Das belgische Spirou-Magazin feiert 75. Geburtstag

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Unglaublich: Mit seinen 75 Jahren gehört das belgische »Spirou«-Magazin zu den langlebigsten und populärsten Comicserien weltweit – und lässt sogar »Superman« und »Batman« hinter sich. Am 21. April wird das Jubiläum mit einer großen Party im Brüsseler Atomium und einer tollen Spezialausgabe gefeiert!

Die wechselvolle Geschichte eines großartigen Magazins

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Als Verleger Jean Dupuis im April 1938 die erste Ausgabe des Comicmagazins »Spirou« an die belgischen Kioske auslieferte, bestand wahrlich kein Mangel an Zeitschriften für Kinder und Jugendliche im französischsprachigen Raum. Vor allem aber kamen die Comics aus Frankreich, und so dachte sich Dupuis, der zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgreich ein Frauenmagazin und eine Radio-Illustrierte publizierte, dass belgische Kinder auch belgische Comics lesen sollten.

Ankündigungsplakat für die erste Ausgabe vom 21. April 1938

Paradoxerweise fand er gerade in dem Franzosen Robert Velter alias Rob-Vel einen begeisterungsfähigen jungen Zeichner, der dann auch die entscheidende Idee zur Geburt eines neuen Serienhelden hatte. Titelheld Spirou erlebte seine Abenteuer als Page im Brüsseler Hotel Moustique – das war übrigens auch der Titel der Radio-Illustrierten von Dupuis. In der ersten Ausgabe ist der Leser Zeuge, wie der Hotelbesitzer sich am Ende einer vergeblichen Suche nach einem geeigneten Angestellten an den Künstler Rob-Vel wendet, der aus einer Zeichnung und einem kleinen Spritzer »Lebenselixier« den gewünschten Pagen zaubert.

 1946 übernimmt André Franquin die Titelserie

Entscheidenden Einfluss auf das weitere Schicksal der Serie und des Magazins »Spirou« hatte 1939 die Einstellung des Zeichners Joseph Gillain, der unter dem Pseudonym Jijé nicht nur maßgeblichen Anteil an der künstlerischen Arbeit hatte, sondern durch seine Kontakte zu anderen Zeichnern auch für eine wachsende Mannschaft der »Spirou«-Redaktion verantwortlich war. Unter seiner künstlerischen Leitung entwickelte sich das Magazin in den 1940er und 1950er Jahre zu einem der wichtigsten und einflussreichsten Jugendmagazine in Europa. Mit Zeichnern wie Morris (»Lucky Luke«), Maurice Tillieux (»Gil Jourdan«), Victor Hubinon (»Buck Danny«), Peyo (»Les Schtroumpfs«) und nicht zuletzt André Franquin, der die Titelserie ab 1946 zeichnete, deckte »Spirou« die Bedürfnisse der belgischen – und später auch europäischen – Jugend ab und erwies sich als stilbildend für die weitere Entwicklung westlicher Comics.

Werbung für Spirou-Helden aus dem Jahr 1950

Titelbild von Jijé aus dem Jahr 1957

Der Eintritt des Druckereiangestellten Yvan Delporte in die »Spirou«-Redaktion Mitte der 1950er Jahre vervollständigte schließlich die kreative Leitung, die aus dem Magazin weit mehr machte als ein Comicmagazin und mit redaktionellen Beiträgen, Beilagen und Sondernummern zu Anlässen wie Weihnachten, Ostern und dem Ferienbeginn glänzte. Delportes überbordender Ideenreichtum war dann auch für viele Zeichner und Autoren der Anlass, ihre Comics unter seiner Leitung in »Spirou« publizieren zu lassen. Franquins Serie »Gaston« entstand in dieser Zeit, aber auch Peyos »Die Schlümpfe« und »Boule und Bill« von Roba nahmen hier ihren Anfang.

Spezialnummer zum Ferienbeginn aus dem Jahr 1960 mit Cover von Will

Spezialnummer zu Weihnachten aus dem Jahr 1963 mit Cover von Morris

Ende der 1960er Jahre setzte mit dem Austritt Delportes aus der Redaktion und dem Eintritt vieler junger Talente eine neue Phase von »Spirou« ein. Längst hatte sich das von Dupuis nach dem Ende der Zweiten Weltkriegs lancierte Albumprogramm mit dem Nachdruck der besten Geschichten des Magazins etabliert und bescherte dem Verlag, der inzwischen in zweiter Generation von den Söhnen Paul und Charles geführt würde, wirtschaftlichen Wohlstand. Es gelang auch in den von Fernsehen und Videospielen geprägten 1970er und 1980er Jahren, mit den Serien »Yoko Tsuno« von Roger Leloup, »Die blauen Boys« von Cauvin und Lambil, »Natascha« von François Walthéry und neuen Abenteuern des Titelhelden durch Jean-Claude Fournier das hohe Niveau guter Unterhaltungslektüre für Kinder und Jugendliche zu halten.

