Abwechslung zu Hause: Wie gut ist Disney+?

Zwischen Home-Office und häuslicher Quarantäne dürfte es vielen Comicfans derzeit langweilig sein. Bringt der Streamingdienst aus dem Haus mit der Maus Schwung in den tristen Corona-Alltag? Und was bedeutet das neue Angebot für die Comicbranche? CRON hat ein Abo gebucht und losgestreamt.

Disney+ wird die
Medienlandschaft verändern

Die Erwartungen waren riesengroß: Marvel erlebt mit seinem Cinematic Universe eine ganz neue Stufe, es gibt die erste, noch dazu revolutionäre Star-Wars-Realserie. Die Befürchtungen waren ebenso groß: Die ganz großen US-Konzerne Apple, Amazon und Disney werden noch dominanter. Kinos, Kabelfernsehen und Blu-rays könnten komplett überflüssig werden und nach Musik-, Film-, Videospiele- und (Hör-)Buch-Flat sind nun bald auch die Comics fällig. Am Ende steht die Disneyfizierung der Welt mit biederen, weichgespülten Medienprodukten. Das Aus für Animationsfilme wie Sausage Party oder Shrek, Superhelden wie Deadpool und anderes für Menschen, die in Sachen Satire und Humor geschult sind und nicht alles politisch korrekt überarbeitet sehen wollen. Wobei: Zu Disney gehört seit kurzem Fox und da läuft die sehr subversive Zeichentrickserie The Simpsons.

Seit dem 24. März 2020 ist der Streamingdienst Disney+ nun auch in Deutschland verfügbar. Die erste Woche ist gratis. Ein Monatsabo kostet 6,99 Euro. Ein Jahresabo gibt es für 69,99 Euro. Frühbucher konnten vorab noch mehr sparen, dieses Angebot gilt nicht mehr, dafür kann nun neben PayPal und Kreditkarte auch per Lastschrift bezahlt werden. Die Daten werden in 4K übertragen, sofern die Nutzer entsprechend schnelle Internettarife gebucht haben und nicht gerade eine Ausnahmesituation herrscht wie aktuell, denn momentan wird nur in HD geschaut. Ähnlich wie bei teureren Netflix-Tarifen kann auf mehreren Geräten gleichzeitig geschaut werden und es werden auch hier mehrere Leute ein Abo teilen, was rechtlich eine Grauzone ist. Ähnliches gilt für VPN-Verbindungen, mit denen Nutzer aus Deutschland auf die US-Version von Disney+ zugreifen und dort bereits jetzt die komplette Staffel des einen, ganz großen Flaggschiffs des Senders sehen können: The Mandalorian. In Deutschland gibt es jede Woche eine neue Folge, aktuell ist man bei der zweiten.


Die Sternenkrieger-Flotte mit ihrem Flaggschiff The Mandalorian (rechts).

Gut möglich, dass der neue Anbieter Chancen und Gefahren für Comics bietet. Wenn es mit den Marvel-Serien wie Wanda/Vision, Falcon and the Winter Soldier und Co. erst so richtig losgeht, was voraussichtlich ab 2021 so weit sein wird. Dann wird, wie bei den Superheldenfilmen auch, kurzfristig das Interesse an den jeweiligen Figuren steigen und es werden einige Comics neu aufgelegt oder extra zum Start veröffentlicht. Allerdings wirkt der Gegenwert eines Comics, der sich in weniger als 40 Minuten lesen lässt, von 12,99 Euro und mehr im direkten (und schiefen) Vergleich zum Streamingabo schon sehr teuer. Fürs Erste wildert Disney+ aber bei der Konkurrenz: Warum sollte ich mir, etwa auf Amazon, im April 2020 für 27,99 Euro Star Wars 9 oder Frozen 2 kaufen, wenn es beides schon bald in der Disney-Flat inklusive gibt. Im Netz wird auch diskutiert, wieso sich Fans die Skywalker-Blu-ray-Box kaufen sollen, wenn doch die technische Qualität der Filme auf Disney+ besser ist. Schauen wir mal genauer hin, was der Sender des aktuell schwer gebeutelten Mäuse-Konzerns (Einnahmeausfälle durch verschobene Kinostarts, geschlossene Disney-Parks und abgesagte Kreuzfahrten und ein drastischer Absturz der Aktie) konkret zu bieten hat.

Für CRON habe ich Disney+ auf folgenden Geräten getestet: PS4, Android Smartphone, Android-Tablet und Windows-10-PC mit Firefox – hier gab es keine Probleme. Was bei mir nicht funktionierte, war die Wiedergabe auf einem Laptop mit Windows 10, dort funktionierte es weder mit Chrome, Edge oder Firefox.


