Featured

ALFONZ on Tour: Angoulême 2015 Tag 4

Angouleme 2015

Der letzte Tag in Angoulême: die Politiker kamen, die letzten Preise (Fauves) wurden vergeben und Blutch hielt eine emotionale und engagierte Rede. Ein beeindruckender Sonntag beendete das viertägige Großereignis, welches in die Geschichte dieses Comicfestivals als eines der markantesten eingehen wird.

Alfonz on Tour - Angoulême 2015france48
Sonntag, den 1. Februar

GEHE ZU:
Tour Tag 1 * Tour Tag 2 * Tour Tag 3 * Tour Tag 4

Ein Japaner in Frankreich

Welchen Stellenwert der Japaner Jirô Taniguchi in Frankreich hat, wird nicht nur anhand der zahllosen Veröffentlichungen seiner Bücher bei unseren Nachbarn deutlich. Auch die Größe und der Ort der Ausstellung Jirô Taniguchi, l'homme qui rêve (»Jirô Taniguchi, der Mann, der träumt«), gelegen im Vaisseau Moebius direkt gegenüber dem Comicmuseum von Angoulême und sich über zwei Etagen erstreckend, erweist dem Zeichner und Autor von Vertraute Fremde und Der Gourmet eine besondere Ehre.

Man könnte sich jetzt darüber beschweren, dass vor allem von den ausgestellten Comicseiten in Schwarzweiß fast nur digitale Kopien in der Ausstellung gehängt wurden, aber das wäre angesichts der wunderbaren Präsentation aller Exponate und der gelungenen Auswahl Jammern auf hohem Niveau. Denn immerhin sind Taniguchis Zeichnungen zum Zwecke der Reproduktion entstanden und lassen auch als Kopie kein Detail und keine Finesse vermissen, und gerade die farbigen Blätter lassen die Meisterschaft seiner Zeichenkunst mehr als anschaulich werden.

Dicht gedrängt nahmen die Besucher der Ausstellung lange Wartezeiten in Kauf

Der unmittelbare Blick auf die Exponate entschädigte dann aber für alle Unannehmlichkeiten

Dem in Deutschland bisher unveröffentlichten Werk Icare, das Taniguchi zusammen mit Moebius gestaltete, war ein eigener Raum gewidmet


Der Rest vom Fest

Traditionell werden die »Fauves« (die Preise des Festivals in Form eines kleinen Raubtiers) am Sonntagnachmittag verliehen; dann, wenn viele schon auf der Heimreise sind. Besonders die internationalen Besucher. Viele? Nun ja, wir nicht, und Jens Harder (beta) auch nicht, denn er war immerhin nominiert und wurde im Publikum des großen Auditoriums gesichtet. Dieses war gut gefüllt, schließlich ist es jedes Jahr ein Ereignis, die Bekanntgabe des »Fauve d'Or« mitzuerleben.

Die Zeremonie begann, und damit schloß sich der Kreis, mit der Bekanntgabe des Gewinners eines neuen Preises, dem »Prix Charlie Hebdo pour la liberté de la presse«. Ausgezeichnet wurden die Zeichner von Charlie Hebdo, die am 7. Januar 2015 brutal ermordet worden waren.

Extra angereist war die Kultur- und Kommunikationsministerin Fleur Pellerin, die im roten Kurzen eine lange Rede hielt, um danach vom stets wachen Geist eines Blutch gezeigt zu bekommen was eine Harke ist. Der Zeichner von Peplum, der 2009 den »Grand Prix« des Festivals erhielt und als einer der bedeutendsten Comicautoren der letzten Jahre gilt, hielt eine vernichtende Rede darüber, während der er sich mehrfach formal bei der Ministerin entschuldigte, dass er von der Regierung enttäuscht ist, denn sie hatte weder Mut noch Verantwortung gezeigt, während die Zeichner von Charlie Hebdo nun mit ihrem Leben dafür bezahlt haben, dass sie sich ihre Kreativität nicht haben verbieten lassen. Ähnlich wie ein rotzfrecher Jean-Christophe Menu ein paar Tage zuvor, als er den Bürgermeister von Angoulême bei der Preisvergabe des »Spezial-Grand-Prix« als Idiot bezeichnete (das französische Wort »con« kann auch für »Fotze« stehen …). Eine hervorragende Rede von Blutch, ein bewegender Moment, eine peinlich berührte Politikerin.

Fleur Pellerin, die französische Kulturministerin

Blutch zieht elaboriert vom Leder

Danach wurde etwas (Theater)kunst geboten. Eine alte Heidelberg-Druckmaschine ratterte, drei kleine Kinder zeichneten die ganze Zeit über auf dem Boden, zwei Drucker ließen auf der Bühne Lithographien entstehen, während im Vordergrund die Laudatoren auftraten und die Ausgezeichneten ihre Dankesworte sprachen (eine Liste der Preisträger findet sich HIER).

Zwischen den Kategorien gab es wirklich gut gemachte Einspieler, wie z.B. einen Filmbericht mit Impressionen von dem soeben zu Ende gegangene Festival mit all seinen Highlights oder eine Gedenkstrecke an die Künstler, die seit dem letzten Festival verstorben sind. So auch US-Amerikaner wie Al Feldstein und zum Schluss Wolinski, Charb und die anderen Zeichner, die bei dem Terroranschlag auf Charlie Hebdo ums Leben gekommen sind.

