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Frisch Gelesen Folge 424: Der Kopf der Hanse

»Gottogottott, was für ein Gemetzel …«


FRISCH GELESEN: Archiv


Der Kopf der Hanse

Story: Jens Natter
Zeichnungen: Jens Natter

Edition 52
Softcover | 100 Seiten | Farbe | 18,00 €
ISBN: 978-3-984755-11-9

Genre: Historischer Comic

Für alle, die das mögen: reale Geschichten, Hanse, Schiffe,



Wir schreiben das Jahr 1361. Die Luft an der Ostsee riecht nach Salz, das Dröhnen von Wellen hallt über die Küsten, und in den schmalen Gassen Lübecks herrscht reges Treiben. Händler feilschen um Waren, Rufe schallen durch den Hafen, wo mächtige Koggen für ihre nächste Reise nach Flandern oder London beladen werden. Im Herzen dieser blühenden Hansestadt steht Johann Wittenborg, ein Mann, der sowohl als Kaufmann als auch als Politiker Erfolg hat. Doch das Schicksal führt ihn auf einen gefährlichen Pfad. Von diesem Weg berichtet der Hamburger Comickünstler Jens Natter in seiner neuen Graphic Novel Der Kopf der Hanse.

424 kopf hanse s 050

Natter erzählt die Geschichte von Johann Wittenborg, Sohn eines Lübecker Kaufmanns, der als erfolgreicher Händler im 14. Jahrhundert in Lübeck lebte. Wittenborg handelte als Kaufmann quer durch Europa mit Waren wie Tuche, Getreide und Pelzen. Etwa ab 1350 war Wittenborg Mitglied des Lübecker Rates und vertrat die Stadt auf wichtigen Hansetagen. Seine politische Karriere erreichte einen Höhepunkt, als er 1361, nach der Eroberung Visbys durch die Dänen, den Oberbefehl über die Flotte der Hanse im Krieg gegen König Waldemar IV. von Dänemark erhielt. Doch sein Ruhm währte nicht lange: Denn die Dänen schlugen zurück, und die Hanse verlor zwölf Koggen – ein Desaster, das Wittenborg teuer zu stehen kam. Bei seiner Rückkehr nach Lübeck wurde er verhaftet, seiner Ämter enthoben und zum Tode verurteilt.

In seiner Graphic Novel stellt Natter Wittenborg, den er als einen rücksichtslosen Geschäftsmann charakterisiert, einer ganz andere Person gegenüber: Bruno von Warendorp, ein zurückhaltenderer Ratsherr, der ein paar Jahre nach Wittenborg ebenfalls Bürgermeister von Lübeck wurde. Doch das Spannende an dieser Geschichte ist nicht nur der Gegensatz der Figuren, sondern die Art, wie Natter die Lücken füllt, die die historische Forschung hinterlassen hat. Viele Fakten über Akteure aus dem Mittelalter liegen im Dunkeln, und genau hier entfaltet Natter seine erzählerische und zeichnerische Kreativität.

Es wird schnell klar, dass hinter der Geschichte viel Recherche steckt, doch Natter hat sich bewusst dagegen entschieden, seine Figuren allzu historisch authentisch zu zeichnen. Stattdessen wirken sie eher wie aus einem Cartoon, was der Erzählung einen humorvollen und oft komödienhaften Ton gibt. Die Sprache ist modern, was den Figuren eine gewisse Leichtigkeit verleiht und die Geschichte für heutige Leser zugänglicher macht.

Ein Vor- und Nachwort geben dem Leser den nötigen historischen Kontext und verankern die fantastische Erzählung in der Realität. Doch was Natter wirklich meisterhaft umsetzt, ist die visuelle Vielfalt: Jede Seite der Graphic Novel ist ganzseitig angelegt, was den visuellen Fluss der Geschichte dynamisch und unvorhersehbar macht.

Natter beweist ein feines Gespür für politische und menschliche Dramen und würzt alles mit reichlich Humor und originellen grafischen Ideen. Damit erweckt er ein wichtiges Kapitel der norddeutschen Geschichte auf unnachahmliche Weise zum Leben. Ich gebe neun von zehn Koggen.

[Bernd Hinrichs]

Abbildungen © 2024 Edition 52 / Jens Natter


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