Frisch Gelesen Folge 351: Ducks

 »Es ist einfach … Scheiße in der Luft. Einfach Scheiße.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden

Story: Kate Beaton
Zeichnungen: Kate Beaton

Zwerchfell Verlag | Reprodukt
Hardcover | 448 Seiten | zweifarbig | 39,00 €
ISBN: 978-3-95640-383-5

Genre: Autobiografie

Für alle, die das mögen: sozialkritische Comics mit autobiografischem Ansatz



Kate Beaton (Zur Seite, Kerl) ist primär als humoristische Cartoonistin bekannt. Ihre Comicstrips sind im Netz auf www.harkavagrant.com erschienen und in Deutschland beim Zwerchfell Verlag in Buchform verlegt worden. Sie sind mit mehreren Awards, darunter dem Eisner, ausgezeichnet worden und standen mehrere Monate auf der Bestsellerliste der New York Times. Nun veröffentlicht Zwerchfell in Kooperation mit Reprodukt Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden, die eine autobiografische Darstellung ihrer ersten drei Jahre nach Studienabschluss darstellen.


Von Schulden gedrückt: Kate Beatons autobiografisch angehauchte Protagonistin.


Studiert hat Beaton Geschichte und Anthropologie an der Mount Allison University in Sackville, New Brunswick, Kanada, wo sie 2005 ihren Abschluss machte. Ihre Familie stammt aus eher einfachen Verhältnissen aus Cape Breton, Nova Scotia. Daher musste sie für das Studium ein Darlehen aufnehmen, dessen Rückzahlung nach Beendigung schwer auf ihr lastete. Ihre Fächerkombination entsprach zwar ihren persönlichen Vorlieben, ist aber wohl nirgends ein Garant auf einen gut bezahlten Job – oder überhaupt irgendeinen Job, in dem das Erlernte anwendbar ist. (Ich weiß, wovon ich rede, ich habe Germanistik und Religionswissenschaften studiert.) Einen Ausweg sieht sie darin, einen Job in den Fracking-Gruben Albertas anzunehmen. Diese Region, die als die Ölsande bekannt ist, ist der treibende Wirtschaftsmotor Kanadas und einer der größten Arbeitgeber. Viele Menschen aus den strukturschwachen Gebieten im Nordosten Kanadas gehen hierhin, um ihre Familien zu finanzieren. Hier kann man schnell viel Geld verdienen, und so erhoffte sich auch Beaton, zügig ihre Schulden abzahlen zu können. Jung und unbedarft, wie sie war, nahm sie einen Job in einem der Werke an. Anfänglich setzt sie sich mit der Thematik Arbeitsmigration auseinander. Schnell aber bemerkt sie, dass die Camps und die Arbeitsbedingungen ganz andere Problematiken mit sich bringen.

Was sich auf Kate Beaton persönlich am stärksten auswirkt, ist die Quote. So kommt in den Gruben auf 50 Männer eine Frau. Diese eklatante Schieflage der Geschlechterverteilung macht diese Orte zu Brenngläsern von Frauenfeindlichkeit und toxischer Männlichkeit. Wenn jede Frau in ihrem Leben mehrere Erlebnisse aufführen kann, in denen sie sexuelle Übergriffe, verbaler oder physischer Natur, erfahren hat, so scheinen diese einen durchschnittlichen Tag einer Frau in den Ölsanden darzustellen. Der Arbeitsalltag von Kate ist erfüllt von herabwürdigenden (aber ja eigentlich total nett gemeinten) Ansprachen wie »Baby«, »Schätzchen« oder »Süße«, nicht enden wollendem Gaffen bis hin zu offen sexistischen Sprüchen. Und so wie sie ums nackte Überleben ringt und versucht, nicht in dem Strudel aus Überforderung durch die neuen Aufgaben und der Konfrontation durch die harsche Lebensrealität der Camps unterzugehen, so werden wir von der Erzählung mitgerissen.


In den Ölsanden an der Tagesordnung: unverhohlener Sexismus.


Kates klägliche Versuche, sich zu Wehr zu setzen, sind zum Scheitern verurteilt und bringen sie schließlich in eine Situation, in der ein Mann sie vergewaltigt, ohne dass dieser das so empfindet noch bemerkt, wie es ihr damit geht. Sie jedoch, inzwischen eingeschüchtert genug, hält es für sinnvoller, die eskalierte Lage über sich ergehen zu lassen, denn dagegen aufzubegehren. Diese Szene ist so stringent in der Erzählung, dass es umso mehr trifft, dass es sich hierbei um Kates tatsächliche Erinnerungen handelt. Innerhalb der #MeToo-Diskussion wurden oft Gegenargumente zu Felde geführt, die Dinge besagen wie »Warum hat sie sich nicht gewehrt?« oder »Hat sie denn Nein gesagt?«. Wer Kate Beatons Schilderungen folgt, wie es zu diesem Punkt kam, stellt diese Fragen nicht mehr.

Traumatisiert durch die Vergewaltigung muss sie den Ölsanden und den Camps den Rücken kehren und geht vorübergehend in eine Stadt zum Arbeiten. Nach einem Jahr nimmt sie aber erneut eine Anstellung bei einem Fracking-Unternehmen an, da ihr droht, dass sie Zinsen auf ihre Schulden zahlen muss. Doch diesmal ist sie nicht mehr so naiv und sie beginnt, nicht nur die Arbeitssituation, sondern auch alle weiteren problematischen Themen, die das Unterfangen der Ölgewinnung in dieser Region mit sich bringen, mit offenen Augen wahrzunehmen. Denn nicht nur die Umwelt erleidet große Schäden (daher rührt der Titel Ducks), auch die Ureinwohner:innen des Landes leiden stark. So führt uns Beaton immer tiefer in den Kaninchenbau, so wie auch sie immer mehr begriffen hat von dem, was um sie herum geschieht.


Massive Umwälzungen: Die Natur leidet unter den Eingriffen der Menschen.


Der Zeichenstil ist von einer stark strukturierten und gradlinigen Panelaufteilung geprägt. Die Farbgebung in Grautönen trägt ebenso dazu bei, den tristen und monotonen Alltag in den Camps zu verbildlichen. Beatons Zeichnungen mögen nicht sonderlich ausgefeilt und die Gesichtsausdrücke nicht allzu differenziert sein, aber alleine der Inhalt trägt den Comic. Stark hingegen sind ihre Landschaftsbilder und die Darstellungen der Industriewerke, die von einer zerbrechlichen Schönheit zeugen und auch von einer Verbundenheit, die Beaton in ihrer Zeit dort zu der Region entwickelt hat.

Ducks ist ein wichtiges Zeitdokument, das ein weiteres Puzzleteil in der Dokumentation über die Ölsande darstellt und die Seite der Arbeiter und der wenigen Arbeiterinnen beleuchtet. Zusätzlich trägt die Geschichte ihren Teil zur #MeToo-Debatte bei und zeigt, wie wichtig es für das Zusammenleben ist, dass alle Geschlechter eine paritätische Teilnahme am gesellschaftlichen Miteinander haben und was es mit Menschen macht, wenn dem nicht so ist.

[Mechthild Wiesner]

Abbildungen © 2023 Zwerchfell Verlag, Reprodukt / Kate Beaton


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