Das Comicjahr 2018: unsere Favoriten

Ihr wollt sie, Ihr kriegt sie: Hier kommt die einzige Jahresbestenliste, die es braucht. Zumindest hoffen wir das. Denn wir haben uns in der Redaktion und mit unseren Mitarbeitern lange Gedanken über unsere Nennungen gemacht. Ihr erfahrt, was schon jetzt ein Klassiker des Erotik-Comics ist, wieso Flix es mit Weltnivöh zu tun bekommt und warum ein ALFONZ-Autor gerne die Künstler von Weissblech mal zum Bier einladen möchte.

Die Comics des Jahres 2018
der ALFONZ
-Redaktion und -Mitarbeiter

In der aktuellen ALFONZ-Ausgabe haben wir den Konsens präsentiert, hier folgen nun die persönlichen Favoriten der einzelnen Kollegen. Vorweg: Nicht jeder Kollege mochte seine Liste online veröffentlichen, weswegen sich hier ein anderes Bild als in ALFONZ 1/2019 ergibt. Zudem drückte uns damals der Redaktionsschluss, weswegen etwa Mikael Ross‘ Der Umfall kaum Erwähnung fand. Jetzt nun aber zu den wichtigsten Aufzählungen.


Volker Hamann

Unschlagbar! Band 1
Text & Zeichnungen: Pascal Jousselin
Übersetzung: Marcel Le Comte
Carlsen | SC | Farbe | 48 Seiten | 12,00 €

Manchmal ist es gar nicht so leicht, unschlagbar zu sein: Kinder oder Tiere wollen aus Notlagen gerettet werden, und dann wären da noch unvorsichtige Spaziergänger, die man vor rasenden Autos schützen muss, oder Leute, deren Besitz vor Ganoven und Dieben in Sicherheit gebracht werden soll. Hört sich nach dem Aufgabengebiet eines Superhelden an? Naja, fast. Pascal Jousselins unschlagbarer Held ist eigentlich ein Typ wie du und ich. Er hat nur das Pech, die Grenzen des Comics ad absurdum führen zu können und sich damit als unverzichtbar für alle braven Figuren in den Werken des Franzosen gemacht zu haben.
Das Besondere an Jousselins Serie, die seit Mai 2013 unter dem Originaltitel L'Imbattable im belgischen Spirou-Magazin erscheint, ist gleichermaßen ihre simple wie vertrackte Gestaltung, wenn der Unschlagbare beliebig in von Raum und Zeit getrennten Panels auftaucht, um die Welt etwas besser zu machen. Da er die einzige Figur der Serie ist, die diese im Comic selbstverständliche Grenze zu überwinden in der Lage ist, konfrontiert er dadurch nicht nur seine Widersacher und die Hilfesuchenden mit überraschenden Wendungen und absurden Situationen, sondern regt die Leser an, sich Gedanken über die Struktur, den Aufbau und überhaupt die gesamte Funktion von Comics zu machen.
So eine Figur kann es nur im Comic geben, und die meist einseitigen Abenteuer des Unschlagbaren sind ebenso witzig wie durchdacht und von einer intellektuellen Brillanz, wie sie nur selten anzutreffen ist.

(Mehr über Pascal Jousselin und seinen Comic Unschlagbar findet Ihr in ALFONZ Nr. 3/2018.)

 

Ein Stern aus schwarzer Baumwolle
Text: Yves Sente
Zeichnungen: Steve Cuzor
Übersetzung: Monja Reichert
All Verlag | HC | Farbe | 176 Seiten | 29,80 €

Mit George Clooneys interessantem und leidlich spannenden Kinofilm Monuments Men von 2014 hätte eigentlich alles dramaturgisch Bedeutende zum Thema Auffinden von Kunstschätzen, die von den Nazis geraubt und verschleppt worden waren, erzählt sein können. Doch das war eine Rechnung ohne Yves Sente! Denn der belgische Szenarist (Thorgal, Blake und Mortimer) hat den historischen Fakten, an denen sich der Kinofilm weitgehend orientiert und ihnen kaum interessante Geschichten beigibt, eine ganz gehörige Portion Drama und Suspense zugefügt. Das Szenario von Sente hätte Clooney verfilmen sollen!
Wir folgen den spannenden Erlebnissen der schwarzen Hausangestellten Angela Brown im Jahr 1776 und des schwarzen Soldaten Lincoln Bolton während der Befreiung Europas durch die Alliierten 1944 in zwei parallel erzählten Handlungssträngen, die vom Franzosen Steve Cuzor effektiv und stimmungsvoll in Szene gesetzt wurden. Sente bietet mit seiner Jagd nach der ersten US-Flagge im Zweiten Weltkrieg, auf der hinter einem der weißen Sterne des Banners symbolträchtig ein schwarzer Stern eingenäht worden sein soll, eine sowohl rasante wie packend erzählte Geschichte, die bisweilen Anflüge einer alternativen Geschichtsschreibung zeigt wie auch glaubwürdig erzählt wird.

(Eine Besprechung des Comics findet ihr hier.)

 

Eine Schwester
Text & Zeichnungen: Bastien Vivès
Übersetzung: Heike Drescher
Reprodukt | HC | zweifarbig | 216 Seiten | 24,00 €

Eine Coming-of-Age-Geschichte, die so unbeschwert und dennoch atmosphärisch dicht erzählt ist, wie es nur die Franzosen können – egal, ob es sich um einen Film oder einen Comic handelt. Der kleine, feine Comicroman von Bastien Vivès um den 13-jährigen Antoine, der im Sommerurlaub durch Hélène (16) die Sexualität entdeckt, ruft dann auch ganz laut: »Ich will auf die Kinoleinwand, hol' mich hier raus!« Bleibt nur die Frage, wann es soweit ist und wie mit den expliziten Szenen umgegangen wird: immerhin sind die Protagonisten Kinder. Bis dahin: Lest den Comic!

