Frisch Gelesen Folge 64: Ein Sohn der Sonne

Sohn der Sonne

»Ich schulde niemandem auch nur einen Sou. Was folgert sich daraus? Wenn ich halb tot am Strand liegen würde, ließe man mich an Ort und Stelle verrecken …«


FRISCH GELESEN: Archiv


Ein Sohn der Sonne

Ein Sohn der Sonne

Story: Fabien Nury, nach dem Roman von Jack London
Zeichnungen: Eric Henninot

Splitter Verlag
Hardcover | 80 Seiten | Farbe | 17,80 €
ISBN: 978-3-95839-237-3

Genre: Abenteuer, Südsee

Für alle, die das mögen: Literaturadaptionen, Jack London, Südseeromantik, Bruce J. Hawker, frankobelgische Comics der 1960er Jahre


 

Was passiert, wenn man einen noch nicht so bekannten Zeichner und einen bekannten Comicautoren auf eine mehr als 100 Jahre alte Geschichte der Weltliteratur loslässt? Im schlimmsten Fall ein überflüssiges Experiment mit ungelenken Zeichnungen, möglicherweise eine im Feuilleton hochgelobte, ansonsten aber ignorierte Graphic Novel; oder aber ein schöner klassischer Comic mit stimmungsvollen Naturdarstellungen und der Beschreibung des Kampfes der Protagonisten gegen die Unbill anderer Beteiligter und eben der Natur.

Bei dieser Comicadaption von Ein Sohn der Sonne haben wir es glücklicherweise mit letzterem zu tun.

Ein Sohn der Sonne Leseprobe

Jack London wurde vor 140 Jahren geboren und starb vor 100 Jahren, hat also aktuell quasi ein Doppeljubiläum. Zumindest in der Generation der heute 40- bis 60-Jährigen dürfte sein Seewolf in der Verfilmung mit Raimund Harmstorf allgemein bekannt sein und auch Wolfsblut oder König Alkohol könnten noch Erinnerungen wachrufen. Der hier umgesetzte Ausschnitt aus seinen Südseegeschichten um David Grief gehört dagegen zu den eher unbekannteren Werken des leider zu früh verstorbenen Nordamerikaners, der sich selber nie vornehmlich als Schriftsteller bezeichnet hat.

Fabien Nury ist mit einigen aktuellen Werken auch in Deutschland vertreten: W.E.S.T., XIII Mystery und vor allem das fantastische Es war einmal in Frankreich machen ihn zu einem der bekanntesten aktuellen Szenaristen für alle Nicht-Fantasy- oder -Funny-Stoffe. Er wird übrigens in diesem Jahr 40.

Eric Henninot ist dagegen noch am Anfang seiner Karriere. Zwar hat auch er bereits einiges in Deutschland veröffentlichen können und ist mit ebenfalls einem Band von XIII Mystery auch in ähnlichen Gefilden unterwegs, aber sein weiteres Portfolio ist wie z.B. mit Carthargo eher der zweiten Reihe zuzuordnen. Damit ist allerdings nichts über seine Qualität gesagt!

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Die Story ist relativ schnell erzählt: In den Weiten der Südsee gibt es viele Abenteurer: gescheiterte Existenzen, Säufer, aber auch Händler. Sie alle eint der Wunsch nach Freiheit, Gefahr und einem nicht-bürgerlichen Leben. Viele würden aber trotzdem gerne als reicher Mann in die Zivilisation zurückkehren.

Einer dieser Figuren will sein Südseeleben beenden und davor seinen Schatz an den Meistbietenden versteigern. Alle sind eingeladen bis auf den Helden dieser Geschichte: David Grief. Aus vielerlei Gründen ist er bei den anderen nicht so angesehen. Natürlich lässt sich ein Geheimnis dieser Größenordnung nicht vor einem Abenteurer dieser Klasse verheimlichen und so beginnt die Jagd. Der Draufgänger Grief muss dabei sein Leben riskieren, alte Schulden eintreiben und ein ums andere Mal den Gefahren der See trotzen. Das furiose Finale dieses Dramas fordert naturgemäß Opfer, nicht nur Menschen, sondern auch Träume sterben und Leben verlaufen anschließend ganz anders.

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In Rückblicken wird erzählt, warum David mit dem Versteigerer in Clinch liegt. Wer jetzt erwartet hat, dass eine Frauengeschichte dahinter steckt, liegt natürlich richtig. Außerdem ist der Held ein typischer Jack-London-Heroe: einfach cool, sensibel und trotzdem tough. Glücklicherweise schafft es das kreative Team aber, der Versuchung einer Modernisierung des Stoffs zu widerstehen. Weder steht die Grausamkeit der Natur, der Situation oder der handelnden Akteure im Fokus, noch wird versucht, die Widrigkeiten der Natur besonders filmisch darzustellen. Ja, es gibt einen fürchterlichen Sturm, aber es bleibt im Wesentlichen der Vorstellungskraft der Leser überlassen, sich diesen vorzustellen. Auch die (körperlichen wie seelischen) Schmerzen werden nicht im Detail beschrieben und ausgekostet, sondern nur soweit geschildert, wie es die Handlung verlangt. Trotzdem sind die 80 Seiten nicht übertrieben lang und langweilen auf keiner einzigen Seite.

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Henninot darf alles zeigen. Die Südsee mit ihren speziellen Farben, die tief stehende Sonne wie auch die teilweise bereits verfallenden Gebäude und der Widerspruch zwischen weißen »Herren« und schwarzen Untergebenen werden vorzüglich dargestellt. Auch die Figuren und das spezielle Dekors der Zeit gelingt fast perfekt, wenn es auch nicht ganz an die bahnbrechenden Bilder eines François Bourgeon heranreicht. Insgesamt aber ganz klassische frankobelgische Kunst wie man sie etwa in Magazinen wie Tintin oder Pilote erwartet hätte.

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Diese Romanadaption ist für mich ein eindeutiger Kauftipp für alle Freunde klassischer Comicstoffe. Wer gerne Jack London liest wird sich hier wohl fühlen. Die Umsetzung ist dicht genug an einer Literaturadaption, um auch Graphic-Novel-Fans zu interessieren, ohne jedoch ein graphischer Roman zu sein. Wer seine Heimat eher im modernen Fantasycomic oder im Superheldengenre verortet wird, daher das Geld lieber für etwas anderes ausgeben wollen.

Dazu passt als Musik Soca, Calypso oder Ska und eisgekühlter Ananassaft!

[Sven Krantz-Knutzen]

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Abbildungen © 2015 Splitter / Nury / Henninot


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