stainlessArt: Jommeke 1 und 2

Rezension

Vergrabene Schätze, schottische Gespenster

Die Rückkehr des flämischen Kindercomics Jommeke

Jommeke lebt in Zonnedorp. Seit über 50 Jahren erlebt er dort seine Abenteuer. Allein in Flandern wurden 55 Millionen Stück verkauft. Ab September sollen sollen sich auch die deutschen Comicleser von der Güte dieser langlebigen Serie des Zeichners Jef Nys überzeugen lassen.

→  von Matthias Hofmann

Auf der Verlagshomepage des StainlessArt Verlags steht es geschrieben: »Endlich! Jommeke kommt zu uns nach Deutschland!«

Endlich? Das klingt fast so, als hätte jemand auf Jommeke gewartet. Ist das so?

Um das zu ergründen, muss man das Rad der Zeit einige Dekaden zurückdrehen. In den 1970er Jahren gab Jommeke schon einmal ein Gastspiel. Der Gemini Verlag bzw. zuletzt die belgische Europress brachten mehr als 30 Hefte auf den Markt, allerdings unter dem Serientitel Die tollen Abenteuer von Peter + Alexander (wobei die ersten Bände noch Die bunten Abenteuer von Peter + Alexander hießen). In jener Zeit versuchte man einige flämische Serien in Deutschland zu etablieren. Der Kölner Rädler Verlag war hier sehr aktiv mit Serien von Willy Vandersteen (Suske und Wiske, Safari) oder Marc Sleen (Die Abenteuer von Nero & Co.). All diesen Serien war kein langjähriges Leben beschert und es zeigte sich schon damals, dass gerade niederländische oder flämische Funny- und Semi-Funny-Comics, die sich in ihren Heimatländern wie geschnitten Brot verkauften, in Deutschland schwer an den Leser zu bringen sind.

Mario Wagners Stimmungsbericht vom Erstverkaufstag
(Mayersche Buchhandlung in Aachen)


Perfektes Wetter und eine volle Stadt, das waren die Rahmenbedingungen. Die Resonanz war fantastisch: Zahllose Kinder haben sich Stundenpläne und Sammelkarten abgeholt. Für Eltern und Großeltern hatten wir Flyer über Jommeke mit Leseprobe im Gepäck, so dass diese sich informieren konnten, was ihre Kinder oder Enkel ab jetzt lesen können.

Wir haben so viele Gespräche geführt, dass wir fast heiser sind. Wie wichtig es gerade Großeltern ist, dass ihre Kinder etwas gewaltfreies und doch spannendes lesen können, wurde oft bestätigt. Mancher kaufte dann gleich ein Album als Mitbringsel. Wieviele Kinder, Erwachsene und auch Touristen sich mit Jommeke haben fotografieren lassen, weiß keiner, wahrscheinlich mehr als Tausend. In Aachen war die Besonderheit, dass auch viele Besucher aus Belgien und den Niederlanden dort waren und sich freuten, Jommeke nun auch in Deutschland wiederzusehen. Manche meinten spontan, jetzt könnten sie mit Jommeke (besser) Deutsch lernen. Erstaunlich viele erkannten Jommeke aus dem Belgien Urlaub wieder!

Dann gab es die begeisterten Stimmen von ehemaligen Peter + Alexander Lesern, die sich freuten, jetzt weitere Abenteuer für sich und ihre Kinder bekommen zu können. Ich habe von den Flyern übrigens keinen einzigen auf dem Boden wiedergefunden! Und natürlich wurde auch das ein oder andere Interview für die Presse geführt. usw. usw. Ein toller Tag!
Ach ja: Das weniger fachkundige Publikum ließ uns schmunzeln. Von Tim und Struppi über Playmobil, von Mainzelmännchen bis Bob der Baumeister reichten die Verwechslungen.

Am Beispiel Suske und Wiskekann man erkennen, dass die bei unseren Nachbarn bekannte und beliebte Marke bei uns höchstens eine kleine Liebhaber-Klientel interessiert. Diese in den Niederlanden äußerst beliebte Serie wurde über die Jahre bereits mehrfach reanimiert und ist gerade 2010 von Eckart Schott bei Salleck Publications mit drei neuen Alben wieder ins Sichtfeld der Sammler geschoben worden.

