House of Heroes: Folge 7 - Eine Watsche für die Watchmen

Before Watchmen: Comedian #1 Ausschnitt

Bald ist es soweit (EVT in den USA: 6. Juni 2012) und das lange angekündigte und sehr kontroverse Projekt Before Watchmen kommt in die (digitalen) Comicshops. Sind die zum Teil heftigen Meinungen bis hin zu Boykottaufrufen denn überhaupt gerechtfertigt? Muss man sich als Verlag die zum Teil wüsten Beschimpfungen gefallen lassen? Wird das ganze Projekt komplett scheitern?

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Folge 7: Eine Watsche für die Watchmen

von Stefan Immel

Um das vorweg zu nehmen: Ich denke vieles davon liegt im Auge des Betrachters und man sollte sich selbst eine Meinung bilden, allerdings hilft es, wenn man ein wenig reflektiert und nicht alles nur einseitig sieht. Ich habe für mich aus den Punkten zwei heraus gegriffen und möchte diese näher beleuchten:

1. Alan Moore wurde verratenBefore Watchmen: Minutemen #1 Titelbild

Alan Moore hat mit Watchmen nicht nur ein herausragendes Comicwerk geschaffen, er hat auch Figuren ins Leben gerufen und eine Welt beschrieben, die in sich logisch ist und mit so vielen stimmigen Details bestückt, dass sie ihres gleichen sucht. Hat er damit nicht auch ein Recht, sei es juristisch oder moralisch auf alles was damit zu tun hat?

Juristisch dürfte das zwischenzeitlich sehr deutlich entschieden sein, nicht zuletzt bestätigt durch die Tatsache, dass Alan Moore immer mal wieder durchscheinen hat lassen, dass er den Vertrag damals maximal überflogen und nie komplett gelesen hat. Damals hat er wohl den Leuten von DC vertraut und ist davon ausgegangen, dass die Rechte an den Charakteren irgendwann wieder an ihn und Dave Gibbons zurück gehen. All seine Aussagen zu dem Thema beziehen sich immer nur auf das, was er verstanden hat bzw. wie er die Verträge bzw. das, was darin stand interpretierte. Moore sah Watchmen also als »Creator Owned« an, was aber offensichtlich falsch war. Die Rechte an Watchmen gehören schon lange DC bzw. haben es wahrscheinlich schon immer getan und Alan Moore steht »nur« eine Provision zu. Zwischenzeitlich hat es aber so viel böses Blut zwischen DC und Moore gegeben, dass dieser seine Provision an Gibbons abgetreten hat.

Moralisch ist die Sache alles andere als eindeutig. Alan Moore hat zwar damals »nur« die Charlton Figuren umgekrempelt, die DC neu erworben hatte und ihnen dann neue Namen gegeben, das aber auf eine Art und Weise, die zuvor noch nicht da gewesen war. Vor allem aber wurden die Charlton Helden in der Transformation zu etwas völlig Neuem, etwas, das man eindeutig nur als Moores Schöpfung bezeichnen kann. Schaue ich mir vergleichbare Beispiele aus anderen Medien an, so denke ich nicht das J.K. Rowling zu ihren Lebzeiten je zulassen wird, dass jemand anderes über Harry Potter schreibt ohne dass sie es zuvor absegnet und trotz des »Expanded Universe« ist Georg Lucas auch sehr bestimmend, wenn es um sein Star Wars geht. Allerdings liegt hier die Lage auch etwas anders. Weder Rowling noch Lucas haben so eindeutig FÜR jemand anderes gearbeitet, wie es Moore bei Watchmen getan hat. DC hat Moore die Freiheiten gelassen, die er brauchte, sich aber um Verlegen und Werbung gekümmert. 

Alan Moore hat also sehr wohl ein »moralisches Recht«, das er wegen der juristischen Lage nicht in Anspruch nehmen kann. Aber DC hat in meinen Augen ebenfalls ein »moralisches Recht« an Watchmen. Worüber sich aber trefflich diskutieren lässt, ist das Ausmaß an Arbeit und Investition, die alle Seiten getätigt haben. Künstler neigen dazu den finanziellen und organisatorischen Aufwand zu unterschätzen, der nötig ist, um ihre Kunst dem Konsumenten verfügbar zu machen.

Dass die Diskrepanzen zwischen Alan Moore und DC nicht nur auf Watchmen beruhen und seine Kritik an der Vorgehensweise des Verlages keinen falls unbegründet ist, muss man allerdings ebenso in Betracht ziehen.

