»Das Schicksal hat mitunter teuflisches Vergnügen daran, uns seinen Willen aufzuzwingen.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Long John Silver Gesamtausgabe
Story: Xavier Dorison
Zeichnungen: Mathieu Lauffray
Carlsen
Hardcover | 272 Seiten | Farbe | 39,99 €
ISBN: 978-3-551-73445-7
Genre: Abenteuer, Piraten
Für alle, die das mögen: Der rote Korsar, Reisende im Wind
Long John Silver? Das ist doch der aus der Schatzinsel - oder? Ja genau, er ist es. Raubeinig - trotz oder wegen seiner Holzprothese. Ein düsterer Charakter, der nur ab und zu menschliche Züge aufblitzen lässt. Ein kalter, berechnender Mann, der auch seinen besten Freund über die Klinge springen lassen würde.
Ebenjener »Silver«, wie er in Robert Louis Stevensons Roman oft - und zwar ängstlich bis ehrfurchtsvoll - genannt wird, ist die Hauptfigur in einem auf vier Bände angelegtem Epos, das der Carlsen Verlag nun in einer Gesamtausgabe neu auflegt. Wie es sich gehört mit Zusatzmaterial im Anhang und schön gebunden als Hardcover.
Düster fängt die Geschichte an, die sich nicht als Fortsetzung der Schatzinsel versteht, sondern als Hommage daran. Zwar schaut Silver den Leser auf dem Cover noch aus halb im Schatten liegenden Augen an, doch auf den ersten Seiten sehen wir einen anderen Seefahrer. Im Regen steht er da auf einem kleinen Schiff, das einem furchterregenden Piraten unwürdig zu sein scheint. Hat er gerade eine Niederlage eingesteckt?
Doch dann stellt sich heraus, dass es nicht Silver ist, sondern Lord Hastings. Der ist mindestens genauso unerschrocken und brutal, und er hat gerade das sagenumwobene Guyanacapac entdeckt. Einen Ort, an dem unermessliche Schätze lagern, einen Ort, zu dem er vor drei Jahren aufgebrochen war, ohne zu wissen, ob er ihn jemals finden würde.
Düstere Settings: Der Comic von Dorison und Lauffray glänzt durch eindringliche Atmosphäre
Doch zunächst dreht sich die Geschichte um Hastings Frau. Untreu, schwanger, hintertrieben. Eine feine Dame, die nicht allzu feine Dinge tut und die nicht zuletzt Silver anheuert, um sich auf den Weg nach Guyanacapac zu machen. Vordergründig, um ihrem Mann dabei zu helfen, das gefundene Gold zu bergen. Aber natürlich hat sie ihr eigenes Spiel im Sinn und da greift sie ausgerechnet auf die Hilfe eines Mannes zurück, der einen wenig vertrauensvoll klingenden Ruf hat - den sie letztlich als Killer ihres Gatten anheuert.
Gemeinsam mit dem Bruder ihres Mannes chartert sie also ein Schiff. An Bord: Silver und seine Gefolgsleute - die Brüder der Küste. Furchtlose Piraten, denen nur daran gelegen ist, die eigene Haut zu retten und Gold abzugreifen. Silver, der nur für Gold lebt. Ein plumpes Wortspiel, das aber darüber hinwegtäuscht, dass der Comic eine spannungsgeladene Geschichte offenbart, die schon im zweiten Band der Originalreihe zur längst befürchteten Meuterei führt.
Die Bilder von Mathieu Lauffray sind gewaltig. Düster, wo sie düster sein müssen, detailreich, stimmungsvoll. Gerade erst hat er gemeinsam mit Starautor Wilfrid Lupano eine Hommage an Valerian & Veronique veröffentlicht und auch dort ist sein Stil unverkennbar. Teile des Weltraumabenteuers scheinen gar selbst auf Guyanacapac verlegt worden zu sein. Und Autor Xavier Dorison ist vor allem mit seiner Arbeit an Das Dritte Testament oder auch XIII Mystery ein Begriff.
Nichts für Zartbesaitete: In Long John Silver geht's mitunter recht brutal zur Sache
Doch zurück zu Long John Silver. Ein Großteil des dort auftretenden Personals ähnelt demjenigen, das schon Robert Louis Stevenson in seinem Klassiker verwendet hat. Long John Silver ist natürlich mit von der Partie und der kleine Jack erinnert an Sam Hawkins. Der Comic ist dennoch keine Schatzinsel 2.0. Dafür ist zu viel Mystik mit im Spiel. Wer ist der geheimnisvolle Eingeborene, der die angeheuerte Mannschaft zum gesuchten Ort gebracht hat? Welches Spiel spielt er? Welche Überraschungen hält er für Leser und Piraten parat?
Die Gesamtausgabe hat natürlich nicht nur die vier ursprünglichen Alben im Gepäck. Auf über 20 zusätzlichen Seiten finden sich neben Skizzen und Entwürfen von Lauffray, auch großartige Zeichnungen anderer Comickünstler. Enrico Marini liefert eine Hommage etwa, aber auch Matthieu Bonhomme oder Juanjo Guarnido und einige andere.
Jede Menge Bonusmaterial: Die Gesamtausgabe ist opulent ausgestattet mit Skizzen, Gemälden und vielen bislang unveröffentlichten Extramotiven
So ist der Band ein gelungenes Gesamtwerk, das fesselnd unterhält, opulent gezeichnet ist und am Ende so mache erzählerische Überraschung parat hält. Ein Muss für Freunde düsterer Piraterie - und für Kenner der Schatzinsel sowieso.
[Alex Jakubowski]
Abbildungen © 2017 Carlsen / Dorison/Lauffray
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