Und jetzt kommt Jommeke. Ein neu gegründeter Verlag, der Aachener stainlessArt Verlag, will zeigen, dass die »lustige und spannende Welt von Jommeke und seinen Freunden« auch hierzulande mehr als nur 300 deutsche Anhänger findet. Prinzipiell gab es solche Versuche schon oft: ein Kleinverlag begibt sich auf eine Art »Mission Impossible«, um den Lesestoff seiner Kindheit zu publizieren und oft scheitert oder verhebt man sich an den Mechanismen der Marktwirtschaft. Man blendet simple Logik einfach aus. Nicht jedes Erfolgsmodell aus einem anderen Land lässt sich 1:1 auf Deutschland übertragen. Die Kinder von heute sind anders als die Kinder, die vor 40 oder 50 Jahren mit Brettspielen und Quartettkarten zu begeistern waren. Und vor allem tragen die Helden von heute keine altmodischen Klamotten.

Mario Wagner und Dirk Sieprath, die beiden Geschäftsführer des jungen Unternehmens, ist das alles egal. Sie haben eine Vision. Für sie ist Jommeke nicht nur Kult, sondern etwas besonderes, und sie wollen alle daran teilhaben lassen. Konnte man anfangs durchaus skeptisch sein, fügt sich langsam alles, was man rund um den Launch der Serie geplant hat, wie bei einem Masterplan mosaikartig zusammen. Das Gesamtbild, das sich zum offiziellen Start der Serie am 3. September 2011 ergeben hat, kann sich nämlich sehen lassen.

Die Homepage ist klar strukturiert und bietet alles, was man als Interessent braucht. Es gibt aktuelle News und allgemeine Informationen zur Serie, den Figuren und ihrem Zeichner. Es gibt einen Shop und es gibt einen Club (»Lerne Jommeke und seine Freunde kennen und entdecke tolle Malbilder und kniffligen Rätselspaß mit Jommeke. Schau außerdem zu, wie ein Jommeke Comic entsteht!«). Die Webseite wendet sich an Kinder, jugendliche Leser und an Erwachsene. Warum nur die eingefleischten Sammler abholen, wenn man auch alle potentiellen Leser ansprechen kann? Ein schöner Internetauftritt, das ist gut gemacht und stimmt passend auf die Serie ein.

Auch vertriebstechnisch testet man von Beginn an aus, wo die Grenzen sind. Jommeke gibt es nicht nur standardmäßig über den Comicfachhandel zu kaufen sowie über den eigenen Onlineshop und ausgewählte Buchhandlungen in Aachen und Köln, sondern auch im Bahnhofsbuchhandel über die Pressegrosso-Schiene. Preislich liegt man zwar über den gängigen Softcover-Alben von beispielsweise Egmont Ehapa, aber 6,95 Euro sind für ein Softcoveralbum, das im Fachhandel anboten wird, ein sehr günstiger Preis.

Doch jeder noch so starke Elan bringt nur etwas, wenn das Produkt, also die fertigen Comics, etwas taugen. Zum Start sind gleich zwei Ausgaben der neuen Serie Jommeke erschienen. Rein äußerlich können sie gut mit der Konkurrenz mithalten. Ein paar Anfängerfehler fallen da nicht ins Gewicht. Das dürfte höchstens die Comic-Insider stören, wie zum Beispiel der fehlende Serienname auf dem Rücken der Alben oder dass im Impressum die Originaltitel nicht genannt werden.

In Belgien liegen inzwischen über 250 Alben vor. Im August erschien im Verlag De Ballon Band Nr. 255 mit dem Titel »De clanstrijd«. Würde wie geplant alle zwei Monate ein neuer deutscher Band erscheinen, würde diese Originalausgabe auf Deutsch ungefähr im Jahr 2053 vorliegen (und die Originalserie wäre bei vierteljährlicher Erscheinungsweise ungefähr bei der Nr. 421 angelangt). Das klingt ein wenig nach Sisyphos  mit einem Schuss Don Quixote. Also hat man sich bei stainlessArt für das einzig Senkrechte entschieden und bringt eine Auswahl der besten Geschichten heraus.

Als Band 1 hat man sich »Der Schildkrötenschatz« (Originalband 9 »De Schildpaddenschat«) ausgesucht, als Band 2 »Das Jampuddinggespenst« (Originalband 13 »Het Jampuddingspook«). Und in der Tat, diesen beiden Titel, die beide in Belgien ursprünglich Anfang der 1960er Jahre veröffentlicht wurden, sind eine gute Wahl. Zum einen stellen sie die wichtigsten Charaktere vor. Jommeke & Co., also die Guten, ebenso wie den wiederkehrenden Bösewicht Anatool. Zum anderen sind die Storys so gestaltet, dass sie auch nach heutigen Maßstäben spannend und interessant wirken.