Auf allen möglichen Geräten abspielbar, selbst auf einem kleinen Smartphone.

Ist Disney+
das Ende der Blu-ray?

Ich bin altmodisch. Wenn mir etwas sehr viel bedeutet, dann will ich es gerne physisch besitzen. Das dürfte vielen Comicsammlern so gehen. Es hat ja auch den handfesten Vorteil, dass man einen gelesenen Comic weiterverkaufen oder immer wieder neu lesen kann. Anders als z. B. Amazon Prime bietet Disney+ nicht an, einen Film oder eine Serienfolge kaufen zu können. Zugriff auf die Sendungen haben Nutzer also nur, solange das Abo läuft. Aus eigener Erfahrung ist mir klar, dass ein Gewöhnungseffekt eintritt und es eine Erleichterung sein kann, weniger Dinge zu besitzen und digital, unterwegs und weltweit auf geliebte Dinge zugreifen zu können. Die Zukunft aus Star Trek: The Next Generation ist längst real: Da hatte Captain Picard per Sprachassistent Zugriff auf das Wissen der Welt, auf Musik, Bilder etc. und dennoch bewahrte er echte, edel gebundene Bücher in seinem Quartier auf, weil dieses haptische Erlebnisse einfach wunderschön ist. Zurück zum Versprechen, die Blu-ray zu ersetzen. Anders als Amazon klatscht Disney das Bonusmaterial und eventuell Audiokommentare nicht an den Hauptfilm hinten dran, was zu umständlichem Vorspulen führt, wenn man z. B. Captain Marvel noch mal mit Anmerkungen der Filmemacher sehen will. Disney+ bietet das Bonusmaterial in einem eigenen Reiter und so ist es noch schöner als beim Blu-ray-Heimkino. Außerdem bieten einige Produkten so absurd viele Tonspuren und Untertitel, dass hier eine echte Alternative besteht, um etwa Französisch, Spanisch oder Dänisch zu lernen – pädagogisch wertvoll! Tatsächlich bieten Blu-rays bisher aber noch wesentlich mehr als die Streamingversionen: So hat zwar Star Wars eine 4K-Version, aber was hilft das, wenn man nur eine 2-MBit-Internetleitung hat? Und während bei der Disc-Variante mehrere Tonspuren (nur Regie und Drehbuch, nur Schauspieler) ausgewählt werden können und Stunden an Zusatzmaterial vorhanden sind, bietet der Stream hier nur eine Handvoll alternativer Szenen. Aber es ist ausbaufähig und ein Vorgeschmack. Wer Filme in 3-D sehen will, muss aktuell noch immer Blu-rays kaufen, eine Weile bleibt dieser Datenträger also noch relevant.



Übersichtlich dargebotenes Bonusmaterial, etwa bei Captain Marvel.

Ist Disney+
nur für Kleinkinder?

Was für eine schlechte Idee war der Realfilm von Der König der Löwen! Wie unfassbar beknackt ist die Serie Hannah Montana (und wie herrlich ist die Simpsons-Parodie mit Alaska Nebraska!). Als erwachsener Mann ist das Programm von Disney+ schon sehr, sehr eingeschränkt relevant. Das eine, ganz große Highlight ist The Mandalorian und die Vorfreude auf Serien mit Elizabeth Olsen, Paul Bettany, Sebastian Stan und Anthony Mackie. Klar, es gibt für Comicfans auch echte Schmankerl wie die Doku From Pulp to Pop, in der Stan Lee, Kevin Smith, Todd McFarlane und andere erzählen, wie aus Timely Comics erst Marvel Comics wurde und wie es dann zu den Marvel Studios kam. Inhaltlich erfahren Kenner hier zwar nicht Neues, aber ähnliche Dokus über Walt Disney, Carl Barks, George Lucas u. v. m. würden Disney+ richtig guttun! Das Programm ist klar von Inhalten für Kinder dominiert. Serien für Erwachsene wie die Netflix-Produktionen Daredevil und Jessica Jones werden ebenso schmerzlich vermisst wie die Kinoauftritte von Deadpool und der innovative Animationsfilm Spider-Man: A New Universe. Hier greift wieder das altbekannte Dilemma: Als Marvel in den 1990ern vor dem Bankrott stand, wurde das Tafelsilber wahllos verhökert und Sony sicherte sich den wohl beliebtesten Marvel-Helden Spidey. Trotzdem gibt es Werke mit Peter Parker auf Disney+, wenn auch nicht viel mehr als einige Zeichentrickfilme und ein paar MCU-Auftritte. Die Marvelfilme sind übrigens unvollständig, Iron Man 1-3 ist enthalten, Infinity War, Endgame und vieles mehr auch, dafür fehlt der sehr lustige Spider-Man: Far From Home.