 

Die Schlümpfe Minis
Text & Zeichnungen: Peyo
Übersetzung: Max Murmel
toonfish | HC | Farbe | Seitenanzahl je nach Ausgabe | 7,95 €

Dass ein frankobelgischer Comiczeichner bestimmte Teile seines Werks nach einer gewissen Zeit und mit kritischem Abstand überarbeitet, ist nicht ungewöhnlich. Im Falle der ersten sechs Die Schlümpfe-Comics, die der Belgier Peyo (d.i. Pierre Culliford) in Zusammenarbeit mit seinem Redakteur Yvan Delporte zwischen 1959 und 1962 für die sehr kleinformatigen (6,5 x 10 cm), zum Selberbasteln dem Spirou-Magazin beigelegten Mini-Récits gestaltete, kann man allerdings von eigenständigen Werken ausgehen, die nun zum ersten Mal in deutschen Übersetzungen erschienen. Denn die Geschichten der sechs Mini-Heftchen der Schlümpfe arbeitete Peyo nach und nach zu Episoden im »normalen« Albumformat um und führte seine Zeichnungen detaillierter aus. Lesern und Fans sind daher Geschichten wie »Blauschlümpfe und Schwarzschlümpfe« oder »Das Zauberei und die Schlümpfe« selbstverständlich bekannt, und dennoch stellen die Mini-Episoden von Peyos blauen Kobolden so etwas wie die »Ursuppe« dar, aus der sich die Serie und ihr Zeichner entwickeln konnten.
Die anlässlich des 60. Geburtstags der weltberühmten blauen Kobolde aus Schlumpfhausen erstmals in einem auf circa 11 mal 17 Zentimeter vergrößerten Nachdruck der Mini-Heftchen-Originale in deutscher Übersetzung publizierten Hardcover-Bändchen zeigen einen vor Einfällen und genial-reduziertem Strich arbeitenden Peyo am Anfang seiner Karriere.


Thorsten Hanisch


Pirouetten
Text & Zeichnungen: Tillie Walden
Übersetzung: Sven Scheer
Reprodukt | SC | zweifarbig | 400 Seiten | 29,00 €

Nicht nur ein toller Comic, sondern persönliche Überraschung, weil ich mir nie hätte vorstellen können, dass mir ein Comic zum Thema Eiskunstlauf (schnarch!) je so gefallen würde. Aber hey, der blutjunge Shootingstar Tillie Walden erzählt auch nicht wirklich von Schlittschuhen, sondern vom Leben. Und das mit leicht entrückten, minimalistischen, aber dennoch vor Emotionen nur so bebenden Bildern und einem Stil, der Hemmingway stolz gemacht hätte. Da verzeiht man den Eiskunstlauf doch gerne.

(Eine Rezension des Comics findet Ihr in ALFONZ Nr. 1/2019.)

 

Lovecraft
Text: H.P. Lovecraft
Zeichnungen: Alberto Breccia
Übersetzung: André Höchemer
avant-verlag | HC | s/w| 126 Seiten | 29,00 €

Der uruguayische Comicmeister hat Lovecraft wirklich verstanden. Breccia transferiert den Geist von Geschichten wie »Das Ding auf der Schwelle«, »Der Schatten über Innsmouth« oder »Das Grauen von Dunwich« in konkret unkonkrete Bilder, bei deren Anblick das Gefühl hochkommt, dass hinter den Seiten eine dunkle Macht drauf lauert, einen in eine unbegreifliche Paralleldimension zu saugen. Lovecraft wäre irre stolz gewesen.

(Mehr über H.P. Lovecraft, Alberto Breccia und den Comic findet Ihr in ALFONZ Nr. 2/2018.)

 

Das Ritual
Text & Zeichnungen: Nicolas Mahler
Originalausgabe
Reprodukt | HC | Farbe |64 Seiten | 14,00 €

Eine einzige Liebeserklärung an japanische Monsterfilme der 60er und 70er Jahre, die mit ihren Gummiviechern noch heute einen verzückten Glanz in die Augen der Junggebliebenen dieser Welt zaubern. Und auch ein bisschen Plädoyer für mehr Fantasie – bester Satz: »Um Realismus habe ich mich nie gekümmert. Warum sollte man die Dinge so darstellen, wie sie sind?« Man möchte sich dieser Frage aus tiefstem Herzen anschließen und gleich noch mal nachlegen – ja, warum eigentlich?

 

Lincoln, Band 1: »Auf Teufel komm raus«
Text: Olivier Jouvray
Zeichnungen: Jérome und Anne-Claire Jouvray
Übersetzung: Resel Rebiersch
Schreiber & Leser | HC | Farbe | 48 Seiten | 14,95 €

Die ersten Worte des Helden nach der unglückseligen Geburt in einem Bordell: »Kacke!«, »Scheiße!«, »Verfickt und zugenäht!«. Sein Leben verbringt er – stets maximal schlecht gelaunt – mit: Brandstiftung, verbaler und körperlicher Gewalt gegen Mönche und Bettler; er fischt mit Dynamit, zockt, säuft, vögelt, kotzt, überfällt Züge, Banken, Drogerien, Waffenläden, Kutschen und klatscht dem lieben Gott einen toten Fisch ins Gesicht. Endlich die perfekte Identifikationsfigur für mich.


Bernd Hinrichs


Ein Stern aus schwarzer Baumwolle
Text: Yves Sente
Zeichnungen: Steve Cuzor
Übersetzung: Monja Reichert
All Verlag | HC | Farbe | 176 Seiten | 29,80 €

Yves Sente und Steve Cuzor sind eigentlich schon ausreichende Referenzen, dass dieser Band den Weg ins Comicregal findet. Dennoch habe ich irgendwie das Gefühl, dass ich den Band nicht entdeckt hätte, wenn mir an einem Samstagvormittag Ansgar Lüttgenau, Herausgeber des All Verlags, nicht mit strahlenden Augen in seinem Wohnzimmer von dem Band vorgeschwärmt hätte. Das war exakt sechs Wochen vor dem Erscheinen. Ansgar schwärmte so sehr von dem Band, dass ich selbst ganz unruhig wurde, je näher der Erscheinungstermin kam. Und das zu Recht, denn Ein Stern aus schwarzer Baumwolle ist ein grandioser Band. Sente entwirft eine spannende und komplexe Geschichte. Er erzählt vom Kampf um Gleichberechtigung auf zwei zeitlichen Ebenen: Einerseits ist sein Plot in Philadelphia 1776 unmittelbar vor dem amerikanischen Bürgerkrieg angesiedelt und andererseits 1944. Einmal in die Hand genommen, lässt den Leser die Geschichte um Lincoln Bolten nicht mehr los.

