Frisch Gelesen Folge 208: Bella Ciao

»Der Tod dieses jungen Kämpfers bleibt in unserer Erinnerung eingraviert. Denkt nur! Während in den feindlichen Reihen Faschisten aus Camerino gegen die Republik kämpften, waren die Söhne des antifaschistischen Volkes von Camerino gekommen, um an der Seite des republikanischen Volkes von Spanien zu kämpfen. Seien wir stolz darauf, denn das vergossene Blut der Garibaldiner hat die Schande abgewaschen, die der Faschismus auf das italienische Volk geworfen hatte.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Bella Ciao Band 1

Story: Baru
Zeichnungen: Baru

Edition 52
Hardcover | 138 Seiten | s/w, Farbe | 20,00 €
ISBN: 978-3-948755-04-1

Genre: Graphic Novel, Historie, politische Hintergründe

Für alle, die das mögen: Baru, Solino (Film mit Moritz Bleibtreu)



Vielleicht muss man ein gewisses Alter erreicht haben, um die eigene Geschichte aufzuarbeiten und einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren. Der eine schreibt seine Biografie (manchmal viel zu früh und leider viel zu oft auch völlig uninteressant), ein anderer benutzt das Medium, das er am besten beherrscht – die Neunte Kunst –, und so einer ist Baru, Hervé Baruela. Baru, mittlerweile 73 Jahre und selbst Sohn eines italienischen Einwanderers, arbeitet auf seine ganz eigene Art und Weise die Geschichte italienischer Auswanderer auf, die im 19. Jahrhundert einen ersten traurigen Höhepunkt fand.

Eine Klammer der unterschiedlichen Geschichten bildet das Lied Bella Ciao. Es wurde bekannt als Hymne der italienischen Widerstandsbewegung gegen den Faschismus im Zweiten Weltkrieg (und die, nebenbei bemerkt, im Rahmen der Arbeiterlieder 1977 eine »Neuauflage« auf Deutsch durch Hannes Wader erfuhr).

Aber so ganz passt diese Klammer dann doch nicht, denn die Ursprungsfassung der Melodie war kein Partisanenlied, sondern stammt von den Mondinas, italienischen Frauen, die sich unter härtesten Arbeitsbedingungen Anfang des 20. Jahrhunderts in den padanischen Reisfeldern am Po verdingt hatten. Aber auch diese Diskussion nimmt Baru später auf, um den interfamiliären Klassenkampf auf seine Art darzustellen.


Barus Version des Plakats zu Giuseppe De Santis' Film "Bitterer Reis" (1949), der von den Arbeitsbedingungen auf den padanischen Reisfeldern erzählt.


Die erste Geschichte von Bella Ciao spielt bereits 1893, als es in den Salinen bei Aigues-Mortes, den größten Salzgärten der Camargue in Frankreich, zu Auseinandersetzungen zwischen den französischen Ortsansässigen, arbeitsscheuen Vagabunden und italienischen Wanderarbeitern kam und zur Ermordung mehrerer Italiener führte.


Blutige Auseinandersetzungen in den Salinen bei Aigues-Mortes.


Baru, der mit seiner minimalistischen Art die schrecklichen Geschehnisse in gewohnt ausdrucksstarke Bilder umsetzt, benutzt den Comic in diesem Fall als Einleitung, um nachträglich die Ungerechtigkeiten in den anschließenden Prozessen anzuprangern. Statt der Verantwortlichen aus Aigues-Mortes wurden nämlich nur einige wenige der Vagabunden angeklagt, die letztlich auch noch freigesprochen wurden. Geschichtlich arbeiteten diese Vagabunden zunehmend in den Salzbergwerken und nahmen den Italienern die Jobs weg.

Den ermordeten Italienern setzt Baru ein Denkmal, indem er ihnen Gesichter zuordnet, die er nach einer Fotografie ehemaliger italienischer Emigranten gezeichnet hat – eine Huldigung mit künstlerischer Freiheit.


Huldigung mit künstlerischer Freiheit: Baru setzt den Ermordeten ein zeichnerisches Denkmal.


Baru kämpft sich im Folgenden auch weiterhin durch die Geschichte der italienischen Auswanderer und die politische Zerrissenheit zwischen Republikanern und Faschisten, die sich wie eine scheinbar unüberbrückbare Kluft auch durch die Exil-Italiener gezogen hat.

So spannt er den Bogen über die Balilla (Opera Nazionale Balilla, ONB), die zum Vorbild der Hitlerjugend wurde, bis hin zu den Exilanten, die eher eine neue Staatsbürgerschaft annehmen wollten, als dem Ruf des Duces zurück nach Italien in den Militärdienst zu folgen.


Unverkennbare Gestik und Mimik: Giovanni Donatelli erinnert an den Führer.


Aus meiner Sicht ist gerade diese letzte Geschichte ein wahres Highlight von Bella Ciao. Herrlich wie Baru die Figur des Giovanni Donatelli in Szene setzt, der der Familie Martini den Einberufungsbescheid für ihren Sohn Segundo überbringt. Donatelli, der nicht nur rein äußerlich einem anfänglichen österreichischen Freund des Duces ähnelt, gleicht in Gestik und Mimik ganz unverkennbar Hitler, wie man diesen von dokumentierten Auftritten her kennt. Verblüffend, mit welch einfachen Mitteln Baru in der Lage ist, so etwas zu Papier zu bringen.

Letztlich huldigt Baru dann auch noch dem Einsatz der Italiener, die die Republikaner im Kampf gegen Francos Faschisten im spanischen Bürgerkrieg – allerdings erfolglos – unterstützen.


Abstecher nach Spanien: Gegen Francos Faschisten kämpften auch Italiener.


Bella Ciao
ist der erste Band einer Trilogie und so darf man gespannt sein, was Baru für die folgenden Bände geplant hat.

Wer einen der üblichen – auch schon zum Teil überragenden – Comics von Baru erwartet, wird anfangs vielleicht etwas enttäuscht sein. Was Baru zu erzählen hat, geht weit über das hinaus, was er mit einigen wenigen Bildern darstellen könnte. Aus diesem Grund gibt es immer wieder längere Textpassagen und Kopien von Dokumenten, die als Unterstützung der Panels fungieren.

Kein klassischer Comic, eher ein politisches – von seiner linken Gesinnung geprägtes – Manifest und Geschichten, die Baru wohl schon immer im Herzen getragen hat und sich mit der eigenen Familienhistorie mischen.

Wer sich dann noch die Mühe macht, das eine oder andere zu recherchieren, wird seine helle Freude an diesem Band haben.

[Stephan Schunck]

Abbildungen © 2021 Edition 52 / Baru


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