»Wegen meinem Gerede nach der Einpflanzung wollten die mich umbringen?«
FRISCH GELESEN: Archiv
Story: Judith Kranz
Zeichnungen: Judith Kranz
Reprodukt
Hardcover | 192 Seiten | s/w | 29,00 €
ISBN: 978-3-95640-455-9
Genre: Dystopie, Science Fiction
Für alle, die das mögen: Unvermögen, Spinnenwald
Das Ende der Welt hat Hochkonjunktur. Wenn es nicht die Klimakrise besorgt, findet sich ein anderer Grund, warum der Menschheit in einer nahen Zukunft der Laden um die Ohren fliegt. In erzählenden Medien bleibt die Gefühlslage also angespannt bis pessimistisch. Der Comic Soma der 1989 in München geborenen Künstlerin Judith Kranz bildet da keine Ausnahme.
Darin bewegt sich das Volk der Soma in einer postapokalyptischen wie feindlichen Welt. Mit Ritualen und Regeln haben sie ihr Zusammenleben organisiert – und demzufolge muss sich jemand für das Gemeinwohl opfern: »Seit Anbeginn der Zeit schenkt der Lebensbaum uns das Leben selbst. Doch fordert er einen Tribut. Denn die Erde, die ihn nähren sollte, ist zu verschmutzt.« Per Losverfahren wird bestimmt und in Soma trifft dieses Schicksal Lan.
Es braucht nicht die große Interpretationsschule, um all dies als Parabel auf die menschliche Gegenwart auf dem Planeten Erde zu verstehen; auch wenn die Bewohner Somas keine Menschen sind, sondern nur lange in ihren Schutzanzügen so aussehen. Der Klappentext zieht entsprechend Hayao Miyazaki als Referenz für dieses Comicdebüt heran. Es geht ja in Soma um Natur. Doch bei Reprodukt hätten sie sich einen Gefallen getan, wenn sie diesen Namen nicht auf die Rückseite des Bands geschrieben hätten.
Judith Kranz erzählt nicht aus den Schicksalen ihrer Figuren, sondern aus ihrer Welt heraus. Weder an Lan noch an einen anderen Charakter rückt dieser Comics jemals so nah heran, wie es Miyazaki bei seinen Figuren wie in einem Film wie Prinzessin Mononoke tat. Was tatsächlich auch mit den Schutzanzügen und ihren Masken zu tun hat. In Soma sehen wir bis kurz vor dem Ende keine Mimik. Und überhaupt lässt sich manchmal kaum zuordnen, wer spricht, weil diese Masken sich alle so ähnlich sind.
Kranz zeigt ihre erzählerische Stärke auf den ersten Seiten, wenn nicht ein Wort des Dialogs fällt, wenn sie ihren Bleistiftzeichnungen mit ganzseitigen Panels den entsprechenden Raum gibt. Diese Intensität zerfällt im Laufe der Geschichte, wenn Kranz anfängt, in der Erzählung mit Rückblenden zu arbeiten. So wohnen wir der Geschichte von Lan und den Soma zwar bei, aber erleben sie nicht. Die Rituale, die Flucht vor dem Rat, der Alltag in dieser lebensfeindlichen Umgebung, man nimmt es hin, weil es sich wie eine Erzählkonvention anfühlt. Richtig, aber nicht aufregend, nicht nah.
Erst am Ende, wenn die Masken der Schutzanzüge fallen, gewinnt Soma diese Faszination zurück. Lan und Iri finden bei einem Geflüchteten in einer Höhle eine Unterkunft – und eine Chance auf einen Neuanfang. In einer Natur, die sie nicht sofort tötet. Diese Seiten sind intensiv, die Charaktere auf einmal lebendiger, nahbarer. Da ist dieser Comic endlich eine Geschichte und kein Erwartungsmanagement. Die Zeichnungen, die Atmosphäre, all dies blüht an dieser Stelle noch einmal auf.
Dem Genre der postapokalyptischen Literatur fügt Soma keine überraschenden Erkenntnisse hinzu. Aber was, wenn dieser Comic keine Parabel wäre? Wenn er eskapistische Literatur sein soll, die uns eine Weltflucht bieten will? Dann erledigt Soma diese Aufgabe leider nur bis zum nächsten Baum an der Straßenecke. Genug Fantasie steckt in diesem Werk, aber für mehr fehlt ihm im Mittelteil die erzählerische Kraft. Darüber können ein großartiger Anfang und ein großartiges Ende nicht hinwegtäuschen.
[Björn Bischoff]
Abbildungen © 2025 Reprodukt / Judith Kranz
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