Frisch Gelesen Folge 289: Catwoman - Lonely City 1

»Old Cat, New Tricks«
(Zeitungsschlagzeile einen Tag nach einem Einbruch Catwomans)


FRISCH GELESEN: Archiv


Catwoman – Lonely City 1

Story: Cliff Chiang
Zeichnungen: Cliff Chiang

Panini Comics
Hardcover | 108 Seiten | Farbe | 20,00 €
ISBN: 978-3-74162-760-6

Genre: Superhelden

Für alle, die das mögen: Catwoman, Batman, Gotham City, DC Comics


 

Bei Verlagsvorschauen ist Vorsicht angebracht. Eine gesunde Portion Skepsis kann nicht schaden, um die werbewirksamen Sprüche auf ihre wahre Größe zurechtzustutzen. Nicht hinter jedem angekündigten Geniestreich verbirgt sich auch einer, schon klar. Andererseits heben die Redakteure auch nicht jeden x-beliebigen Titel hervor. Wenn der in zwei Bänden abgeschlossene Catwoman – Lonely City in der Panini-Vorschau nicht nur als »Tipp der Redaktion!« auftaucht, sondern auch gleich einen Comic »in der Manier von Batman: Die Rückkehr des Dunklen Ritters« verspricht und dann auch noch ein hochtrabendes Pressezitat (»Das Meisterwerk, das Gotham verdient hat!«) obendrauf gepackt wird, dann liegt die Latte hochhaushoch. Ob Selina Kyle ihren Hintern da überhaupt noch drüberhieven kann? Immerhin schmerzen die alten Knochen.


Warten auf'n Bus: Selina Kyle alias Catwoman wird nach zehn Jahren aus dem Knast entlassen.


Zehn Jahre Knast haben die Meisterdiebin gezeichnet. Das Haar ist grau, das Antlitz faltig. Mit müden Augen, krummem Rücken und kaputtem Knie kehrt die Katze wie ein geprügelter Hund in ihr Penthouse heim. Hier schleicht sich bereits die erste Ungereimtheit in die Story. Ein Jahrzehnt lang stand Selinas Luxuswohnung leer. Und während der Rest des Gebäudes Plünderern zum Opfer fiel, blieb ausgerechnet ihr Domizil verschont? Die abschreckende Stahltür hält als dürftige Begründung her. Den Weg über das Oberlicht im Treppenhaus rauf auf die Dachterrasse und über die kinderleicht zu knackenden Terrassentüren rein in die Wohnung, den Selina schließlich nimmt, haben die Plünderer nicht gefunden. Ziemlich doofe Diebe in Gotham City!


Nicht mehr so gelenkig, aber immer noch mit Köpfen: Selina bricht bei sich selbst ein.


Auch der Rest der Geschichte ist wenig originell. Nicht nur Selinas Gesicht, auch das der Stadt hat sich verändert. Batman, der Joker, Robin, Nightwing und Commissioner Gordon sind alle tot. Die Nacht der Narren forderte ihre Opfer. Harvey Dent hat seine schlechtere Hälfte in die Schublade gepackt und gibt sich geläutert. Wobei seine Methoden durchaus die Frage aufwerfen, wie viel Two-Face noch in ihm steckt. Als Bürgermeister regiert er mit eiserner Hand und hat Gotham zur sichersten Metropole der USA gemacht. Das Tragen von Masken ist nur noch Dents Bat-Polizisten erlaubt, wodurch Vigilanten ihr Ende fanden. Barbara Gordon ist inzwischen Stadträtin und tritt bei der nächsten Wahl gegen den Amtsinhaber an, um aus dessen Polizeistadt mit Privatarmee endlich wieder einen Ort mit Bürgerrechten für alle und nicht nur für Dents reiche Klientel zu machen.

In diese schöne neue Welt voll Kryptogeld, Hightech-Polizeipräsenz und Anwohnerarmbändchen, die nicht allen erlauben, sich überallhin frei zu bewegen, wird also eine 55-jährige Frau geworfen, die die Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre verpasst hat. Im Grunde eine spannende Ausgangslage. Selina Kyle alias Catwoman könnte sich wie Dent, Gordon oder der Pinguin, der seine Glückspiel-Geschäfte auf eine künstliche Insel außerhalb Gothams Jurisdiktion verlagert hat, neu erfinden. Sie könnte Kekse backen, stricken lernen oder Kindern in der Bibliothek Geschichten vorlesen. Ein Ehrenamt ergreifen oder sich einfach einen Job suchen, um beim Bewährungshelfer gut dazustehen. Doch ach, eine Katze lässt das mausen nicht! In der vorliegenden Umsetzung ist dies das denkbar schlechteste Ergebnis.


Big Harvey is watching you: Gotham als Polizeistadt.