Im ersten Band findet der Junge mit der markanten gelben Strohdachfrisur beim Aufräumen (oha!) eine Karte, die auf einen sagenhaften Schatz verweist, der sich auf einer fernen Insel befinden soll. Also begeben sich Jommeke und seine Freunde auf die Reise. Und wenn Jommeke auf die Reise geht, dann sind sie alle dabei: sein sprechender Papagei Flip, sein Freund Filiberke, dessen schwarzer Pudel Pekkie und die Zwillinge Annemieke und Rozemieke. Natürlich wurden sie beim Schmieden der Reisepläne von Anatool belauscht, der sie verfolgt und ihnen den Schatz abjagen will.

Das klassische Motiv der Schatzsuche, das jeder in seiner Kindheit schon mindestens einmal durchgespielt haben dürfte, wird hier nach Art des Jef Nys, dem Erfinder von Jommeke, aufgegriffen und in eine schöne, runde Geschichte verpackt, die zwar durchaus altbacken ist, aber immer wieder lustige Momente hat und einen positiven Charme versprüht, dem man sich schwer entziehen kann. Man muss allerdings wenigstens rudimentär für diese nostalgische Material empfänglich und offen sein. Sonst ist es wie mit dem Hypnotiseur, der das falsche Medium in einen Dämmerzustand bringen will. Wer von vornherein skeptisch ist, der wird seine liebe Mühe mit dem Stoff haben.

Auch der zweite Band kann mit einem klassischen Thema der Sorte »Immer wieder gut« punkten. Ein Schotte hat es in die Stadt von Jommeke verschlagen. Und weil er so exotisch ist mit seinem Schottenrock und dem riesigen roten Schnurrbart, erregt er die Aufmerksamkeit von Jommeke und Kumpel Filiberke. Beim Erstkontakt mit diesem exotischen Typen stellt sich heraus, dass er Sir Mic Mac Jampudding heißt und in einem Schloss in den schottischen Highlands wohnt, welches von einem Gespenst heimgesucht wird. Und wieder geht’s auf die Reise, einem Rätsel auf der Spur, denn Jommeke glaubt nicht an Geister und möchte natürlich herausfinden, was es mit dem Spuk auf sich hat.

Die Zeichnungen sind für die Augen heutiger Kinder und Jugendlicher sicherlich gewöhnungsdürftig. Die Panels sind klein. Die Bildfolge ist konservativ. Es ist dieser alte belgische Stil, den Vandersteen perfektioniert hat. Alte, wenn nicht ur-alte Schule. Jef Nys ist im Rahmen dieser flämischen »Ligne Claire« durchaus zu den Meistern zu zählen. Auch bei diesen ganz frühen Geschichten kann man klar erkennen, dass er sein Metier beherrscht. Es geht jedoch eher beschaulich zu. Rasante Action, wie sie einige Jahre zuvor bereits ein ganz Großer wie Maurice Tillieux mit seinen Autoverfolgungsjagden bei seiner Serie Jeff Jordan cool in Szene gesetzt hat, sucht man hier vergeblich. Die beiden vorliegenden Alben von Jommeke haben aber das gewisse Etwas. Als Lesefutter schmecken sie gut und man sieht sich die kleinen Covermotive der nächsten Nummern, die hinten in den Alben abgedruckt sind, genauer an. Das hat was.

Und haben wir jetzt auf diese Serie gewartet? Nicht wirklich. Als Überraschungsgast hinterläßt der Comic einen wohligen Eindruck. Jommeke ist der Versuch, eine altbackene Kindercomicserie mit einer Verzögerung von fast fünf Dekaden in Deutschland zu etablieren. Wie der Verlag die »Operation Kinderzimmer« durchzieht, kann als gelungen bezeichnet werden. Ob der Stoff von vielen der potentiellen Leser akzeptiert wird, so dass sie auch in zwei und vier Monaten zurückkommen und weitere Geschichten lesen und kaufen wollen, muss sich zeigen. Die Marke wird mit so viel Liebe zum Detail und so viel positivem Denken eingeführt, dass man es ihr wünscht, dass sie sich etabliert.

Abbildungen © stainlessArt Verlag


Die Daten

Jommeke Band 1: Der Schildkrötenschatz (Originaltitel: »Jommeke 9: De Schildpaddenschat«)
Autor/Zeichner: Jef Nys
stainlessArt Verlag
Softcover, Album, Farbe, 48 Seiten, 6,95 Euro, ISBN 978-3-9814646-0-3

Jommeke Band 2: Das Jampuddinggespenst (Originaltitel: »Jommeke 13: Het Jampuddingspook«)
Autor/Zeichner: Jef Nys
stainlessArt Verlag
Softcover, Album, Farbe, 48 Seiten, 6,95 Euro, ISBN 978-3-9814646-1-0


Weiterführender Link:

Homepage des Verlags: Jommeke.de