Frisch Gelesen Folge 221: Come Daybreak

 

»Liebes Tagebuch, oder wie man sowas anfängt. Ich muss dir eine unglaubliche Geschichte erzählen.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Come Daybreak

Story: Dorothea Erber
Zeichnungen: Dorothea Erber

Fachverlag für Filmliteratur
Hardcover │ 72 Seiten│ Farbe │ 16,00 €
ISBN: 978-3943127096

Genre: Mystery

Für alle, die das mögen: Comics, die mit Stimmungsbildern Horror generieren, Filme wie Die Herrschaft der Schatten (USA 2010) oder Tanz der toten Seelen (USA 1962)


Seltsame Sache. Beunruhigende Sache. Bedrohlich wirkende Sache. Der Mond dreht sich plötzlich um 180 Grad. Zeitgleich verschwindet die Sonne, sodass die ganze Welt in völliger Dunkelheit liegt. Warum das passiert, kann niemand erklären. Nach unzähligen Tagen ist es immer noch finster und am 63. fragt sich die Heldin, ob die Zeit nicht doch eine andere ist. Ist vielleicht Tag 53 angebrochen? Damit nicht genug, irgendwann bleiben alle Uhren stehen. Um 5:55 Uhr. Eine schön anzusehende Zahlenkombination, doch warum das gerade in diesem Moment passiert, kann auch niemand sagen. Irgendwann laufen alle Chronometer wieder. Und zeigen 6:00 Uhr an. Doch mit dem Weiterlaufen geschieht etwas Unfassbares. Wieder einmal. Mit einem Mal löst sich ein Teil der Menschheit im Nichts auf und der Rest verschwindet nach und nach auch noch. Bis auf die Heldin. Doch ist sie wirklich der letzte Mensch auf Erden? Und was ist das für ein sonderbarer Nebel, der alles um sich herum zu verschlingen scheint? Fragen über Fragen, auf die es wieder keine Antworten gibt.


Eine Welt ohne Licht: Trotz aller Uhren verlieren alle das Zeitgefühl.


Verblüfft ist auch der Leser, der sich hier am Ende des ersten Drittels befindet. Ist damit die Geschichte schon erzählt? Denn Hand aufs Herz, nach wenigen weiteren Seiten wird klar, dass abgesehen von einer Radiostation und gefährlichen wilden Hunden eigentlich nichts mehr kommt. Doch wie kann das sein bei dem deutlich längeren Umfang?


Hoffnungslosigkeit: ein gelungener Blick in die Seele der Protagonistin.


Des Rätsels Lösung offenbart sich nach einem zweiten oder eventuell dritten Lesen. Dorothea Erber geht es offenbar nicht darum, Seiten gleichmäßig mit einer Geschichte zu füllen. Sie will Gefühle wecken. Einen ins Unergründliche zerren. Wie mag es sein, einsam durch die Nacht zu hetzen? Welche Konsequenzen hat die Mutmaßung, allein auf weiter Flur zu sein? Das gelingt ihr gut; mit gefühlvollen Illustrationen, die auf ersten Blick schwarzweiß wirken, in Wirklichkeit aber monochrom und größtenteils blau-schwarz koloriert sind. Erstaunlich, welche Auswirkung der Inhalt auf die Wahrnehmung haben kann.


Unheimlich: Alle Sender sind tot.


Come Daybreak
ist Dorothea Erbers Debüt. Erber widmete sich von Kindesbeinen an dem Zeichnen und absolvierte nach ihrem Abitur eine Ausbildung zur Mediengestalterin. 2019 bot ihr der Fachverlag für Filmliteratur eine Zusammenarbeit an. Spontan entschloss sie sich, das Zeichnen, die Liebe für Geschichten und den Beruf in einem Projekt zu vereinen, das nun in gedruckter Form vorliegt. »Ursprünglich sollte sie die Illustration für ein Kinderbuch übernehmen. Dieses Projekt wurde jedoch ad acta gelegt«, erinnert sich Verleger Reinhard Weber und fügt hinzu: »Mit dem von ihr geschaffenen Comic konnte sie ihre künstlerischen Fähigkeiten voll entfalten«.


Im Dunkeln lauert nichts Gutes.


Herausgekommen ist eine schöne, unheimliche grafische Novelle, bei der es aber einen Moment dauern kann, bis der sprichwörtliche Groschen fällt. Erber spielt gekonnt auf der Klaviatur der Urängste, lässt so den Leser immer größer werdendes Unbehagen verspüren und kommt am Ende mit einer gelungenen Pointe daher, die sowohl rational als auch spirituell gedeutet werden kann.

[Walter Truck]

Abbildungen © 2021 Fachverlag für Filmliteratur / Dorothea Erber


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