Wilfrid Lupano und Paul Cauuet
bekommen den Publikumspreis für Die alten Knacker Band 1

Bastien Vivès, Michaël Sanlaville und Yves Bigerel alias Balak
bekommen den Preis für die beste Serie für Last Man Band 6

Riad Sattouf (rechts) bekommt den goldenen Hauptpreis für das beste Album

Alle anwesenden Preisträger 2014 posieren fürs Abschlussfoto


4. Tag: Aus dem (gar nicht mehr geheimen) ALFONZ-Tour-Tagebuch

Das letzte »petit dejeuner« in unserem Schlosshotel fühlt sich seltsam an. Waren wir nicht erst angekommen? Ja, dieses Frühstück ist anders. Während wir uns sonst immer gegenseitig etwas mitbringen, wenn einer vom Tisch aufsteht und zum Buffet geht, beantwortet Volker heute alle Fragen mit »Nein«.

Willst Du einen Kaffee? Antwort: Nein? Ein Ei? Nein. Grapefruitsaft? Nein. Nutella? Nein. Woran liegt's? Natürlich daran, dass sein Magen die letzten Tage etwas rebelliert hat und er es essenstechnisch gemächlich angehen lassen will. Ob das verbrannte Fleisch vom Freitagabend daran schuld war?

Wir lassen jedenfalls den letzten Tag etwas gemütlicher angehen. Keine Termine, bis auf ein lockeres Treffen mit Alexis Martinez und Gunther Brodhecker, den beiden Machern von Das Tagebuch des Ricardo Castillo. Ansonsten: Viel Luft zum Bummeln.

angou15 4 11

Charlie Hebdo war in der ganzen Stadt mit Plakaten allgegenwärtig:
Hier ein Kommentar zur Lösung des Problems der Überbevölkerung,
gezeichnet von Reiser

Unser diesjähriger Running Gag ist, dass Volker fragt, ob wir als nächstes ins Para-BD-Zelt gehen wollen, also dorthin, wo die meisten Schätze und Kuriositäten für Sammler feilgeboten werden. Gefühlt wurde diese Frage 20 Mal pro Tag gestellt. Es trifft sich heute gut, dass sich der Stand von BD Must, dem belgischen Verlag, der auch deutschsprachige Bob-de-Moor-Gesamtausgaben von Barelli und Cori der Schiffsjunge publiziert, im Para-BD-Zelt befindet. Bei BD Must ist rechtzeitig zum Festival die französische Ausgabe von Le Journal de Ricardo Castillo erschienen.

Wir holen Brodhecker und Martinez zwischen 12 und 13 Uhr am Stand ab und setzten uns zum Klönen und Schnabulieren in ein Speiselokal. Alexis hat seit Samstag unzählige Bücher signiert und mit Zeichnungen versehen, und beide hatten vom sonstigen Festival noch nichts gesehen. Auf dem Weg zum Restaurant läuft uns Benjamin von Eckartsberg über den Weg, der vom großen Interesse an Gung Ho, dem Comic, den er zusammen mit Thomas von Kummant macht, berichtet.

Nach dem Essen haben wir noch knapp eineinhalb Stunden Zeit, um eine Ausstellung zu besuchen. Mindestens eine pro Tag haben wir uns vorgenommen. Die Werkschau von Jiro Taniguchi muss es heute sein. Wer nur die eher andächtigen zuletzt auf Deutsch erschienenen Werke wie Der Spaziergänger kennt, wird überrascht sein, welche Abenteuerstoffe der Japaner insgesamt geschaffen hat, wie z.B. Skyhawk oder Gipfel der Götter, die bei Schreiber & Leser herausgekommen sind. Oder auch die glänzende Kollaboration mit Moebius: Icare, die es leider (noch) nicht auf Deutsch gibt.

Wir schaffen es gerade noch so, um gegen 15:45 Uhr zur Preisverleihung der »Raubtiere« aufzuschlagen. Wir haben zwar keine Einladung und der Saal ist schon ziemlich voll, aber können nach etwas Diskussion mit den Ticketkontrolleuren doch noch hinein. Die Zeremonie ist gut gemacht, sehr unterhaltsam und auch gehaltvoll. Das sollte man sich als deutscher Besucher ruhig einmal ansehen.

Danach treffen wir beim Ausgang Didier Pasamonik, unseren Frankreich-Korrespondenten für Alfonz, der die feste Kolumne »Lettre de France« schreibt, wirklich Hinz und Kunz kennt (am Vortrag hat er uns u.a. in den VIP-Bereich bei Delcourt eingeschleust) und auf diesem Festival viele für uns wichtige Kontakte hergestellt hat, wie er sich gerade mit dem Gewinner des »Prix du Patrimonie« (Beste Reprint- bzw. Klassiker-Ausgabe) unterhält. Der Chinese Zhan Leping ist wenige Minuten zuvor für seine Gesamtausgabe von San Mao ausgezeichnet worden. Er lässt sich nicht nur mit einer Ausgabe von Alfonz für die Friendz-of-Alfonz-Galerie ablichten, sondern wir als deutsche Comicjournalisten müssen auch kurz mit ihm posieren, um von seiner Fotografin fürs Reisetagebuch festgehalten zu werden.

Ein letztes Mal schlendern wir durchs Zelt mit den Kleinverlagen, wo wir am Stand der Frankfurter Buchmesse vorbeischauen und uns ein paar Meter weiter bei Virtual Graphics von David Boller verabschieden.

Es ist ein tolles Festival gewesen. Man merkt richtig, wie es die eigenen Batterien aufgeladen hat. Ohne darüber geredet zu haben, spüren wir, dass wir auch nächstes Jahr wieder dabei sein wollen. Angoulême ist wirklich ein intensives Erlebnis und bringt nicht nur Urlaubsfeeling, sondern auch eine Fülle von intensiven Eindrücken und Informationen, die einem bewusst machen, wie vielfältig und hochinteressant der Comic als Medium und Kunstform doch ist. Auf Wiedersehen. Au revoir Charente! [VH/MH]

angou15 4 12


Alle Fotos © Edition Alfons