Abseits all des Werbesprechs und der Vorschusslorbeeren ließ der Macher dieses Comics hoffen. Cliff Chiang steht für Comics wie Paper Girls. Ein Eisner Award spricht zudem für sich. Den hat der 1974 geborene und in Brooklyn ansässige Amerikaner allerdings als Zeichner und nicht als Szenarist gewonnen. Kann dieser Kerl also auch Geschichten erzählen, wollte ich folgerichtig in einem Interview mit Panini-Sales-Manager Alexander Bubenheimer wissen. Die Antwort fiel eindeutig aus: »Chiang als Zeichner ist beeindruckend. Als Autor ist das übrigens nicht sein Debüt, er hat bereits eigene Sachen geschrieben und auch bei anderen Projekten als Co-Autor mitgewirkt – seinen Abschluss in englischer Literatur mal beiseitegelassen, ja, er kann schreiben …«

Nach der Lektüre des ersten Bands fällt das Urteil anders aus. Literarische Werke zu studieren und selbst welche zu erschaffen, sind zwei Paar Stiefel. Bei Chiang drückt der Schuh gleich an mehreren Stellen. Die einschläfernde Handlung voller Logiklöcher ist eine davon, Chiangs Artwork eine andere. Frisch aus dem Knast entlassen, klappert die Katze auf der Suche nach (ihrem) Geld erst einmal alte Bekannte ab. So weit, so nachvollziehbar. Je länger die Handlung voranschreitet, desto ersichtlicher wird jedoch, dass es Chiang lediglich darum geht, möglichst jeden, der die Nacht der Narren überlebt hat, und dessen derzeitigen Verbleib einmal ins Panel zu rücken, auch wenn es die Geschichte kein Stück voranbringt.


Wiedersehen mit alten Bekannten: Auf ein Bier mit Killer Croc (im Anschnitt links).

Um etwas Spannung in die Bude zu bringen, muss gleich eine Reihe von Einbrüchen her, die – wie etwa die Wahl eines völlig unnötigen neuen Einsatzquartiers in einem Luxushotel, wo Selina doch eigentlich ausreichend Platz in ihrem Penthouse hätte – ein wenig willkürlich erscheint und am Ende nicht einmal viel bringt. Verkleidungen werden gewählt und spielen fünf Minuten später keine Rolle mehr. Ein Plot voller Roter Heringe – und mitunter hölzerner Dialoge (was freilich auch an der Übersetzung liegen könnte). Ach ja, und dann ist da noch der Humor oder das, was Cliff Chiang darunter versteht. Selina lässt den minderbemittelten Killer Croc bei sich wohnen. Eine Ex-Superhelden-Frührentner-WG, deren Pointen allerdings nicht zünden.

Erschwerend hinzu kommt, dass Chiang auch schon besser gezeichnet hat. Es mag dem Zeitdruck in der US-Comicindustrie geschuldet sein, aber die Panels und Seiten sehen aus, als hätte er stets zur einfachsten Lösung gegriffen, wenn es auch komplexer, ausgefeilter und vor allem schöner gegangen wäre. Die Seitenarchitektur ist streng symmetrisch, was sich wohlwollend als solide bis geerdet beschreiben ließe. Wie die detailarmen Panels und teils austauschbaren Gesichtszüge der Figuren verblüfft sie aber auch an keiner einzigen Stelle. Obwohl der erste Band in einem größeren Format (25 x 31,8 cm) daherkommt, sieht er völlig unspektakulär aus. Vielleicht liegt es aber auch gerade am Format, immerhin sind all die Schwächen in größeren Panels leichter ersichtlich.


Besuch bei Bruce: Selina schaut an Batmans Grab vorbei.


Mit Frank Millers The Dark Knight Returns (beileibe nicht das Meisterwerk, zu dem es alle machen), hat das bis auf das Alter der Protagonistin nichts zu tun. Chiangs Comic besitzt weder dessen Tiefe noch dessen Konfliktpotenzial. (Wo Millers Geschichte auf der politischen Skala zu verorten ist, wird ja bis heute heiß diskutiert.) Nachdem man den ersten Band von Catwoman – Lonely City zugeklappt hat, gibt es nichts zu diskutieren. Ein etwas einfallsloser und ziemlich braver Comic, der niemandem wehtun will und gerade dadurch ganz gut in unsere Zeit passt. Ein bisschen Kritik an zu viel Digitalisierung, Überwachung und Racial Profiling hier, ein wenig Kritik an Gentrifizierung, Abbau des Sozialstaats, Rassismus und Altersdiskriminierung da. Und Poison Ivy ist jetzt Umweltschützerin!

Comicfrischlinge mag das womöglich begeistern, weil ihnen hier mit der zer- und gebrechlichen Superheldin etwas präsentiert wird, das sie bislang noch nicht kannten. Alte Hasen lockt diese alte Katze damit jedoch nicht mehr hinterm Ofen hervor. »Sicherlich der beste Gotham-Comic des Jahres«, ist auf dem Buchrücken des ersten Bands zu lesen. Hoffentlich nicht!

[Falk Straub]

Abbildungen © 2022 Panini Comics / Cliff Chiang


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