Frisch Gelesen Folge 16: Der arabische Frühling

Der arabische Frühling

»Lieber der Ermordete sein als der Mörder.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Der arabische Frühling

Der arabische Frühling

Story: Jean-Pierre Filiu
Zeichnungen: Cyrille Pomès

Carlsen Verlag
Hardcover | 112 Seiten | Farbe | 15,90 €

ISBN: 978-3-551-73650-5

Genre: Reportage, Dokumentation

Für alle, die das mögen: Comicreportagen à la Joe Sacco, Atlas der Globalisierung, Weltspiegel


Der Comicautor als zeichnender Chronist. Längst haben sich Comicreportagen als festes Genre im Graphic Novel-Bereich etabliert. Oft sind es dabei Krisenregionen wie der Nahe Osten, die die Künstler in den Blickpunkt nehmen: Joe Sacco und Guy Delisle sind nur die prominentesten Vertreter. Das Interesse an diesem Genre schlägt Wellen, die weit über die Grenzen der Comicbranche hinausreichen. So hat das Fachmagazin journalist in der Nummer 5/2012 einen ausführlichen Artikel mit dem Titel »Das Leben in Sprechblasen: Das junge Genre des Comicjournalismus kämpft gegen Vorurteile an« über Comicreportagen gebracht.

Der arabische Frühling Leseprobe

Plakative Dialoge

Jean-Pierre Filiu und Cyrille Pomès rücken in Der arabische Frühling das titelgebende Ereignis in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Gemeint sind damit die Revolutionen in Tunesien, Ägypten und Libyen. Filiu beschäftigt sich als Wissenschaftler und Szenarist permanent mit dem Thema »Naher Osten«. So hatte er zuvor bereits mit David B. die Geschichte der Beziehungen zwischen den USA und den Nahen Osten als Comic aufbereitet.

In Der arabische Frühling verdichtet Filiu die hochkomplexe Faktenfülle auf das kompakte Format der Graphic Novel. Darin liegt die Stärke der Reportage. Ein kompliziertes und weit verzweigtes Thema, das unterschiedliche Nationen, soziale Gruppierungen und Interessenskonflikte umfasst, wird zusammengetragen. Dadurch werden Parallelen und Zusammenhänge in Nordafrika und im Nahen Osten aufgelegt. Ein echter Vorteil gegenüber trockener Fachliteratur ist, dass man kein Vorwissen benötigt.

Der arabische Frühling Leseprobe

Schön illustrierte Chronik

Der arabische Frühling fordert dennoch viel vom Leser ab. Der überbordende historische Kontext erfordert hohe Konzentration beim Lesen. Die vielen zeitlichen und örtlichen Sprünge sowie die wechselnden Protagonisten sorgen für einen hohen Anspruch. Streng genommen handelt es sich zudem gar nicht um einen Comic, denn: Sequenzen fehlen. Genauso vermisst man bei der Lektüre feste Protagonisten, die das abstrakte und weit verzweigte Thema auf eine greifbare Ebene herunterbrechen. Die Dialoge der mal bekannten und mal anonymen Charaktere sind in der Aussage zwar authentisch, aber auch plakativ.

Das große Highlight dieser Graphic Novel sind Pomès' Zeichnungen. Die von leichter Hand illustrierten Bilder bestechen durch eine Mischung aus realistischer Darstellung und skizzenhafter Beschränkung auf das Wesentliche. Herrlich sind die atmosphärisch und nicht natürlich angelegten Farben, die für einen Kontrast von Grün, Grau und Blau auf der einen Seite und Orange, Braun und Rot auf der anderen Seite sorgen. Dadurch wird Der arabische Frühling sehr stimmungs- und ausdrucksvoll dargestellt.

Der arabische Frühling Leseprobe

Veranschaulichung komplexer Themen

Der arabische Frühling stellt eine anspruchsvoll erzählte und atmosphärisch brillant gezeichnete Chronik der jüngeren Geschichte des Nahen Ostens dar. Filiu und Pomès haben ein Werk geschaffen, das weniger eine unterhaltsame Comicgeschichte als mehr ein schön illustriertes Nachschlagewerk darstellt – also eine Art Atlas der Globalisierung trifft auf Weltspiegel.

[MB]

Abbildungen © Filiu / Pomès / Carlsen Verlag


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