Frisch Gelesen Folge 270: Largo Winch 23

»Es ist an der Zeit, dass wir uns in innovativen Sektoren engagieren.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Largo Winch Band 23 »Hinter der Karman-Linie«

Story: Eric Giacometti
Zeichnungen: Philippe Francq

Schreiber & Leser
Hardcover | 48 Seiten | Farbe | 14,95 €
ISBN: 978-3-96582-080-7

Genre: Thriller

Für alle, die das mögen: James Bond, Agent Alpha, Wayne Shelton



Ein neuer Largo Winch ist da. Im frankobelgischen Kulturraum dürfte diese Nachricht zu Freudenschreien geführt haben, denn schließlich gehören die Abenteuer um den Chef des Imperiums der Gruppe W zum Erfolgreichsten, was die Neunte Kunst zu bieten hat. Seit nunmehr 32 Jahren setzt sich Largo für seinen Konzern und für Gerechtigkeit ein.


Seit 32 Jahren im Einsatz und schon 23 Alben gefüllt: Largo Winch (hier die Titelbilder der ersten acht Bände).


Bei dem Titel seines neuesten Abenteuers sollten zumindest die Astrophysiker unter uns aufhorchen. Denn die Karman-Linie beschreibt den Punkt, wo die Erdatmosphäre endet und der Weltraum beginnt. Dehnt Largo seine Aktivitäten etwa auf den Kosmos aus? In der Tat steht die Gruppe W vor einem Wendepunkt. Die alten Industrien sind überholt und neue Märkte wollen erschlossen werden. Largo, immer offen für gewinnbringende Ideen, plant deshalb den nächsten Schritt für sein Imperium und stößt auf externen Widerstand. Aber wird es nicht so langsam mal Zeit, dass der Unternehmer nach 32 Jahren seinen Ruhestand genießt? Das war für mich die entscheidende Frage bei der Lektüre des neuen Bandes.


Ab ins All: Neue Märkte sollen erschlossen werden.


Von Anfang an spielten hübsche Frauen, mehr oder weniger bekleidet, bei Largo Winch eine Rolle – mal als Vamp, mal als eiskalte Killerin oder einfach nur als schmückendes Beiwerk. Und auch in der 23. Auflage des Thrillers werden alle drei Klischees bedient. Vor allem Simon Ovronnaz, Largos draufgängerischer Begleiter in allen Lebenslagen, ließ sich oft und häufig von den weiblichen Schönheiten ablenken. Aber was selbst in den 1990er Jahren schon antiquiert und nach Stammtischklischee klang, muss vor allem in den aufgeregten 2020ern völlig verpönt sein. Und prompt bekommt Simon während eines Flirtversuches einen halben Liter Bier mit den Worten »Seh ich aus wie ein One-Night-Stand?« über den Kopf gegossen. Dass die junge Frau ein T-Shirt der MeToo-Bewegung trägt, ist das Sahnehäubchen. Gelungener augenzwinkernder Umgang mit Stereotypen, der aber leider nicht durch den ganzen Band durchgehalten wird. Anscheinend wollten Zeichner und Autor nicht jeden Nerd, der beim Durchblättern der Bände und Betrachten der wohlgeformten weiblichen Rundungen mindestens feuchte Hände bekommt, verschrecken.

Übertrieben fand ich die Darstellung des Engagements von Largo für die Arbeiter seiner Zinnmine und den Umweltschutz. Allein das Panel, das zeigt, wie Largo eine Schar Kinder aus der Mine führt, ein kleines Mädchen auf den Schultern, an jeder Hand ein Kind und umringt von Kindern, die mit ihm um die Wette strahlen, ist so dermaßen kitschig, dass als Bildunterschrift auch »Der Erlöser führt das Volk aus ewiger Knechtschaft« funktioniert hätte. Oder war auch diese Zeichnung ironisch gemeint?


Auch Band 23 punktet durch den hyperrealistischen Zeichenstil von Philippe Francq.


Wie schon bei den anderen Bänden stehen auch bei »Hinter der Karman-Linie« tödliche Intrigen und knallharte Wirtschaftsinteresse im Mittelpunkt des Plots. Es ist erstaunlich, denn diese Geschichten werden nun schon auf über 1100 Comicseiten erzählt (rechnet man alle Bände zusammen) und es funktioniert immer noch. Unterhaltend und abwechslungsreich ist das Szenario. Eingefangen im hyperrealistischen Zeichenstil von Francq. Und wieder ist es eine zweibändige Geschichte, sodass ich nach dem Zuschlagen des Bandes sagen kann, dass ich hoffe, Largo möge noch lange nicht in den Ruhestand gehen, die Zeit, die ich mit ihm verbringe, ist einfach kurzweilig.

Ich gebe sieben von zehn Dax-Punkten.

[Bernd Hinrichs]

Abbildungen © 2022 Schreiber & Leser / Eric Giacometti, Philippe Francq


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