(Eine Besprechung des Comics findet ihr hier.)

 

Berlin, Band 3: Flirrende Stadt
Text & Zeichnungen: Jason Lutes
Übersetzung: Heinrich Anders
Carlsen | SC | s/w | 176 Seiten | 14,00 €

Als ich für die Reddition 39 einen Beitrag über Jason Lutes und seine Serie Berlin schreiben durfte, sagte mir zunächst weder der Künstler noch sein Werk etwas. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich mich seinerzeit für diesen Beitrag gemeldet, weil ich es bemerkenswert fand, dass ein amerikanischer Künstler zeichnerisch so dicht an der Ligne claire dran ist. Das war 2003 – unmittelbar vor dem Erscheinen des deutschen Bandes. Hätte ich damals geahnt, dass die Trilogie erst 15 Jahre später zu einem Ende kommt, ich weiß nicht, ob ich die gleiche Begeisterung entwickelt hätte. Aber 2018 war es ja endlich soweit. Berlin ist vollständig. Was für ein Werk! Lutes huldigt auch im letzten Teil seiner Saga seinem Vorbild Herge. Sein Zeichenstil kommt vor allem dann voll zur Geltung, wenn er seine Geschichte ohne Text vorantreibt. Kurt Severing, wie er sein Zimmer betritt, Hut aufs Bett werfend und erstmal einen Drink. Grandiose Bilder voller Emotionen. Lutes schwarz-weiße Kunst braucht den Vergleich mit Frans Masereels »Mein Stundenbuch« nirgends zu scheuen. Immerhin hatte der das Werk des belgischen Künstlers im ersten Teil auch fest in seine Berlin-Geschichte eingebaut. In der Ausarbeitung der Personen hat er vielleicht nicht die Sorgfalt walten lassen, wie in den ersten beiden Teilen und es fehlen auch ein paar kulturelle Anspielungen, unterm Strich bleibt aber ein schöner Abschlussband. Empfohlen für Geschichtsinteressierte, Schulklassen und Freunde hoher Zeichenkunst.

(Mehr über Jason Lutes und seine Berlin-Trilogie findet Ihr in ALFONZ Nr. 3/2018.)

 

Quintett
Text: Frank Giroud
Zeichnungen: diverse
Übersetzung: Eckart Sackmann
comicplus+ | HC | Farbe | Seitenzahl variiert je Band | 34,00 €

Quintett hat es aus zwei Gründen in meine TOP-5-Liste geschafft. Einerseits zählt die Serie schon lange zu meinen Highlights und mit der 2018 begonnenen dreibändigen Gesamtausgabe werden dann auch endlich alle sechs Bände auf Deutsch vorliegen und zweitens möchte ich damit den im Juli 2018 viel zu früh verstorbenen Frank Giroud ehren. Abseits von Action-, Thriller- oder Politikcomics hat das Werk des französischen Künstlers seine eigene Kategorie. Seine Serien sind hochkomplex. Im Januar 2001 – und damit vier Jahre bevor Quintett veröffentlicht wurde – startete eines der außergewöhnlichsten europäischen Comicprojekte: Zehn Gebote. Zehn Alben, zehn Zeichner, ein Autor und eine umfassende Handlung. Damals waren sowohl der Autor, Frank Giroud, als auch die meisten der zehn Zeichner hierzulande völlig unbekannt. Bei Quintett sind es sechs Alben mit sechs unterschiedlichen Zeichnern. Giroud führt uns ins Griechenland des Jahres 1916. In fast ganz Europa tobt ein erbarmungsloser Krieg. Und auch hier im Südosten des Kontinents stehen sich Franzosen und Deutsche gegenüber. Giroud schildert die Ereignisse auf einem französischen Stützpunkt aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. »Eine eindrucksvolle Studie über das Wesen von Wahrnehmung und Wahrheit«, wie der Verlag völlig zu Recht schreibt.

 

The Long and Winding Road
Text: Christopher (Longé)
Zeichnungen: Ruben Pellejero
Übersetzung: Eckart Schott
Salleck | HC | Farbe | 180 Seiten | 29,00 €

Ich gehöre zwar bei Weitem nicht mehr zur sogenannten Hippie-Generation, aber die Musik, die Aufbruchstimmung und die Freiheit der späten 60er Jahre üben bis heute eine große Faszination auf mich aus. Wenn dann noch ein Comicband als Roadmovie angekündigt wird und er als Titel eine Textzeile der Beatles hat, dann muss ich einfach zuschlagen. Und schon nach wenigen Panels merkte ich, dass mich die Story von Christopher und Rubén Pellejero in ihren Bann schlug. Zu poetisch war die Erzählweise und zu farbengewaltig waren die Zeichnungen, als dass ich mich ihnen widersetzen könnte. Und so tauchte ich ab in die Geschichte von Ulysse, der die Asche seines toten Vaters zur Isle of Wight bringen muss – ein klassisches Roadmovie als Neunte Kunst. Die musikalische Setlist – insgesamt 45 Musikstücke von The Cream, Jimi Hendrix, The Beatles, Pink Floyd, The Who, The Doors, Grateful Dead und viele andere mehr – findet sich am Ende des Bandes. Für den vollen Genuss der Geschichte sollte man sich zunächst diese Tracks auf eine Playlist setzen. Denn Musik und Comic gehen bei Pellejero und Christopher eine enge Verbindung ein. »The long and winding road« dürfte das poetischste Album des Jahres sein. Es gehört zu den wunderbaren Seiten des überformatigen Bandes, wie es Christopher gelingt, Seite für Seite die spießige Welt von Ulysse einzureißen. Am Beginn seiner Reise ging er noch davon aus, dass sein Vater der große Spießer war. Jedoch führt ihm sein Trip nach und nach vor, dass er es im Grunde ist, der ein eingefahrenes Leben führt. Christopher gelingt es, dass der Plot nicht ins kitschige »Früher war alles besser«-Gerede abgleitet. Ulysse stellt am Ende fest, dass es eben nicht nur um schöne Erinnerungen an ein vergangenes Jahrzehnt geht, sondern um eine Einstellung in der Gegenwart – herrlich eingefangen auf den beiden Schlussseiten in acht Panels. Poetischer Lesegenuss vom Feinsten.