2. Es ist künstlerisch nicht akzeptabel

Einer der Kritikpunkte, die ich immer wieder höre ist die Tatsache das Before Watchmen ja nicht besser als Watchmen sein könnte und man es deshalb lassen sollte. Das für sich genommen ist hochgradig kurzsichtig. Nur weil es bereits etwas sehr gutes in einem Genre gibt, sollte man doch nicht jeden weiteren Versuch unterlassen, es vielleicht doch noch besser zu machen. Watchmen ist wirklich ein Meisterwerk und die Wahrscheinlichkeit, mit diesem Hintergrund noch an Qualität nachzulegen mag sehr gering sein, aber trotz all dem ist jeder halbwegs vernünftige Ansatz diese Welt sinnvoll zu erweitern nicht automatisch zum Scheitern verurteilt.

Before Watchmen: Niteowl #1 TitelbildViel wichtiger für mich ist jedoch die Frage, ob wirklich alles immer »besser« sein muss. Wie definiere ich selbst Qualität? Hier frage ich mich, ob nicht gerade Alan Moore selbst das Gefühl für die Balance zwischen Kunst und Kommerz verloren hat. Comics sind auch Unterhaltung und dienen nicht nur der Kunst, somit ist es vollkommen legitim zu schauen, wie man Leute damit unterhalten kann. Und bekanntlich kann man Unterhaltung nur bedingt qualifizieren. 

Ein weiterer, vielleicht viel gewichtiger Einwand, kommt von Alan Moore selbst. Seine Idee war, dass Watchmen genau gegen den Trend kein Seriencomic ist, sondern eine abgeschlossene Geschichte, zu der es nichts mehr hinzuzufügen gibt. Watchmen soll für sich alleine stehen und nicht ein Teil eines ewigen Zyklus sein, wo Helden sich nicht weiter entwickeln, sondern sich eigentlich nur um sich selbst drehen. Zudem ist Watchmen nicht als »Superhelden-Seifenoper« konzipiert, sondern als »traditionelle« Geschichte mit einem Anfang, einem Mittelteil und einem Ende. Doch auch hier frage ich mich, ob die Before Watchmen Hefte daran etwas ändern. Genau wie auch die »New 52« von DC in keinster Weise alle alten Geschichten »zerstört« haben, so haben die Before Watchmen Storys einen direkten Einfluss auf die Originalgeschichte.

Der Einwand von Moore, dass DC nur noch Sachen aufwärmt, die er vor 30 erschaffen hat, ist allerdings dann doch ein wenig weit hergeholt und zeugt von einem übertriebenen Ego. Auch Moore hat mit Swamp Thing auf anderen »Sachen« aufgebaut, ohne das er NUR aufgewärmt hat. Moore behauptet auf der einen Seite, er würde die neueren Geschichten nicht mehr lesen und auf der anderen, dass sie allesamt nur ein schwacher Schatten wären, von dem was er geschrieben hat.

Vielleicht ist es tatsächlich ein Problem, dass Moore wirklich genial schreibt und Watchmen ein Meisterwerk ist. Dies alles gibt aber weder ihm noch einigen seiner radikaleren Anhänger das Recht, alles andere schlecht zu reden. Ich kann durchaus akzeptieren, dass jemand aus den oben genannten Gründen die neuen Serien meidet. Was ich in keinster Weise okay finde, ist die Tatsache, dass einige Leute die Künstler, die Before Watchmen überhaupt möglich machen, angreifen oder als Verräter beschimpfen. 

Moore selbst sollte zudem vorsichtig sein mit dem, was er sagt. Ich stimme hier Mark Hughes von Forbes vollkommen zu, der ihn als scheinheiligen Heuchler bezeichnet und diverse Beispiele bringt, bei denen Moore genau das tut, was er nun anderen vorwirft. Das extremste dieser Beispiele dürfte wohl Lost Girls sein, wo er Peter Pans Wendy, Alice aus dem Wunderland und Dorothy aus Wizard of Oz in Situationen bringt, die den ursprünglichen Autoren mehr als nur die Zornesröte ins Gesicht getrieben hätten. 

Ich für meinen Teil werde mir die Nummer 1 der einzelnen Serien sicher anschauen und dann entscheiden, ob ich weiter lesen will oder nicht. Im Vorfeld über etwas zu urteilen was ich nicht kennen kann, ist etwas, das ich vermeiden möchte.

Before Watchmen: Silk Spectre #1 Titelbild  Before Watchmen: Comedian #1 Titelbild

Abbildungen © DC Comics


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Über den Autor

Stefan »Starocotes« Immel, geboren 1968, liest seit über 20 Jahren US-Superhelden-Comics der großen Verlage und beschäftigt sich mit den Autoren und Künstlern, Redakteuren und Verlegern. Seit vier Jahren betreibt er ein Blog, das sich primär um Comics dreht.

Glücklicherweise wird von seiner Frau dieses Hobby nicht nur geduldet, sondern auch unterstützt und seine beiden Kinder kennen ebenfalls schon mehr Superhelden als der durchschnittliche Deutsche.