Große Spiegelman-Ausstellung in Köln eröffnet

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Die zuvor im Pariser Centre Pompidou und anlässlich der Verleihung des großen Preises auf dem Festival in Angoulême gezeigte Retrospektive des Maus-Zeichners Art Spiegelman wurde am vergangenen Wochenende im Kölner Museum Ludwig eröffnet - begleitet von großem Medieninteresse. Wir lassen Spiegelman selbst zu Wort kommen.

germany48Art Spiegelman über Maus

Art Spiegelman ist seit Maus – Die Geschichte eines Überlebenden einer der profiliertesten Comic-Zeichner unserer Tage. Nicht nur, dass er Comics in den USA vom Nimbus des Kinderkrams befreit hat, er hat gezeigt, dass sich das Zeichnen von Comics mit einer Ästhetik und einer intellektuellen Haltung verbinden lassen, die kritisch auf die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen reagiert. Im Januar dieses Jahres wurde Spiegelman mit dem Großen Preis der Stadt Angoulême für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

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Aus diesem Anlass wird erstmalig eine große Retrospektive des künstlerischen Gesamtwerks in Europa gezeigt. Im Mittelpunkt steht natürlich das Werk Maus, die inzwischen legendäre Umsetzung des Schicksals der Eltern des Künstlers, polnischer Juden, in eine bahnbrechende Comicerzählung, für die der Amerikaner 1992 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Nach weiteren zahlreichen Preise wurde Art Spiegelman im Juni 2012 der renommierte Siegfried Unseld Preis der Siegfried Unseld Stiftung zugesprochen, der seit 2004 alle zwei Jahre an Schriftsteller und Wissenschaftler verliehen wird. Berühmt wurde Art Spiegelman aber auch durch seine Bilderserie Im Schatten keiner Türme, der Verarbeitung seiner Erlebnisse und Erfahrungen vom 11. September, die 2002 erstmalig in Deutschland in Die Zeit publiziert worden ist. Die Ausstellung umfasst erste Arbeiten für die Kaugummiindustrie, Skizzen und vollständig ausgearbeitete Bilderfolgen, Illustrationen und die Titelzeichnungen für den New Yorker und die vollständige Maus.

Interessant ist es, Spiegelman selbst über sein Werk erzählen und reflektieren zu hören. Deshalb veröffentlichen wir an dieser Stelle einige Passagen eines Gespräches, das Ole Frahm und Christian Hein im April 2001 mit dem Künstler in seinem New Yorker Atelier geführt haben.

»›Maus‹ hat einiges ermöglicht, von dem ich nie wollte, dass es geschieht. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich ›Maus‹ zehn Jahre später hätte machen können. Es hat soviel damit zu tun, was und was nicht diskutiert wurde, was und was nicht diskutiert werden konnte. Ich habe mein Bestes getan, um dies zu durchdenken, während ich an ›Maus‹ gearbeitet habe. Sicherlich wäre es zehn Jahre später eine ganz andere Arbeit geworden. Ich habe ›Maus‹ zu einem Zeitpunkt begonnen, als der Holocaust noch nicht im Fokus allgemeiner Aufmerksamkeit war. Peter Novick hat in seinem Buch ›The Holocaust and Collective Memory‹ sehr genau nachgezeichnet, wie sich die Wahrnehmung des Holocaust verändert hat: Von Anne Franks Tagebuch in den Fünfzigern über die ›Holocaust¬‹-Fernsehserie in den Siebzigern bis zu dem, was wir heute haben.«

»Es gab einen entscheidenen Wechsel in der Einstellung zum Holocaust, der mit ›Holocaust‹ 1978 begann und von dem ›Maus‹ ein Teil ist. Aber ›Das Leben ist schön‹ von Roberto Begnini hätte ich in meinen wildesten Träumen nicht vorhersehen können. Und Begnini hat in einem Interview gesagt, dass ihn ›Maus‹ für ›Das Leben ist schön‹ inspiriert hat! Als der Film in den USA anlaufen sollte, hat er Miramax beauftragt, mit mir in Kontakt zu treten, um herauszufinden, ob ich das Poster für den Film machen könnte. Also sah ich den Film bevor er herauskam. Ich mochte Begnini in ›Down by Law‹, aber ich war über seine Fehleinschätzung und diese schreckliche Arbeit entsetzt. Wenn ich ihm hätte ›Maus‹ wegnehmen können, damit er davon nie inspiriert worden wäre, dann hätte ich das getan. Ich fühlte mich ein wenig wie Charles M. Schulz auf einer der letzten Seite meiner Hommage, wo er die Entwicklung des us-amerikanischen comic strips aufgrund der ›Peanuts‹ bedauert und wie Charlie Brown, der in dem letzten Panel den Kopf gegen einen Baum lehnt und ›Es ist nicht meine Schuld‹ ruft. Ein Werk lässt sich nicht kontrollieren, wenn es erst einmal veröffentlicht ist.«

»Bis zu einem bestimmten Grad machst du etwas, für das du als vollständiges ästhetisches Objekt verantwortlich bist. Es ist bedeutend, auf die Lücken, den weißen Raum, die Komposition, alle formalen Elemente der Arbeit zu achten. Aber wenn die formalen Elemente zum Vordergrund werden und die Geschichte wie in ›Maus‹ von wirklichen toten Menschen handelt, dann bringst du sie ein zweites Mal um. Das Problem stellte sich mir besonders in dem Panel, in dem ich die Verbrennung der ungarischen Juden bei lebendigem Leibe zeige. Es wurde für mich nahezu unmöglich, ich musste das Bild immer wieder neu kalibrieren: ›Nein, das Bild soll nicht so nett aussehen, ich muß wieder eine Stufe zurückgehen, denn nett ist alles, was ich hier nicht will. Oder es ist zu hässlich, es sieht melodramatisch aus.‹ Gibt es einen Weg, dass alle formalen Elemente funktionieren, nicht nur um mein Interesse zu unterstützen, sondern auch die Komplexität der vielen Inhalte, über die angesichts des Geschehens gesprochen werden muß? Es war ein Balanceakt.«

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Das vollständige Interview mit Art Spiegelman ist in Ausgabe 39 der REDDITION nachzulesen. Ole Frahm gilt als einer der besten Kenner von Art Spiegelmans Werk und hat mit seinem Buch Genealogie des Holocaust eine umfassende Arbeit über Maus vorgelegt.

Genealogie des_Holocaust

metamaus


Zur Ausstellung erscheint im S. Fischer Verlag Metamaus, die umfangreiche Reflektion des Künstlers Art Spiegelman über den modernen Klassiker Maus in deutscher Fassung sowie der Katalog CO-MIX in englischer und französischer Spracher (Verlag Flammarion). Eine ausführliche Rezension von MetaMAUS durch Peter Osteried ist in Ausgabe 2/2012 von ALFONZ - Der Comicreporter nachzulesen, die kommende Woche im Handel ist.

 Alle Abbildungen © Art Spiegelman

Die Internetseite zur Austellung: http://www.museenkoeln.de/museum-ludwig/default.asp?s=3939