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Frisch Gelesen Folge 466: Kokoschka und Alma Mahler

»Ich will das Baby nicht, Oskar.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Kokoschka und Alma Mahler – Porträt einer expressionistischen Liebe

Story: Max Vento
Zeichnungen: Max Vento

bahoe books
Hardcover | 160 Seiten | Farbe | 28,00 €
ISBN: 978-3-903478-55-8

Genre: Graphic Novel, Biografie

Für alle, die das mögen: realistische Comics, Biografien, Kunstszene, extrovertierte Menschen



Alma Mahler gehört für mich zu den spannendsten Frauen des 20. Jahrhunderts. Sie war eine der schillerndsten Figuren der Wiener Moderne: als begabte Pianistin, als Komponistin, als Muse und Salonnière im Zentrum europäischer Kunst- und Intellektuellenkreise. Ihr erster Ehemann, Gustav Mahler, brachte sie von einer ernsthaften Karriere ab. Nur siebzehn ihrer Lieder sind bis heute erhalten geblieben, was weniger ein Zeichen mangelnden Talents als vielmehr der Selbst- und Fremdbeschränkung einer Frau jener Zeit ist. Nach Mahlers Tod führte Alma ein Leben voller leidenschaftlicher Beziehungen zu Künstlern wie Oskar Kokoschka und Walter Gropius, ehe sie Franz Werfel heiratete. In Erinnerung blieb sie häufig mehr als inspirierende Partnerin großer Männer, denn als eigenständige Künstlerin – eine Rolle, die sie teils bewusst annahm, teils widerwillig trug. Der spanische Comiczeichner Max Vento hat der Beziehung zwischen ihr und Kokoschka nun einen einzelnen Band gewidmet.

Kokoschka zählt zu den zentralen Vertretern des österreichischen Expressionismus und wurde vor allem durch seine psychologisch aufgeladenen Porträts bekannt. Seine Kunst ist geprägt von existenzieller Unruhe, starken Emotionen und einer bewusst rohen Formensprache, die sich gegen akademische Konventionen richtete. Zeit seines Lebens inszenierte Kokoschka das Bild des leidenden, kompromisslosen Künstlers, was seine öffentliche Wahrnehmung ebenso prägte wie sein Werk. Vento schildert Oskar Kokoschkas Beziehung zu Alma Mahler, die zu den intensivsten und zugleich zerstörerischsten Künstlerverbindungen der Moderne gehört, aus Kokoschkas Sicht. Die Faszination Kokoschkas für Mahler überträgt sich durchaus auf die Leser, doch allein schon durch die Wahl der Erzählperspektive wird auch Max Vento Alma Mahlers Facettenreichtum nicht vollends gerecht.

Zwischen 1912 und 1915 entwickelte sich eine obsessive Liebesgeschichte, in der Kokoschka Alma zur Projektionsfläche existenzieller Sehnsüchte machte, während sie selbst zwischen Nähe und Rückzug schwankte. Für Kokoschka wurde Alma zum zentralen Motiv seines Schaffens – berühmtestes Zeugnis ist das Gemälde Die Windsbraut. Almas Weigerung, sich vollständig zu binden, und ihre Unabhängigkeit verschärften Kokoschkas Abhängigkeit, die schließlich in Kontrollfantasien und psychische Überforderung mündete. Die spätere Trennung – und Kokoschkas grotesker Versuch, Alma in Form einer lebensgroßen Puppe zu ersetzen – markiert nicht nur das Ende einer Liebesbeziehung, sondern legt schonungslos offen, wie weibliche Autonomie in dieser Zeit als Bedrohung männlicher Künstleridentität gelesen wurde.

Max Vento hat einen rauen Strich, der sich dem Thema expressionistische Liebe auch äußerlich nähert. Es gelingt ihm, ausdrucksstarke und stimmungsvolle Szenarien darzustellen, ohne von dem eigentlichen Hauptthema, der zerstörerischen Künstlerliebe, abzulenken. Vor allem in der gezeichneten Alma Mahler glückt Vento ein kleines Meisterwerk. In allen Szenen bleibt sie geheimnisvoll, kaum zu durchschauen. Mit dieser Darstellung kommt er der realen Figur, so wie wir sie im Rückblick kennen, sehr nahe.

Kokoschka ist in dem Comic derjenige, der er zeit seines Lebens immer sein wollte: Er leidet, er windet sich, er brüllt, er hat Schmerzen und sieht sich als hilflosen Spielball seiner Gefühle. Gut erzählt und gut dargestellt. Immer wieder fließen auch Bilder des Malers mit ein. Ob ganz oder im Ausschnitt. So können die Leserin und der Leser eine Verbindung von Werk und Biografie ziehen. Im Anhang des Bandes ist eine Liste mit sämtlichen Werken Kokoschkas, die im Comic dargestellt sind, vorhanden.

Kokoschka und Alma Mahler ist eine gelungene Comicbiografie, die die beiden Persönlichkeiten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts exzellent darstellt. Der Band macht Lust auf mehr und ist damit ein gelungener Einstieg in die Wiener Moderne. Ich gebe 10 von 10 Windsbräuten.

[Bernd Hinrichs]

Abbildungen © 2025 bahoe books / Max Vento


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