Frisch gelesen Folge 388: Crossing Borders 1

»Wir machen einen Deal! Du bist ja ein Überflieger an der Uni und ich bin die Social-Media-Queen!«


FRISCH GELESEN: Archiv


Crossing Borders Band 1

Story: Dominik Jell
Zeichnungen: Dominik Jell

Carlsen Manga
Softcover | 226 Seiten | s/w | 10,00 €
ISBN: 978-3-55176-018-0

Gerne: Coming-of-Age-Geschichte

Für alle, die das mögen: Geschichten über das Erwachsenwerden im aktuellen Zeitgeist



Coming-of-Age ist eines der spannendsten Genres der menschlichen Erzähltradition. Kaum ein Genre ist so vom Zeitgeist geprägt und wird von jeder Generation mit neuen Aspekten gefüllt. Wobei zeitgleich die bestimmende Thematik so alt zu sein scheint wie die Gesellschaft selbst. Wie schaffe ich es, das Herausbilden meiner Individualität mit der Einordnung in zwischenmenschliche Strukturen zu vereinbaren?

Der deutsche Mangaka Dominik Jell hat sich dieses Genres angenommen. Sein Erstling MORTALIS (2022, Carlsen) beinhaltet zwei Kurzgeschichten, die der Tradition des Horrormangas folgen. Sein nun erschienener Manga Crossing Borders beschäftig sich mit dem Horror des Erwachsenwerdens. Der ist dann zwar nicht mehr so offensichtlich brutal, dass der Manga verschweißt und mit der Altersangabe »ab 18« versehen wird, hier reicht eine Leseempfehlung ab 15 Jahren. Leichte Kost ist dieser Manga aber trotzdem nicht.


Mia und Adam kommen sich näher.


Unterschiedlicher könnten Mia und Adam nicht sein – er, der introvertierte, aber sehr clevere Zeichenfreak aus armem Haus, sie die superreiche Social-Media-Queen, die Lernen völlig anödet. Gemeinsam schmieden sie einen Pakt: Sie hilft Adam, mit seinen Zeichnungen bekannt zu werden und er bringt Mia durch ihre Prüfungen. Bald schon ist aber klar, dass hinter ihren Fassaden mehr steckt als die hippe Influencerin und der nerdige Mangaka-to-be. Beide tragen dunkle Seiten mit sich herum, trauen sich aber nicht, sich einander anzuvertrauen. Werden sie es schaffen, diese Mauern zu überwinden und zueinander Vertrauen zu fassen? Und können ihre Zukunftsträume Wirklichkeit werden?

Diesen Fragen wird Jell in der auf vier Bände angelegten Reihe auf den Grund gehen. Hierzu betreten Carlsen und der Mangaka einen für Deutschland recht ungewöhnlichen Weg. Die Serie wurde von Beginn an auf ihre Anzahl an Bänden festgelegt, ebenso wie der Erscheinungsrhythmus alle drei Monate. Das hilft auf der einen Seite die Leserschaft bei der Stange zu halten, übt gleichzeitig auch Druck auf den Mangaka aus. Jell hat sich aber ein Fleißbienchen verdient, er hat vorgearbeitet, sodass der Hauptteil der Arbeit bei der Redaktion liegt. Bei einem Umfang von vier Bänden ist das wohl noch handhabbar. Bei größerem Umfang der Story zeigt sich dann aber wieder, wie unterschiedlich der deutsche und der japanische Markt arbeiten, wird in Deutschland dem künstlerischen Prozess doch weitaus mehr Raum eingeräumt als den Bedürfnissen nach Nachschub.


Leichtigkeit und dunkle Schatten liegen nah beieinander.


Das ist auch einer der Hauptgründe, warum viele japanische Top-Serien mit einem Team bestehend aus mehreren Assistent:innen und dem/der Mangaka arbeiten. Dominik hingegen arbeitet alleine. Er ist ein kompletter Autodidakt. Mit dem Zeichnen begonnen hat er mit sieben Jahren im Kinderzimmer, wobei Manga schon sehr früh seine Leidenschaft waren; die Schwarzweiß-Zeichnungen übten eine große Faszination auf ihn aus. Über viele Jahre hinweg zeichnete er vor sich hin und verbesserte seinen Strich immer weiter. Bevor aber der Sprung zum Mangaka erfolgte, machte er sich als Tätowierer selbstständig. In seinem Studio in Freising bei München ist er auf japanische Tätowierungen, genannt Irezumi, sowie Manga- und Animemotive spezialisiert. Seine Zeichnungen sind sehr gut proportioniert und folgen einem realistischen Darstellungsstil, der an seine großen Vorbilder Naoki Urasawa oder auch Inio Asano erinnern. Der hohe ästhetische Anspruch Jells ist den Bildern anzumerken.

Inhaltlich erschafft Dominik Jell mit Crossing Borders eine Geschichte, die einerseits nicht zu verschachtelt ist, andererseits wichtige Themen des Erwachsenwerdens aufgreift und diese auch noch geschickt in die Moderne bringt. Der erste Band lässt die Folgebände mit Vorfreude erwarten und auch zukünftig ist das hoffentlich nicht das letzte Werk, das von dem deutschen Mangaka veröffentlicht werden wird.

[Mechthild Wiesner]

Abbildungen © 2024 Carlsen Verlag GmbH / Dominik Jell


Den Comic gibt's im gut sortierten Comicfachhandel oder direkt beim Verlag: Carlsen