Frisch Gelesen Folge 106: Heraus aus der Finsternis

»… nur weil die Jungs es so machen, müssen wir das ja nicht nachmachen.«


 FRISCH GELESEN: Archiv


Heraus aus der Finsternis

Story: Christopher Tauber
Zeichnungen: Annelie Wagner

Zwerchfell Verlag
Hardcover | 52 Seiten | Farbe | 12,00 €
ISBN: 978-3-943547-41-27

Genre: Historie, Kindercomic

Für alle, die das mögen: Geschichte, Frauenrechte


 

Heraus aus der Finsternis ist die zweite Kooperation von Christopher Tauber und Annelie Wagner mit dem Jungen Museum Frankfurt. Bereits 2017 schufen sie mit Das größte Fest der Welt einen Comic über die Kaiserkrönung 1742 in Frankfurt. Nun nimmt sich das Duo eines neuen Themas an, das Frauenwahlrecht steht im Mittelpunkt. Gemein ist beiden Bänden der Schauplatz – die Stadt Frankfurt am Main. Gleich ist den Comics auch, dass die Protagonist*innen Kinder sind und Heranwachsende als Leserschaft angesprochen werden sollen.


Auch Christopher Taubers und Annelie Wagners neuer Comic spielt in Frankfurt.

Der nun erschienene Comic spielt in den Umbruchsjahren 1918/19. Sie stehen für das Ende des Ersten Weltkrieges und die ersten demokratischen Wahlen, in denen Frauen wählen durften und sich zur Wahl stellten. Im Mittelpunkt der Erzählung stehen die vier Mädchen Käthe, Jenny, Franziska und Josephine, die aus sehr unterschiedlichen Kreisen und Schichten kommen. Sie werden Freundinnen, weil sie alle unter einem gemeinsamen Problem leiden: Den Jungs! Besser gesagt den Jungsbanden, von denen es in jedem Viertel eine zu geben scheint. Sie schikanieren Schwächere, wozu natürlich sämtliche Mädchen zählen.

Bei ihren Streifzügen durch die Stadt, aber auch durch ihre eigenen Mütter greifen die vier Freundinnen die Aufbruchsstimmung auf. Sie beschließen, ihren eigenen Verein, ihre eigene Bande zu gründen, um so den fiesen Jungs entgegenzutreten. Bald schon merken sie, dass sie diese nicht mit deren Waffen schlagen wollen. Also wenden sie sich von Gewalt als Lösung des Konflikts ab und beschließen, alle Kinder Frankfurts einzuladen, um miteinander zu reden. Am Ende schaffen es die Mädchen, die Jungs zu überzeugen, dass Kriegspielen ja irgendwie auch total 1917 ist und man doch besser im Kreis steht und sich an der Hand hält und »Kumbaya, my Lord« singt. Aber halt! Letzteres wäre wohl ein Anachronismus. Von denen gibt es im Übrigen vier an der Zahl versteckt in den Zeichnungen, die zum ausgiebigen Betrachten der Bilder einladen. Man kann sich aber auch einfach nur die Lösung durchlesen.

 
»Mädchen gegen Jungs« mit realistischem Strich und geschickt akzentuierten Rottönen.

Die Zeichnungen von Annelie Wagner sind von klarem Strich mit realistischen und detailgetreuen Hintergründen. Die Panels sind aber nie überfrachtet, und die in Sepiatönen gehaltene Kolorierung setzt geschickte Akzente in Rottönen.

Darüber hinaus verfügt der Comic über ein Glossar, das Zeitgeschehnisse oder zeitgenössische Gegenstände erklärt sowie wichtige Personen knapp porträtiert. Da es sich um einen historischen Comic handelt, der Kindern die Einführung des Frauenwahlrechts näher bringen soll, ist eine solche Seite sinnvoll. Über die Geschichte der drangsalierten Mädchen bietet der Comic das Thema kindgerecht dar.

Tauber beleuchtet die Lebenssituationen der damaligen Frauen auf verschiedenen Ebenen. Weder erklärt er zu viel, noch schwingt er die Moralkeule. Bis dann leider der Schluss den ansonsten nicht schlechten Ansatz völlig vergeigt. Denn zum einen ist es nicht wahr, dass das Durchsetzen des Frauenwahlrechts nur friedlich ablief und die Frauen die Männer einfach argumentativ überzeugt haben. Zum anderen war danach nicht alles gut, genau genommen begann da erst die richtige Arbeit. Solche Wahrheiten kann man auch schon Achtjährigen zumuten.

 Die Vermittlung der Geschichte erinnert etwas zu sehr an Unterrichtsmaterial.

Der gesamte Comic schreit »Unterrichtsmaterial«! Und das auf so eine penetrante Art, dass ich beim Lesen im Hinterkopf die Stimme meines Geschichtslehrers zu hören glaubte, der Dinge sagte wie: »Analysiert nun anhand der Seiten 26 und 27 die Situation von Jennys Mutter«. Die Geschichte ist gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Zu sehr wirkt sie wie eine Auftragsarbeit. Das Herzblut für die Thematik ist für mich nicht zu erkennen, was wirklich schade ist. Klar, für Schüler*innen bietet Heraus aus der Finsternis eine gelungene Abwechslung vom drögen Schulalltag. Darüber hinaus mangelt es dem Comic an Inspiration und Leidenschaft. So erinnerte es dann doch nur an eine 1919er-Version von »Mädchen gegen Jungs«. Bibi & Tina lassen grüßen.

[Mechthild Wiesner]

Abbildungen © 2019 Zwerchfell Verlag


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Oder beim Verlag: Zwerchfell Verlag