(Eine Rezension des Comics findet Ihr in ALFONZ Nr. 3/2018.)

 

Horrorschocker #50
Text & Zeichnungen: Andreas Butzbach, Levin Kurio, Marte Kurio, Falko Kutz, The LEP, Roman Turowski
Originalausgabe
Weissblech | SC | Farbe | 52 Seiten | 3,90 €

50 Ausgaben der herrlich abgedrehten und freakigen Horrorschocker-Serie. Das ist erstens ein fetter Grund zum Feiern – was der Verlag mit einem extra dicken Heft auch tat – und zweitens die Gelegenheit, einfach mal Danke zu sagen. Danke für 50-mal Horror aus dem Weissblech Verlag. Die Geburtstagsausgabe ist wieder einmal ein Füllhorn an skurrilen Ideen, abgedrehten Sketchen und aberwitzigen Geschichten. Wer Horror mag, auf Trash steht und kurzweilige Lektüre im Heftformat wünscht, der sollte, der muss hier zugreifen! Die größten Lacher bei der Jubiläumsausgabe bekam von mir »Der Schatz von Burg Gespensterstein«. Was passiert, wenn die Autoren für Horrorgeschichten dem Verleger ihre Arbeit nicht rechtzeitig abliefern? Monster machen sich auf die Suche nach einem alten Redakteur der Gespenstergeschichten, denn sein Archiv soll noch voller Ideen stecken. Die Idee mit einem Seitenhieb auf die vom Bastei Verlag lange Jahre herausgegebene Serie Gespenstergeschichten ist überaus witzig. Zwei Monster auf der Reise zur Burg Gespensterstein mithilfe einer Hexe auf einem Besenstiel! Geht es wilder? Und dann ist da noch »Der einzige Überlebende«. Herrlich. Diese Mischung aus The Walking Dead und Klamauk ist göttlich. Was ich besonders an den Heften aus dem Weissblech Verlag mag, sind zwei Dinge: Einerseits die unterschiedlichen Film-, Buch- oder Comiczitate, die eingebaut werden, und anderseits der abwechslungsreiche Erzähl- und Zeichenstil. Irgendwann muss ich mit den Machern noch mal ein Bier zusammen trinken und mir erklären lassen, wie sie auf solche Ideen kommen.


Matthias Hofmann


IKON
Text & Zeichnungen: Simon Schwartz
Originalausgabe
avant-verlag | SC | Farbe | 216 Seiten | 25,00 €

Simon Schwartz ist für mich der Vorzeigecomiczeichner aus Deutschland. Seit seinem Debüt im Jahre 2009 mit drüben! hat er mit jedem neuen Werk abgeliefert. Er hat nicht nur toll gezeichnete und innovativ komponierte Geschichten geschaffen, sondern vielschichtig gestaltete comicKUNST kreiert, die sowohl fesselnd unterhält als auch tief beeindruckt (und immer wieder historisch fundiert informiert). Und sie folgt einer klaren Vision. Kurzum: Der sympathische Wahlhamburger hat's einfach drauf und jedes neue Werk von ihm scheint diesem Weg trittsicher zu folgen.
IKON erzählt die Geschichte der völlig vergessenen historisch belegten Figur des Russen Gleb Botkin, der als kleiner Junge mit der Zarentochter Anastasia befreundet war, diese durch das Massaker an der Zarenfamilie aus den Augen verlor und als Erwachsener im US-amerikanischen Exil von einer psychisch kranken Frau erfährt, die angeblich die russische Thronerbin zu sein glaubt. IKON ist für mich die wichtigste deutsche Graphic Novel des Jahres 2018, die bereits im März erschien und leider im allgemeinen Trubel etwas unterging.

 

Katanga Band 1: »Diamanten«
Text: Fabien Nury
Zeichnungen: Sylvain Vallée
Übersetzung: Tanja Krämling
Splitter | HC | Farbe | 72 Seiten | 16,80 €

Für alle, denen vor lauter Fantasy- und Science-Fiction-Comics die Augen brennen, denen die Flieger-, Agenten-, Detektiv- und Westerncomics zum Hals raushängen und die gerne mal im Unterhaltungssektor was Frisches lesen würden, gibt es jetzt Katanga. Dieser Politthriller bietet nicht nur ein exotisches Ambiente, sondern eine richtig gute Story und exzellente Zeichnungen (die nicht ultrarealistisch sind, sondern manchmal sogar etwas überzeichnet wirken, aber, hey, genau das macht den Unterschied).
Verantwortlich für diesen historischen Kongo-Kolonial-Reißer um UNO-Bauhelme, fiese Söldner und Diamantenminen zeichnen Fabien Nury (Atar Gull, Tyler Cross) und Sylvain Vallée (Gil St. André). Diese Titel sind alleine schon eine Empfehlung für die Macher, aber wenn man weiß, dass beide schon einmal erfolgreich und preisgekrönt kollaboriert haben, dann ist man gezwungen sich Katanga anzuschauen. Von Nury und Vallée stammt das Meisterwerk Es war einmal in Frankreich. Alles klar!