Yoko Tsuno auf dem Cover einer Spirou-Ausgabe von 1972

Yslaires wenig bekannte Serie Bidouille et Violette auf dem Cover einer Spirou-Ausgabe von 1978

Das hatte zur Folge, dass es auch für eine nachwachsende Generation von Comiczeichnern interessant war, für »Spirou« zu arbeiten. Alain De Kuyssche an der Spitze der Redaktion schrieb die Erfolgsgeschichte des Magazins fort, indem er jungen Zeichnern und Autoren wie Yann, Frank LeGall (»Theodor Pussel«), Bernard Hislaire (»Sambre«), Tome & Janry (»Der kleine Spirou«), Philippe Berthet, Didier Conrad oder Frank Pé (»Jonas Valentin«) einen möglichst großen Freiraum ließ und sie damit zu kreativen Höchstleistungen trieb. Sie etablierten sich in kurzer Zeit als herausragende Comickünstler und führen ihre damals begonnenen Serien oftmals noch heute erfolgreich fort. Das starke kreative Potential des Magazins »Spirou« führte allerdings auch dazu, dass zu dieser Zeit eine ganze Reihe von Zeichnern und Autoren darum buhlte, die Titelserie zu gestalten. Nach Fournier traten Yves Chaland wie auch Nic & Cauvin den Beweis an, dass viele Köche den Brei verderben. Erst Tome & Janry konnten als reguläres und verlässliches Kreativteam für die »Spirou«-Serie wieder Ruhe in die Publikationsgeschichte bringen und die Erwartungen in künstlerischer und wirtschaftlicher Hinsicht erfüllen.

Cover einer Sondernummer von 1980

Yves Chaland zeichnete Spirou im Jahr 1981

Ab 1982 übernahmen Tome & Janry

Während Tome & Janry die Titelserie zu neuen Höhenflügen führten, gelang dasselbe dem Chefredakteur Thierry Tinlot, der von 1993 bis 2004 die Geschicke des Magazins leitete und mit einer bis dahin nicht gesehenen Beteiligung durch die Leser großen Erfolg hatte. Seine Einblicke in die Redaktion und den Entstehungsprozess von Comics gingen Hand in Hand mit dem Abdruck beliebter Serien wie »Jackie Kottwitz« von Dodier und Makyo, »Marsupilami« von Bâtem und Yann, »Der Schrei des Falken« von Pellerin oder »Spoon & White« von Léturgie. Zeichner und Autor Lewis Trondheim, der mit seinem alternativen Verlagsprojekt L'Association bereits Aufmerksamkeit erregt hatte, gelang es ebenfalls, mit kurzen Serien in »Spirou« publiziert zu werden, nachdem seine Idee einer alternativen Serie des Titelhelden abgelehnt worden war.

Morvan & Munuera übernehmen die Titelserie - ohne Erfolg

Von wegen Untergang: Das Spirou-Magazin erscheint auch im Jahr 2012 immer noch erfolgreich

Daraus entstand nur kurze Zeit später jedoch die noch heute mit großem Erfolg veröffentlichte Reihe der Spezial-Bände, in der sich wechselnde Autoren und Zeichner dem Schicksal des abenteuerlustigen Hotelpagen annehmen. Dieser Erfolg überbot zeitweise sogar die Popularität der regulären Reihe, die inzwischen von José-Luis Munuera und Jean-David Morvan gestaltet wurde, die das Rummelsdorfer Universum allerdings wenig erfolgreich verwalteten. Erst mit Zeichner Yoann Chivard und Autor Fabien Vehlmann geriet die »Spirou«-Serie ab 2010 wieder in kompetente Hände. Ihnen gelingt die behutsame Modernisierung des Klassikers und passt damit wieder in das titelgebende Magazin, das seit 2008 von Frédéric Niffle geleitet wird. Auch er hat ein Händchen für ein erfolgreiches Nebeneinander von neuen und klassischen Stoffen, durch die sich das »Spirou«-Magazin nach 75 Jahren noch hoher Beliebtheit erfreut.

Das Cover von Yoann & Vehlmann für die Jubiläumsausgabe 3914 vom 17. April 2013

Diese Vielfalt zeigt sich ganz besonders in der aktuellen Ausgabe 3914, die diese Woche erschienen ist und als Sondernummer ganz im Zeichen des Geburtstags steht. Große Namen der Comicszene lassen sich (mal wieder) im Magazin sehen und steuern in mehr oder weniger umfangreichen Beiträgen ihren Anteil am Jubiläum bei. Darunter auch Dany, Yann, Frank, Le Gall, Munuera & Morvan, Olivier Schwartz, Vink, Bercovici, Émile Bravo, Fournier oder Jannin. Selbstverständlich sind auch Yoann & Vehlmann mit einer Kurzgeschichte vertreten.

Erster Auftritt Spirou auf dem Cover von »Der heitere Fridolin« Nr. 1, 1958

Das neueste Spirou-Album erscheint bei Carlsen im Juni 2013

In Deutschland gab es schon in den 1950er Jahren Versuche, Comics aus dem »Spirou«-Magazin und auch die Titelserie zu etablieren, doch das unter dem Titel »Der heitere Fridolin« publizierte Magazin musste schon nach kurzer Zeit wieder eingestellt werden. Erfolgreicher gelang es dann Rolf Kauka ab 1964 in seinen Magazinen (Lupo, Fix und Foxi), die Figuren aus dem »Spirou«-Universum und –magazin hierzulande bekannt zu machen. Seit 1981 ist der Carlsen Verlag verlegerische Heimat von »Spirou und Fantasio«, wo die Geschichten aus dem Rummelsdorfer Universum seitdem in mehreren Dutzend Albumausgaben veröffentlicht wurden. 2003 erfolgte ein umfangreicher Neustart der Serie mit neuer Kolorierung, verbesserter Ausstattung und redaktionellen Zusatzseiten sowie die Veröffentlichung der Sonderausgaben unter dem Titel »Spirou Spezial«. Bis heute sind 70 verschiedene Alben von »Spirou und Fantasio« mit einer Gesamtauflage von mehr als 700.000 Exemplaren bei Carlsen erschienen.

Volker Hamann

Alle Abbildungen © 2013 Dupuis