ihre Beziehung zur Welt erforschen. So detailliert und intim wird das Thema selten angegangen, es macht den Band zum Teil durchaus lesenswert.

Daneben gibt es allerdings auch noch Sokol, der weitgehend ereignislose Abenteuer erlebt. Irgendwann treffen sich die Protagonisten dann, auch das wirkt eher unmotiviert, aber der Plot verlangt es eben. Sie unterhalten sich ebenfalls über Tod und Verlust, bis Arthur versteht, dass er die Vergangenheit loslassen muss, um weiterleben zu können. Habe ich irgendwie schon mal gehört. Nun gut. Aber hübsch sieht es aus.

Dave McKeans große Schwäche ist die Dramaturgie. Einzelne Momente funktionieren gut bis fantastisch, doch insgesamt schleppt sich die Handlung matt dahin – Raptor ist ziemlich langweilig. Im Grunde erzählt er, wie er zeichnet: Einzelne Momente sind so grandios wie einzelne Seiten, aber insgesamt fällt das Buch auch stilistisch weit auseinander: Nicht alles ist brillant, und neben realistischen Passagen gibt es dann eben auch so etwas:


In The Black Dog hat der Brite diese Probleme sehr elegant gelöst. Es besteht aus kurzen Kapiteln, Momentaufnahmen auf wenigen Seiten, die jeweils einen eigenen Stil haben. So funktionieren die einzelnen Passagen sowohl grafisch wie dramaturgisch. Ich halte es für McKeans bestes Buch, auch zeichnerisch, und kann es nur empfehlen, nicht zuletzt dem Verlag: Veröffentlicht es endlich auf Deutsch! Raptor dagegen ist eher ein Fall für Menschen, denen es egal ist, was zwischen den Zeichnungen passiert. Ich bevorzuge in solchen Fällen allerdings Bildbände.

[Peter Lau]

Abbildungen © 2022 Cross Cult / Dave McKean


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