(Eine Rezension des Comics findet Ihr in ALFONZ 4/2018.)

 

Die Zeit am Abgrund
Text & Zeichnungen: Inio Asano
Toykopop | SC | s/w | 252 Seiten | 12,00 €

Es gibt keine Ausreden mehr. Spätestens mit dem Erscheinen von Die Zeit am Abgrund kommt man nicht an Inio Asano vorbei. Abseits aller Manga-Klischees und jeglicher Endlosserien bleibt dieser begnadete Mangaka sich und seinem Stil treu und schafft eine weitere wundervoll komponierte graphische Ode an seine Generation, die nie wirklich zufrieden scheint und ziellos durchs Leben mäandriert. Die Geschichte des erfolgreichen Comiczeichners, der eine Blockade hat, der Ehe und Karriere auf Spiel setzt und am Abgrund des Lebens taumelt, ist Kapitel für Kapitel ganz großes Drama.


Alex Jakubowski


Spirou und Fantasio Spezial, 25: »Sein Name war Ptirou«
Text: Yves Sente
Zeichnungen: Laurent Verron
Übersetzung: Ulrich Pröfrock
Carlsen | SC | Farbe | 80 Seiten | 12,99 €

Was für eine Stimmung, was für ein gelungener zeichnerischer Ansatz. Schon allein das Cover gefällt mir ausgesprochen gut. Springt dort der junge Spirou von einem überdimensional wirkenden Ozeandampfer – ein Bild, das Fragen aufwirft. Eigentlich ist das nicht überraschend, denn die Reihe Spirou und Fantasio Spezial überrascht mich immer wieder mit spannenden neuen Geschichten rund um die beiden Freunde. Mal ist es ein neues Design, mal eine Geschichte aus neuem Blickwinkel. Was Yves Sente und Laurent Verron aber hier abliefern ist herausragend. Die beiden erzählen die Vorgeschichte von Spirou und greifen dabei geschickt auf die Geschichte des Erfinders der Reihe zurück. Comiczeichner Rob-Vel hatte sich 1938 an seine Zeit als Page auf dem Luxusdampfer Île de France erinnert, wo er von Pagen umgeben war, die rote Uniformen mit goldenen Knöpfen trugen. Heute haben die beiden Comicmacher ihre Hauptfigur Ptirou also aus dem Zirkus auf einen Dampfer verfrachtet. Der Waisenjunge erlebt dort spannende Abenteuer, trifft auf die junge, aber kranke Juliette und fängt an, sich durchs Leben zu kämpfen. Es könnte eine weitere gelungene Umsetzung in der Reihe sein, aber es ist mehr. Beim Lesen habe ich mich völlig in die damalige Zeit versetzt gefühlt. Der Band versprüht einen Charme, wie ich es lange nicht mehr erlebt habe. Deshalb ist er für mich so herausragend.4

 

Der Magnet
Text & Zeichnungen: Lucas Harari
Übersetzung: Christoph Schuler
Edition Moderne | HC | Farbe | 144 Seiten | 32,00 €

Sind Steine stumm? Oder verbergen sie ein Geheimnis? Der junge Architekturstudent Pierre will ihnen auf den Grund gehen. Dabei ist er selbst geheimnisvoll. Warum hat er seine fast fertige Abschlussarbeit vernichtet? Was treibt ihn aus Paris in die Berge, zur Therme des berühmten Schweizer Architekten Peter Zumthor? Was findet er dort? Was macht ihm solche Angst? Der Magnet ist eine spannende Kriminalgeschichte, angesiedelt in den Bergen des Kantons Graubünden. Mit einem geheimnisvollen Fremden, einem uralten Eigenbrötler, dem niemand glaubt – und mit Pierre, dem immer ernsten Studenten, der ständig auf der Suche ist. Auch Ondine kann ihn kaum aufheitern, seine neue Freundin, ist er doch einer seltsamen Geschichte auf der Spur – er spürt dem Schlund des Berges nach. Ist das nur eine der vielen weitergereichten Berggeschichten oder steckt doch mehr dahinter? Lucas Harari, 1990 in Paris geboren, erzählt diesen Comic in klaren, grafischen Bildern. Der Zeichner selbst hat sein eigenes Architekturstudium abgebrochen, um Kunstdruck zu studieren. Das kommt seinem Graphic-Novel-Debüt zugute, das er ausschließlich in Blau- und Rottönen erzählt. So entsteht eine Story, die mich in ihren Bann gezogen hat. So wie Pierre angezogen wird, von dem Geheimnis der Therme.
Ein überraschendes Buch, das Stille und Drama genauso vereint wie Landschaft und Architektur. Kein Buch für eingeschneite Berghütten, aber ein Leseerlebnis nicht nur für Comicaficionados, das darauf hoffen lässt, noch weitere Geschichten aus der Hand von Luca Harari zu entdecken.

(Eine Rezension des Comics findet Ihr hier.)

 

Unschlagbar! Band 1
Text & Zeichnungen: Pascal Jousselin
Übersetzung: Marcel Le Comte
Carlsen | SC | Farbe | 48 Seiten | 12,00 €

Vor Kurzem habe ich mal wieder dieses Brettspiel gespielt, bei dem man seine Spielfigur so viele Felder weiterziehen darf, wie man würfelt. Kommt man auf ein Feld mit einer Leiter darf man diese hochklettern, kommt man auf eines mit Rutsche, geht es eben abwärts. Nach dem Prinzip dieses Leiterspiels funktioniert der Comic des Franzosen Pascal Jousselin. Sein Superheld hat wahrlich überragende Kräfte. Noch ehe so mancher Bösewicht überhaupt zur Tat schreitet, hat ihn Unschlagbar, Der einzige wahre Superheld des Comics bereits überführt. Mal hält er ihn mit einem Wischmopp auf, der über die Panelgrenzen hinweg gezogen wird, mal hüpft Unschlagbar selbst von einem Bild ins andere, überspringt damit auch drei bis vier weitere Panel und kommt so vor dem Dieb in dessen Versteck an. Jousselin spielt eben mit den Möglichkeiten des Comics und verschiebt Zeit und Raum.
Anders aber als etwa Marc-Antoine Mathieu, der das auf eher intellektuelle Weise tut, sind Jousselins Unschlagbar-Episoden spielerischer und augenzwinkernd. Viele Szene wirken reichlich absurd, machen aber Riesenspaß. Der Leser tut gut daran, die Seiten mehrfach zu studieren – denn zu entdecken gibt es auch auf den zweiten und dritten Blick noch so manche Überraschung. Zwar hat Unschlagbar so gar nichts von einem Superhelden à la Superman oder Spiderman, am Ende ist man sich aber dennoch sicher, dass er mit seinem Bauch und der albernen Augenmaske in der Tat Der einzig wahre Superheld des Comics ist. Grandios!