Unterhaltung für die eigenen Kinder ist ein möglicher Grund, ein Abo abzuschließen. Ein anderer ist Nostalgie. Viele Erwachsene können sich auf ein Wiedersehen mit Muppets-Filmen (leider nicht die klassische Muppet Show), den Duck Tales, Robin Hood und der sehr gelungenen 1990er-Zeichentrickserie der X-Men freuen. Da können Senioren dann Filme wiederentdecken, die sie vor 50 Jahren im Kino gesehen haben. Und man kann Bildungslücken schießen, etwa Steamboat Willie von 1928 nachholen und schon wird man daran erinnert, warum man Donald schon immer deutlich besser fand als die strahlende Maus (und wie sehr man Tom & Jerry schätzt). Meldet man sich übrigens mit einem Kinder-Profil an, werden Filme wie Avengers: Endgame gar nicht gelistet. Aber welcher findige Zehnjährige wird sich davon abhalten lassen, einen ab zwölf freigegeben Film anzusehen?


Exklusiver Inhalt: The World According to Jeff Goldblum.

Für wen und wann
lohnt sich Disney+?

Abos sind für Unternehmen super, weil viele Menschen träge sind und schon mal vergessen, rechtzeitig zu kündigen. Sportstudios sind dafür ein Beispiel. Die Einnahmen fließen und dem Betreiber entstehen nicht mal Aufwendungen. Netflix und Amazon bieten ihren Kunden einen kostenlosen Testmonat an und beide Anbieter machen es spielend leicht zu kündigen: Das geht direkt online, da muss kein Brief per Einschreiben verschickt werden. So ist es auch bei Disney+. Nach einer Woche Testabo sollte es nicht schwerfallen, eine Entscheidung zu treffen. 30 Staffeln Simpsons ohne Werbepausen gucken und zwei, drei exklusive Inhalte wie die nette Serie The World According to Jeff Goldblum (Folge 1: »Die wunderbare Welt der Sneaker«) oder die Kletter-Doku Free Solo auf National Geographic, ja das ist wirklich gute Unterhaltung, technisch beeindruckend und leicht bedienbar. Aber letztlich war die Erwartung doch, dass nun die nächste Phase des MCU startet, und nun kommen solche für Marvel-Fans relevanten Gründe, 6,99 Euro zu zahlen, erst 2021? Immerhin wissen wir jetzt endlich, wie es im Cockpit eines Sandcrawlers aussieht und was die Jawas gerne verspeisen – tatsächlich ist aktuell lediglich The Mandalorian das ersehnte, ganz große Erlebnis, welches sich viele von Disney+ versprechen. Der Stil erinnert an den Film Rogue One, bietet also den Look der klassischen Trilogie, echte Modelle und Sets statt einem unguten Übermaß an künstlich wirkenden CGI-Effekten. Zu den Einflüssen von Star Wars gehören auch Western, diese Facette arbeitet Autor und Produzent Jon Favreau hervorragend heraus. Ähnlich wie in den Comics nimmt auch diese Serie, in ihrer ersten achtteiligen Staffel, altbekannte Elemente aus den Filmen (wie den an Boba Fett erinnernden Protagonisten, die »Gegensprechanlage« aus Jabbas Palast und die Jedi-Mythologie) und erschafft daraus eine neue Geschichte, die im besten Fall nicht nur Geldschneiderei ist, sondern eine echte Bereicherung des Star-Wars-Universums. Schon nach der zweiten Folge ist klar: Diese Serie allein ist so liebevoll gemacht, so vortrefflich erzählt, so humorvoll, dass ich mich beinahe wieder fühlte wie als Kind, als ich zum ersten Mal Der Krieg der Sterne gesehen habe – das ist Kino für daheim in Perfektion! Leider fehlt es aktuell an weiteren Nuggets wie dieser Serie, bei Disney könnte die Goldgräberstimmung bald weichen, zumal die Verschiebung des Films Black Widow und Drehstopps das so sorgfältig entworfene Kartenhaus MCU gehörig ins Wackeln bringen könnten. Es dauert noch eine Weile, bis es besser wird – welch treffendes Schlusswort in Zeiten wie diesen.

[Stefan Svik]

Abbildungen © 2020 Disney


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