Frisch Gelesen Folge 383: Sigi

 

»Mr. Lindahl ist nicht mein Chauffeur. Ich fahre selbst.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Sigi Band 1: »Operation Brünnhild«

Story: Erik Arnoux
Zeichnungen: David Morancho

Schreiber & Leser
Hardcover | 64 Seiten | Farbe | 17,95 €
ISBN: 978-3-96582-143-9

Gerne: Abenteuercomic

Für alle jene geeignet: die Geschichten mögen, die sich an wahre Begebenheiten anlehnen. Und die gerne glotzen.


 

Ob Amelia Earhart, Gertrude Ederle oder Elly Heuss-Knapp – herausragende Frauen, die in der Geschichtsschreibung viel zu wenig gewürdigt wurden, sind aktuell ein großes Thema. Viele Biografien werden in ein anderes Licht gerückt, die Frauen erhalten posthum endlich die Anerkennung, die sie verdient haben.

In diese Kerbe versucht auch der Comic Sigi von Erik Arnoux und David Morancho zu schlagen. Sie erzählen ihren Comic basierend auf der Lebensgeschichte von Clärenore Stinnes. Diese gilt als die erste Frau, die selbstständig in einem serienmäßig produzierten Auto die Welt umrundet hat. Sie trat 1927 ihre Reise mit einem Fotografen und zwei Technikern an. Die beiden Letzteren brachen relativ bald ab, nur Carl-Alexander Söderström, der Fotograf, durchstand den zweijährigen Trip an der Seite der Frau aus Stahl, wie er Stinnes titulierte.


Die landschaftlichen und technischen Zeichnungen sind einwandfrei.


Ihre Reise ist recht gut dokumentiert und bereits mehrfach erzählt, sodass sich das Duo Arnoux und Morancho wohl dachte, dass es nun an der Zeit sei, neues Garn aus dem Stoff zu spinnen. Sie erzählen zum einen die Reise in entgegengesetzter Richtung – Clärenore Stinnes ist zuerst in den Osten gefahren durch Russland nach China und Japan und ist dann nach Amerika übergesetzt. Die Heldin dieses Comics, Sigrid Hassler, genannt Sigi, bricht zuerst in Richtung Westen auf und setzt über den Atlantik nach New York über. Zum anderen fügen die Autoren der Geschichte eine politische Komponente hinzu, welche die originäre Reise von Stinnes wohl nicht hatte. In Sigi mischen nämlich gegen das Wissen der Protagonistin die aufkommenden Nazis kräftig mit und finanzieren die Weltreise heimlich, um der Welt die Vormachtstellung Deutschlands zu beweisen.

In diesem ersten Band lernen wir die Heldin mit ihrem Sidekick kennen sowie die finsteren Machenschaften der Hintermänner, von denen Sigi jedoch nichts mitbekommt. Wir erleben erste Abenteuer im Wilden Westen und wie die Reise Fahrt aufnimmt. David Morancho zeichnet in einem sauberen realistischen Stil; besonders die technischen Elemente wie die Fahrzeuge sind detailgetreu gezeichnet. Die Proportionen der Menschen sind weitestgehend korrekt, nur Details wie Hände oder Münder sind manchmal perspektivisch unsauber. Die Farbgebung ist in Sepiatönen gehalten, was die Zeichnungen in die Epoche einbindet, in der die Geschichte spielt.


Male gaze, wie er im Buche steht: Warum muss die junge Dame sich hier nackt auf dem Bett rekeln?


Auf den ersten Blick scheint der Comic mit einem frauenbewegten Thema daherzukommen, das sich mit der Biografie einer starken Frau befasst. Dieser Eindruck wird allerdings bald gebrochen von den massenhaft vorkommenden voyeuristischen Zeichnungen und Blickwinkeln auf weibliche Körper. Sei es Sigi, der eine Vergewaltigung droht, die sich ausziehen muss und der dabei durch den Bildausschnitt ins Dekolleté geglotzt wird. Sei es die Barszene (die auch ohne irgendeine Einbuße in einer anderen Szenerie spielen könnte), in der Burlesque-Tänzerinnen mit glücklichem Lächeln auf dem Gesicht blankziehen oder Nacktszenen von Frauen neben angezogenen Männern, in denen Machtgefüge dargestellt werden sollen. Aber eigentlich ist das alles halt auch ganz schön sexy, sprich male gaze, wie er im Lehrbuch steht. Bitter stoßen die ganzen sexistischen Darstellungen von Weiblichkeit auf und überdecken den echten Kampf von Frauen in einer männerdominierten Welt, den mit Sicherheit auch Clärenore Stinnes ausfechten musste. Die klischeehafte Darstellung der tumben Nazis, die eigentlich schon seit Indiana Jones überholt ist, oder die des Gangsterpärchens im Bonnie-und-Clyde-Stil (bei der die Autoren nicht mal davor zurückschrecken, die klassische erotische Männerfantasie zwischen zwei Frauen einzubauen), fahren den Karren noch tiefer in den Dreck, als ihn herauszuziehen.

Der Comic ist grafisch wie auch inhaltlich nicht tragbar für eine Neuerscheinung aus dem Jahr 2023, obwohl die Geschichte selbst so viel hergeben könnte.

[Mechthild Wiesner]


Das Bonnie-und-Clyde-Motiv ist schon arg auserzählt, und auch hier kommt keine neue Wendung hinzu.


Abbildungen © 2024 Schreiber & Leser / Erik Arnoux, David Morancho


Den Comic gibt's im gut sortierten Comicfachhandel oder direkt beim Verlag: Schreiber & Leser