(Mehr über Pascal Jousselin und seinen Comic Unschlagbar findet Ihr in ALFONZ Nr. 3/2018.)


Peter Lau

 

Unschlagbar! Band 1
Text & Zeichnungen: Pascal Jousselin
Übersetzung: Marcel Le Comte
Carlsen | SC | Farbe | 48 Seiten | 12,00 €

Ein europäische Superheldenparodie, die gleichzeitig simpel und kompliziert, lustig und anspruchsvoll ist – schwer vorstellbar, dass das irgendwer nicht gut finden könnte.

(Mehr über Pascal Jousselin und seinen Comic Unschlagbar findet Ihr in ALFONZ Nr. 3/2018.)

 

Die schwebenden Liebenden
Text & Zeichnungen: Marion Fayolle
Übersetzung: Anja Biemann
avant-verlag | SC | Farbe | 256 Seiten | 35,00 €

Ein langes Graphic Poem über die Liebe oder zumindest einige Ideen davon, in dem viel gesungen und getanzt wird, aber so gut wie nichts erzählt – Kunst vermutlich.

(Eine Rezension des Comics findet Ihr in ALFONZ Nr. 1/2019.)

 

Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen
Text: Phillip Weiss
Zeichnungen: Raffaela Schönitz
Originalausgabe
Suhrkamp | SC | s/w | 1064 Seiten | 48,00 €

Ein österreichischer Fake-Manga als Teil eines Monumentalromans, kein Literaturcomic, sondern Literatur als Comic, surreal, abwegig, unverständlich – und erstaunlich gekonnt.

 

Der Umfall
Text & Zeichnungen: Mikael Ross
Originalausgabe
avant-verlag | HC | Farbe | 128 Seiten | 28,00 €

Ein Comic über geistig Behinderte, in dem alles stimmt, vom abgrundtiefen Spaß bis zu den spaßfreien Abgründen – wahrer, großer Humanismus.

(Mehr über Mikael Ross und seinen Comic Der Umfall findet Ihr in ALFONZ Nr. 1/2019.)


Wolfram Neun


Der Schwindler. Roman eines Revolutionsabenteurers
Text und Zeichnungen: Pascal Rabaté
Übersetzung: Resel Rebiersch
Schreiber & Leser | HC | s/w | 544 Seiten | 39,80 €

Wer dieses Monster von Buch öffnet, dem begegnen allerlei schräge Gestalten vor dem Funken schlagenden Hintergrund des russischen Bürgerkriegs. Bittere Situationskomik, die noch im Moment des Debakels zum Lachen reizt oder fassungslos zurücklässt.

(Eine Rezension des Comics findet Ihr in ALFONZ Nr. 1/2019.)

 

Der Umfall
Text & Zeichnungen: Mikael Ross
Originalausgabe
avant-verlag | HC | Farbe | 128 Seiten | 28,00 €

Über die wahrhaftige Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung und über den Ort Neuerkerode, wo Inklusion so selbstverständlich gelebt wird, erzählt dieser farbenfrohe, ungezügelte, warmherzige, aber nie kitschige Comic. Ein Juwel!

(Mehr über Mikael Ross und seinen Comic Der Umfall findet Ihr in ALFONZ Nr. 1/2019.)

 

Azrayen'
Text: Frank Giroud
Zeichnungen: Lax
Übersetzung: Eckart Sackmann
comicplus+ | HC | Farbe | 144 Seiten | 34,00 €

Auf sorgfältiger Recherche des 2018 verstorbenen Frank Giroud basierende Episode aus dem Algerienkrieg. Eindringlich im Ton, wuchtig in den von Lax famos komponierten Sequenzen inmitten der in Sepiatöne gegossenen Winterlandschaft.

(Eine Rezensions des Comics findet Ihr in ALFONZ 4/2018.)

 

Motor Girl
Text & Zeichnungen: Terry Moore
Schreiber & Leser | SC | s/w | 224 Seiten | 24,95 €

Irakveteranin Samantha malocht auf einem Autofriedhof, repariert notgelandete Ufos knuddeliger Aliens und führt muntere philosophische Diskurse mit Gorilla Mike. Eine affenstarke Story, bei der man als Leser alle Gewissheiten verliert.

 

Spirou in Berlin
Text & Zeichnungen: Flix
Originalausgabe
Carlsen | HC | Farbe | 64 Seiten | 16,00 €

Ins Ost-Berlin der letzten dunklen Tage expediert der deutsche Stiftakrobat Flix die frankobelgische Legende Spirou. Und feiert ein überbordendes Erzählfest, reich an Details und historischen Zitaten, rasant bis zum Schluss. Um es mit olle Honni zu sagen: Weltnivöh!

(Mehr über Flix und seinen Comic Spirou in Berlin findet Ihr in ALFONZ Nr. 3/2018.)


Stefan Svik


Spirou in Berlin
Text & Zeichnungen: Flix
Originalausgabe
Carlsen | HC | Farbe | 64 Seiten | 16,00 €

Das Buch bleibt dasselbe, aber man selbst verändert sich. Und so durchlief Spirou in Berlin im vergangenen Jahr für mich einige Metamorphosen. Erst las ich es, um es zu rezensieren, und fand es ganz wundervoll. Dann besuchte ich einen Workshop mit Flix und erlebte den Comic bei einer Lesung. Es kamen allerlei Anekdoten der Leser zu meiner persönlichen Perspektive dieser Abenteuergeschichte für Alt und Jung hinzu. Da erzählte etwa ein Mann Anfang 60 von einer ganz ähnlichen Reise in die DDR. Flix selbst machte auf vieles aufmerksam, etwa auf die zahlreichen Anspielungen auf das Marsupilami in den Bildern. Inzwischen lässt sich dieser Blick auf den ersten Spirou eines deutschen Zeichners und Autors mithilfe der Deluxe-Ausgabe reproduzieren – zumindest etwas. Wahrscheinlich muss man das Talent und den Status eines Flix‘ besitzen, damit einem ein Beitrag zu einer international berühmten und beliebten Comicreihe wie Spirou angeboten wird, in jedem Fall tut es gut zu erleben, welch hervorragenden Comics aus Europa kommen können, wenn nur der Wille dazu da ist. Auch deshalb ist Spirou in Berlin so ein unterhaltsames, beflügelndes und grandioses Leseerlebnis!

(Mehr über Flix und seinen Comic Spirou in Berlin findet Ihr in ALFONZ Nr. 3/2018.)

 

Sonnenstein, Band 6
Text & Zeichnungen: Stjepan Šejić
Übersetzung: Sandra Kentopf
Panini | HC | Farbe | 128 Seiten | 25,00 €

Comics für Erwachsene: Was bietet sich da an? Sex and Crime geht immer, warum also nicht einfach auf den Fifty-Shades-of-Grey-Zug aufspringen? Das könnte man über Sonnenstein denken, jedoch geht diese so überaus sympathische, leichtfüßig daherkommende und so erfrischend natürlich und echt wirkende BDSM-Liebesgeschichte eigene Wege und ist nicht so bieder und verklemmt wie die, wenn auch unterhaltsame und sinnliche, nur eben doch arg märchenhafte Prinzessin-findet-reichen-König-Abenteuer des traumatisierten Herrn Grey. Lisa und Ally, die beiden Hauptfiguren von Sunstone, wie das Werk im Original heißt, entstammten einer Schreibblockade des 37-jährigen Kroaten. Entstanden ist eine erotische Liebesgeschichte, die zeichnerisch beeindruckt und wohl am besten als Comic funktioniert. Bereits jetzt ein Klassiker und ein Maßstab des Erotik-Comics.

 

Jane
Text: Aline Brosh McKenna
Zeichnungen: Ramón K. Pérez
Übersetzung: Torsten Hempelt
Panini | HC | Farbe | 228 Seiten | 25,00 €

Jane beweist vieles: dass ein Comicroman einfach nur poetisch schön, gänzlich unaufgeregt sein kann und ohne düstere Themen auskommt, und dass Charlotte Brontë 1847 keinen Frauen-, sondern ganz einfach einen guten Roman geschrieben hat. Außerdem zaubert Pérez‘ Bilder von solcher Schönheit aufs Papier und bietet so eine wunderbare Umsetzung des Stoffs, der in dieser Form nur als Comic möglich ist, die eine tiefe Verbundenheit mit der jungen Heldin beschert. Jane beginnt in New York ein neues Leben, nachdem ihre Kindheit entbehrungsreich und hart war. Sie findet ihren Weg als Künstlerin sowie die Liebe – und dieser Comic hoffentlich viele Leser.


Ralph Trommer

 

Spirou und Fantasio Spezial 26: »Spirou oder: die Hoffnung. Teil 1«
Text & Zeichnungen: Emile Bravo
Übersetzung: Ulrich Pröfrock
Carlsen | SC | Farbe | 96 Seiten | 14,00 €

Es ist erstaunlich, auf welch vielfältige Weise die vor 80 Jahren kreierte belgische Comicfigur auch heute noch auf Zeichner inspirierend wirkt. Der Franzose Emile Bravo führt nun seine vor zehn Jahren mit »Porträt eines Helden als junger Tor« begonnene Geschichte um einen jugendlichen Spirou fort. Mit dem ersten Teil des vierbändigen Abenteuers »Spirou oder: die Hoffnung« hat er eine Erzählung über den Krieg geschaffen, die an Authentizität und künstlerischer Verdichtung mit den Besten dieses Genres – Jacques Tardi (Grabenkrieg, Stalag II B) und Art Spiegelman (Maus) – mithalten kann. Das Thema Zweiter Weltkrieg wird leichtfüßig aus der Sicht eines Heranwachsenden erzählt, der nicht am Krieg beteiligt ist, aber seine Auswirkungen hautnah miterlebt; das Ergebnis ist oft berührend, aber auch spannend und äußerst witzig (Sidekick Fantasio ist hier als opportunistischer Prahlhans ohne moralischen Kompass zu erleben). Zeichnerisch gelingt Bravo, passend zur erzählten Epoche, eine perfekte Hommage an Hergés Ligne claire, die er vor allem dazu nutzt, ausgefeilte, lebendige Charaktere zu erschaffen. Eine Wohltat gegenüber Mainstreamcomics ist der ruhige Erzählrhythmus, der jede Effekthascherei und übliche Kriegsklischees vermeidet.

 

Lovecraft
Text: H.P. Lovecraft
Zeichnungen: Alberto Breccia
Übersetzung: André Höchemer
avant-verlag | HC | s/w| 126 Seiten | 29,00 €

Der Uruguayer Alberto Breccia (1919-93) ist einer der ganz großen Künstler der Comicgeschichte, der in den 1960er Jahren in Argentinien einen modernen, freien und hoch virtuosen Strich entwickelte und erst in den 90er Jahren auch hierzulande entdeckt wurde (Mort Cinder, Dracula, Perramus). Seine nun erstmals ins Deutsche übersetzten Adaptionen von Lovecraft-Shortstories (Szenario: Norberto Buscaglia) übertragen auf vielfältige, experimentelle grafische Weise – etwa ungewöhnliche Blickwinkel, Collagen, verschiedene Pinsel und Papiersorten – die phantastische, paranoide Angst-Welt H. P. Lovecrafts in Comicform und finden ungewöhnliche Lösungen für die Darstellung des Nicht-Darstellbaren, Monströsen oder unbegreifbaren Bösen aus dem All. Eine großartige Ausgrabung des avant-verlags, die wieder einmal bewusst macht, dass es – wie das Filmerbe – auch ein Comicerbe gibt, das nicht in Vergessenheit geraten darf.

(Mehr über H.P. Lovecraft, Alberto Breccia und den Comic findet Ihr in ALFONZ Nr. 2/2018.)

 

Black Hammer, Band 1
Text: Jeff Lemire
Zeichnungen: Dean Ormston
Übersetzung: Katrin Aust
Splitter | HC | Farbe | 184 Seiten | 19,80 €

Obwohl ich kein Superhelden-Aficionado bin, macht mir diese besondere Reihe wegen ihrer originellen, phantastischen und schwarzhumorigen Elemente Spaß. Der kanadische Independent-Comiczeichner Jeff Lemire ist diesmal »nur« Szenarist, aber sehr souverän in der Entwicklung eines eigenen Universums, das einerseits eine Hommage an klassische Superhelden des Golden Age darstellt, zugleich auch die eigene Handschrift seiner meist im ländlichen Milieu Nordamerikas angesiedelten Comics (u.a. Essex County) durchscheinen lässt. Zeichner Dean Ormston (Sandman, Lucifer) und Kolorist Dave Stewart setzen Lemires Ideen sehr inspiriert und stimmungsvoll um, sodass dem Leser die lakonisch-schrägen Figuren – allesamt in die Ödnis verbannte Superhelden-»Veteranen« - schnell ans Herz wachsen. So baut sich allmählich eine komplexe Saga auf, die an Becketts Drama Warten auf Godot wie auch an herausragende Superhelden-Schöpfungen der 80er wie Watchmen erinnert.

(Eine Rezension des Comics findet Ihr in ALFONZ Nr. 3/2018, ein ausführliches Interview mit Jeff Lemire in ALFONZ 4/2018.)

 

Andy – A Factual Fairytale
Text & Zeichnungen: Typex
Übersetzung: Cornelia Holfelder-von der Tann
Carlsen | HC | Farbe | 568 Seiten | 48,00 €

Kaum fassbar, dass hinter diesem monumentalen Werk nur ein einzelner Künstler steckt. Der 1962 geborene niederländische Zeichner Typex hat fünf Jahre an seiner Comicbiografie über Andy Warhol gearbeitet und damit zweifellos ein Meisterwerk geschaffen, das trotz des über 500-seitigen Umfangs nicht einfach brav die Lebensstationen abklappert, sondern in zehn Heften, die verschiedene Unterkapitel haben, jeweils eine wichtige Episode aus Andys wildem, skandalträchtigem Leben fokussiert. Jedes Cover dieser Hefte zitiert oder karikiert einen speziellen Look, den zeitgenössische US-Magazine von den 1930ern bis in die 1980er hatten. Die ganze Entourage Warhols wird wiederum in jedem Heft auf (Pseudo-) Sammelbildern vorgestellt. Zudem wimmelt es nur so – neben anderen popkulturellen Verweisen wie etwa aufs Kino – vor Anspielungen auf die Comicgeschichte, denn der Pop-Art-Guru Andy Warhol war auch Comicfan. So ergibt sich ein sehr komplexes, vielschichtiges Bild eines Künstlers und seiner Epoche, die dem Leser auf dezent satirische Weise nähergebracht wird. Zeichnerisch ist Typex´ Stil zwischen Will Eisner´schem Semi-Realismus, Karikatur und Undergroundcomix zu verorten. Ein kongenialer Comic zum Phänomen Andy Warhol. Man muss übrigens kein Fan sein, um dieses Buch zu mögen.

(Eine Rezension des Comics findet Ihr in ALFONZ Nr. 1/2019.)

 

Der Umfall
Text & Zeichnungen: Mikael Ross
Originalausgabe
avant-verlag | HC | Farbe | 128 Seiten | 28,00 €

Noel ist ein geistig behinderter Teenager und wird von seiner Mutter betreut. Eines Tages erleidet sie einen Schlaganfall und Noel muss in eine Betreuungseinrichtung aufs Land ziehen. Mit der neuen Umgebung muss er sich erst anfreunden, ebenfalls mit deren Bewohnern und den Leuten im Dorf ... Der deutsche Zeichner Mikael Ross hat zwei Jahre in einer solchen Einrichtung in Neuerkerode recherchiert und eine ungeheuer einfühlsame wie lebensnahe Graphic Novel geschaffen, die den Lesern die Welt aus einer ganz ungewohnten Perspektive nahebringt: Täglich lauern neue Erfahrungen, neue Begriffe, denen unerhörte Bedeutungen zugeordnet werden (»Umfall«, »Kooma«, »Aal-Ektrik«), und das erste Verliebtsein in eine »Prinzessin« ist überhaupt das Allergrößte ... In spontan anmutenden, gescribbelten Bildern, die stimmungsvoll ausgeleuchtet und koloriert sind, versteht Mikael Ross es, mit seiner Hauptfigur Noel zu berühren, ohne dabei sentimental zu werden. Die Graphic Novel ist wunderbar leicht erzählt und von einem erfrischenden, direkten Humor, der sich der Thematik und den behinderten Charakteren angemessen, aber auch nicht mit Samthandschuhen nähert. Tipp: Dazu sollte man am besten eine Platte »Eyzzie-Diezzie« hören.

(Mehr über Mikael Ross und seinen Comic Der Umfall findet Ihr in ALFONZ Nr. 1/2019.)


© der Abbildungen bei den Verlagen und Autoren, Fotos © Edition Alfons